Virologe Streeck kritisiert "dauerhaften Alarmzustand" und will keine Corona-Symbolpolitik
Bonn – Der Bonner Virologe Hendrik Streeck (44) hat den "dauerhaften Alarmzustand" kritisiert und für einen pragmatischen Umgang mit der Corona-Pandemie geworben. Gleichzeitig warnte er vor der herannahenden Omikron-Welle.
Die Welle werde nicht harmlos sein, zitiert das RND den Wissenschaftler, der im Expertenrat von Kanzler Olaf Scholz (63, SPD) sitzt.
"Mit einem hohen Patientenaufkommen und Personalausfällen wird es zu erheblichen Belastungen in allen Bereichen des Gesundheitswesens kommen. Es kann sein, dass kurzfristige Verschärfungen der Maßnahmen notwendig werden", prognostizierte Streeck.
Er rechne mit "sehr stark ansteigenden Fallzahlen". Dank der bereits ergriffenen, frühzeitigen Maßnahmen, sei er aber zuversichtlich, "dass wir mit der Belastung durch Omikron umgehen können".
Eine zusätzliche Verschärfung der Corona-Regeln betrachtet Streeck kritisch: "Die Übertragungen finden vor allem in Privaträumen statt, nicht im Einzelhandel oder in Freizeiteinrichtungen. Deshalb wäre vieles, was die Politik im Moment kurzfristig beschließen könnte, in meinen Augen mehr Symbolpolitik."
Eine Begrenzung der Personenzahl zu Hause, Lockdowns, Ausgangssperren und ähnliche Maßnahmen halte er momentan nicht für zielführend. Genauso wenig, wie die anhaltende Debatte über eine allgemeine Impfpflicht.
Virologe Hendrik Streeck: Mit dem Corona-Virus leben lernen
Streeck rät zwar jedem, sich nach drei Monaten boostern zu lassen. Aber: "Die Diskussion um eine Impfpflicht halte ich derzeit nicht für zielführend." Sie lenke zu sehr von der unzureichenden Information über die Impfungen ab und könne keine guten Aufklärungskampagnen ersetzen.
Gegenüber "Bild" sagte der Virologe: "Der Gedanke setzt sich langsam durch, dass wir einen pragmatischen Umgang mit der Pandemie brauchen, um mit dem Virus leben zu lernen."
Er betonte: "Der dauerhafte Alarmzustand ist ermüdend und nicht erfolgreich." Es sei wichtig, die Belastung der Kliniken zu beobachten und "notfalls mit Maßnahmen [zu] reagieren".
Eine Vorhersage über die Corona-Lage im Sommer wollte er daher noch nicht machen. "Wir wissen, dass die Fallzahlen zum Sommer hin sinken werden. Aber Vorsicht, in meinen Augen fängt dann die Arbeit erst an", mahnte Streeck laut RND.
Im Sommer werden man "sehr viel entspannter" sein und Maßnahmen fallen lassen können. "Aber wir wissen nicht, ob es im Herbst und Winter nicht wieder zu einem Anstieg kommen wird."
Titelfoto: Rolf Vennenbernd/dpa