Klimaforscher ätzt gegen den Lieblings-Fetisch der Lindner-FDP: "Entschuldigt, liebe Kinder"
Potsdam - Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum sogenannten Klima- und Transformationsfonds ist die Aufregung groß. In den Chor der Kritiker hat sich auch der renommierte Klimaforscher Stefan Rahmstorf (63) eingereiht - er veröffentlichte einen kurzen, aber umso schärferen Kommentar auf der Plattform "X" (vormals Twitter).
Nach dem Urteil der Verfassungsrichter in Karlsruhe darf die Ampel-Bundesregierung rund 60 Milliarden Euro, die ursprünglich für die Bewältigung der Corona-Krise vorgesehen waren, nicht für den Klimaschutz und die Anpassung an die Klimakatastrophe verwenden. Es gehe um die Wirksamkeit der im Grundgesetz festgeschriebenen Schuldenbremse, sagte Doris König (66), die Vorsitzende Richterin des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, zur Begründung.
Stefan Rahmstorf, als Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ein weltweit anerkannter Experte für den Klimawandel, veröffentlichte am heutigen Donnerstag hierzu ein Statement auf "X", aus dem tiefe Verbitterung herauszulesen ist.
"Entschuldigt, liebe Kinder. Wir konnten die Klimakatastrophe leider beim besten Willen nicht verhindern. Wir mussten ja die Schuldengrenze einhalten. Das müsst Ihr verstehen", schrieb der 63-Jährige.
Damit positionierte sich der Klimaforscher klar auf der Seite all derer, welche die Schuldenbremse für falsch halten - und ebenso klar gegen Bundesfinanzminister Christian Lindner (44) und dessen Partei FDP.
Die Einhaltung der in der Verfassung festgeschriebenen Schuldengrenze ist beinahe ein Fetisch der Liberalen.
Rahmstorf: Klimakatastrophe könnte "existenzielle Gefahr für die menschliche Zivilisation" bedeuten
Wer das Statement des Klimaforschers genauer verstehen möchte, kann etwa auf dessen für Laien verfassten Aufsatz "Klima und Wetter bei 3 Grad mehr. Eine Erde, wie wir sie nicht kennen (wollen)" zurückgreifen. Der Text gehört zu dem im vergangenen Jahr erschienen Sammelband "3 Grad mehr. Ein Blick in die drohende Heißzeit und wie uns die Natur helfen kann, sie zu verhindern".
In dem Buch geht es um die Frage, wie die Welt aussähe, wenn sich die globale Durchschnittstemperatur im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung um 3 Grad erwärmte.
Dies ist kein ganz unwahrscheinliches Szenario, laut einem Bericht des Weltklimarats (IPCC) ist mit einer globalen Erwärmung um 2,1 bis 3,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau bis zum Ende dieses Jahrhunderts zu rechnen, wenn die weltweiten Kohlenstoff-Emissionen bis 2050 einfach nur gleich bleiben - das sogenannte Business-As-Usual-Szenario des IPCC.
Die daraus resultierenden Folgen wären laut Stefan Rahmstorf "eine existenzielle Gefahr für die menschliche Zivilisation".
Schuldenbremse, eine "Investitionsbremse, die unter dem Strich der ganzen Wirtschaft schadet"?
Zum Verständnis des Statements des Klimaforschers auf "X" kann außerdem noch hinzugefügt werden, dass die von Christian Lindner und anderen Politikern so sehr geschätzte Schuldenbremse keineswegs alternativlos ist.
Der bekannte Ökonom Maurice Höfgen (27) legt in seinem Aufsatz "Der zersparte Staat" in dem Sammelband "Genug! Warum wir einen politischen Kurswechsel brauchen" (Brumaire-Verlag 2023) dar, dass die hinter der Schuldenbremse stehende Ideologie längst "technisch widerlegt" sei.
Die in der Verfassung verankerte Bremse sei "in Wahrheit eine Investitionsbremse, die unter dem Strich der ganzen Wirtschaft schadet".
Im Hinblick auf den Klimawandel heißt es in dem Text des Ökonomen: "Wie schon bei den Krisen vorher gilt für die Klimakrise noch mehr: Geiz ist nicht geil, sondern teuer. Vorausschauend zu investieren ist günstiger, als es zu unterlassen und am Ende im Angesicht der Not noch viele Milliarden ausgeben zu müssen."
Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf ist mit seiner Kritik an der Schuldenbremse also nicht allein.
Titelfoto: Kay Nietfeld/dpa