Grüner Bundestags-Abgeordneter: So will Kassem Taher Saleh das Land verändern
Dresden - Die Zeiten, in denen nur alte Männer mit ergrautem Haupthaar im Bundestag gesessen haben, sind lange vorbei. Mit Kassem Taher Saleh (29) sitzt seit einigen Monaten ein junger Dresdner im Parlament, der schon so einiges erlebt hat. Im Irak geboren kam er über den Umweg Vogtland in die Landeshauptstadt. Hier studierte er Bauingenieurwesen und möchte diese Expertise nun in Berlin einbringen. Nachdem er zuletzt mit uns über seine Leidenschaft Dynamo sprach, geht es heute um die politischen Ansichten von Kassem.
TAG24: Kassem, wer bist Du und was genau machst Du?
Kassem Taher Saleh: Mein Name ist Kassem Taher Saleh. Ich bin Sachse, Bauingenieur und seit Oktober 2021 Bundestagabgeordneter für die Grünen.
TAG24: Du bist auch Obmann im Bauausschuss des Bundestages. Was genau ist da Deine Aufgabe?
Taher Saleh: Als Obmann ist man die erste Ansprechperson für das Parlament und andere Personen, wenn es um Themen wie Reisen, Tagesordnung oder Redezeiten geht. Oder auch darum, wie in den einzelnen Tagesordnungspunkten abgestimmt werden soll.
TAG24: Verantwortungsvolle Aufgabe für einen 29-Jährigen…
Taher Saleh: Ich bin Bauingenieur, komme vom Fach, habe gearbeitet, weiß, wie es läuft auf den Baustellen und der Praxis. Genügend Argumente, um mir diese Aufgabe anzuvertrauen.
TAG24: Die Inflation ist hoch, die Mieten steigen: Können wir uns das Wohnen zukünftig noch leisten?
Taher Saleh: Die Frage sollte eher sein, wer sich Wohnen künftig noch leisten kann. Es gibt eine Gruppe von Menschen, die bemerkt die Inflation gar nicht, weil sie so viel Geld haben. Wir müssen die Menschen, die sich eine Wohnung nicht mehr leisten können, unterstützen. Dafür haben wir als Ampel zwei Maßnahmenpakete auf den Weg gebracht. Weiter gibt es um das Thema Inflation auf der Bundesebene sehr intensive Debatten. Es muss einfach geschaut werden, mit welchen Aspekten, Programmen und konkreten Gesetzesänderungen – vielleicht auch temporär – entgegengewirkt werden kann.
Taher Saleh: "Bezahlbarer Wohnraum ist ein Menschenrecht"
TAG24: "Bezahlbarer Wohnraum ist ein Menschenrecht", steht auf deiner Webseite…
Taher Saleh: Korrekt!
TAG24: Nochmal konkret: Wie kann dieses Menschenrecht von der staatlichen Seite aus gewahrt werden?
Taher Saleh: Da gibt es viele Hebel, an denen man ansetzen muss. Punkt Nummer 1 ist die Einführung einer Wohngemeinnützigkeit. Eine Stadt wie Dresden beispielsweise hat in der Vergangenheit leider seine städtischen Wohnungsunternehmen verkauft.
Jahre später sieht man diese Privatisierung parteiübergreifend als großen Fehler an. Jetzt gibt es dort Versuche, mit einer neuen Gesellschaft gegenzusteuern, sowas wollen wir auch auf Bundesebene erreichen. Die kommunalen Wohnungsgesellschaften müssen vor Ort zum Bigplayer werden - wie z. B. die WID (Wohnen in Dresden).
TAG24: Was plant Ihr noch?
Taher Saleh: Im zweiten Punkt wollen wir den Bargeldkauf im Bereich der Immobilien abschaffen. Wir haben mittlerweile viele Beispiele erlebt, bei denen ausländische Investor*Innen das als Geldwäsche genutzt haben. Die Mieten transformieren sich infolge dann auf die Menschen vor Ort um, die die sich dann gar nicht mehr leisten können. Ausländische Investor*Innen haben einen zu großen Einfluss darauf, wie die Menschen in den Kommunen wohnen und wo sie wohnen. Das wollen wir nicht mehr mitmachen!
"Ich bin kein großer Fan von Verpflichtungen"
TAG24: Und was ist mit den Eigenheimen?
Taher Saleh: Wir wollen die Eigenheimförderung stärken, sodass die Menschen beispielsweise durch genossenschaftliche Aspekte ihren Wunsch nach Wohneigentum weiter verwirklichen können. Auch planen wir noch ein sogenanntes CO2-Stufenmodell.
Soll ein Gebäude energetischer gestaltet werden, müssen aktuell die Mieterinnen und Mieter für die Kosten aufkommen. Das muss sich ändern, das passt einfach nicht. Die Eigentümer haben schließlich einen Wertgewinn durch diese energetische Immobilie, Stichwort Fotovoltaik auf dem Dach oder Wärmepumpe im Keller.
TAG24: Was heißt genossenschaftlich in diesem Fall eigentlich?
Taher Saleh: Gemeinsam mit anderen baut man ein Haus, alle sind davon dann gemeinschaftlich der Eigentümer.
TAG24: Um sich finanziell fürs Alter abzusichern, ist Eigentum sicher ein guter Schritt. Aber sollte der Staat darüber hinaus Bürger ab einem bestimmten Alter auch zu einer privaten Altersvorsorge verpflichten?
Taher Saleh: Ich bin kein großer Fan von Verpflichtungen. Die Menschen sollen frei in ihren Entscheidungen sein. Abgaben haben wir schon viel zu viel, da müssen wir eher schauen, dass die weniger und nicht mehr werden.
TAG24: Kassem, wie unterscheiden sich die Arbeit auf dem Bau und in der Politik voneinander?
Taher Saleh: Da möchte ich erstmal die positive Seite des Bauens herausstellen: Auf dem Bau erschafft man etwas, das ist zu sehen und macht mich zufrieden. In der Politik ist das eher weniger der Fall. Manchmal sitze ich von früh bis abends am Schreibtisch und frage mich dann, was ich eigentlich gemacht habe. Auf dem Bau kannst du sagen: "Die Schalung habe ich gebaut, die eine Wand habe ich betoniert und die andere reingehauen." Da kannst du deine täglichen Erfolge sehen. Weiter fehlt mir hin und wieder die direkte und offene Kommunikation, die es auf dem Bau gibt. Da sagt man auch mal: "Hey, das hast du Scheiße gemacht, was soll der Mist?!" Dennoch sitzt man am Abend zusammen und isst und trinkt zusammen, hat Spaß und scherzt.
TAG24: Und was sind die Nachteile am Bau?
Taher Saleh: Unbestritten ist, dass der Bau viel zu konservativ ist. Im Denken, in der Planung – die machen noch viel mit Papier – konservativ bei der Wahl der Technologien… Der Bausektor hat sich in den letzten Jahren leider nicht so innovativ entwickelt wie andere Industriezweige (Verpackungsindustrie, Automobilbranche…). In der Bauindustrie fehlt mir der Wandel hin zu modernen Lösungen. Vielleicht ist es auch zu technisch für viele Menschen, vielleicht verstehen das auch zu wenige Menschen in der breiten Gesellschaft. Der Bau muss unbedingt digitalisierter werden.
Titelfoto: Eric Münch