Merkels Notbremse kommt: Läden wieder dicht, Ausgangs-Beschränkungen!
Berlin - Nach wochenlangem Hickhack soll der Lockdown verschärft werden. Die Regierung will die dritte Coronawelle mit einheitlichen Vorschriften brechen. Noch in der Nacht wurden viele Wünsche der Länder berücksichtigt.
Die Menschen in weiten Teilen Deutschlands müssen sich auf Ausgangsbeschränkungen und geschlossene Läden nach bundesweit verbindlichen Vorgaben einstellen. Eine entsprechende Änderung des Infektionsschutzgesetzes hat das Bundeskabinett am Dienstag in Berlin beschlossen, wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) erfuhr.
So soll von 21 bis 5 Uhr der Aufenthalt außerhalb einer Wohnung oder eines dazugehörigen Gartens im Grundsatz nicht erlaubt sein. Dies soll nicht gelten, wenn der Aufenthalt etwa der Versorgung von Tieren oder der Berufsausübung dient.
Gelten sollen diese und andere Beschränkungen, wenn in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinanderfolgenden Tagen die 7-Tage-Inzidenz über 100 liegt. Das bedeutet, dass binnen einer Woche mehr als 100 Neuinfizierte auf 100.000 Einwohner kommen.
In einem neuen Paragrafen 28b des Infektionsschutzgesetzes soll ferner festgelegt werden, dass private Zusammenkünfte im öffentlichen oder privaten Raum dann nur gestattet sind, wenn an ihnen höchstens die Angehörigen eines Haushalts und eine weitere Person einschließlich dazugehörender Kinder bis zur Vollendung des 14.
Lebensjahres teilnehmen.
Bei Todesfällen sollen bis zu 15 Personen zusammenkommen dürfen.
Viele Läden wieder geschlossen, Sport nur ohne Kontakt erlaubt
Unter anderem dürfen bei einer höheren Inzidenz zudem die meisten Läden und die Freizeit- und Kultureinrichtungen sowie die Gastronomie nicht öffnen.
Ausgenommen werden sollen der Lebensmittelhandel, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Stellen des Zeitungsverkaufs, Buchhandlungen, Blumenfachgeschäfte, Tierbedarfsmärkte, Futtermittelmärkte und Gartenmärkte. Hier sollen Abstand- und Hygienekonzepte gelten.
Die Ausübung von Sport soll nur in Form von kontaktloser Ausübung von Individualsportarten erlaubt sein. Sie sollen allein, zu zweit oder mit den Angehörigen des eigenen Hausstands ausgeübt werden dürfen. Ausnahmen gibt es auch weiter für den Wettkampf- und Trainingsbetrieb der Berufssportler und der Leistungssportler der Bundes- und Landeskader, aber weiter nur ohne Zuschauer.
Geöffnet werden dürfen demnach Speisesäle in medizinischen oder pflegerischen Einrichtungen, gastronomische Angebote in Beherbergungsbetrieben, die ausschließlich der Bewirtung zulässig beherbergter Personen dienen, Angebote für obdachlose Menschen, die Bewirtung von Fernbusfahrerinnen und Fernbusfahrern sowie Fernfahrerinnen und Fernfahrern und nicht-öffentliche Kantinen.
Auch die Auslieferung von Speisen und Getränken sowie deren Verkauf zum Mitnehmen soll weiter erlaubt sein.
Keine Schule ab Inzidenz von mehr als 200 offen
Übernachtungsangebote zu touristischen Zwecken sollen bei entsprechenden Inzidenzen in einer Region aber untersagt sein. Zudem muss laut Regierungssprecher Steffen Seibert (60) in Verkehrsmitteln des ÖPNV eine FFP2-Maske getragen werden.
Geöffnet werden dürften laut dem Beschluss Dienstleistungen, die medizinischen, therapeutischen, pflegerischen oder seelsorgerischen Zwecken dienen sowie Friseurbetriebe - jeweils mit Maske.
An Schulen soll Präsenzunterricht nur mit zwei Corona-Tests pro Woche gestattet werden. Überschreitet in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinander folgenden Tagen die 7-Tage-Inzidenz 200, soll Präsenzunterricht untersagt werden.
Stundenlang war unter Hochdruck über die Regelungen verhandelt worden. Nach dpa-Informationen sollen in der Vorlage Fraktions- und Länderwünsche von der Bundesregierung in wichtigen Punkten berücksichtigt worden sein.
Merkel erklärt weiteres Vorgehen mit dem neuen Gesetz
"Die Unklarheiten, was in einem Landkreis oder einem Bundesland gilt, sind dann vorbei", erklärte Angela Merkel bei einem Presse-Statement am Mittag. Denn die Notbremse greife automatisch. Landkreise oder Bundesländer müssten nicht mehr einschreiten, sollte ihre Inzidenz über 100 liegen. Das Gesetz gelte solange, wie eine pandemische Notlage im Land herrscht. Alle drei Monate berät die Politik darüber.
Damit die dritte Welle gebrochen und sogar "umgekehrt werden" kann, sollen die Maßnahmen nun konsequenter und stringenter werden, erklärte die Kanzlerin. Damit soll die Situation auf den Intensivstationen entschärft werden, bevor es zu spät ist.
"Wir haben es ja schon einmal geschafft, durch konsequentes Handeln die Zahl der Ansteckungen wieder auf ein kontrollierbares Maß zu reduzieren. Und das kann und wird uns auch wieder gelingen."
"Wir sind jetzt in einer Lage, in der es nötig ist, schnell und bundesweit einheitlich zu reagieren", erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert (60). Es gehe vor allem darum, Kontakte zu reduzieren.
Unterstützend zu den neu beschlossenen Maßnahmen käme die "immer besser laufende" Impfkampagne hinzu, so Merkel. Bis zu 100.000 Impfungen fänden täglich in den Impfzentren und bei Hausärzten statt. Bald sollen auch Betriebsärzte eingebunden werden.
Damit das beschleunigte Gesetzgebungsverfahren erfolgreich ist, reicht eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag aus. Danach muss der Bundesrat darüber befinden. Die Gespräche im Bundestag sollen schnell anlaufen, binnen sieben Tagen können Änderungen eingebracht werden. Spätestens zum Ende der kommenden Woche sollen Bundestag und Bundesrat schließlich entschieden haben.
Neben der Novelle des Infektionsschutzgesetzes hat das Kabinett auch eine Pflicht für Angebote von Coronatests in Unternehmen auf den Weg gebracht. Der Entwurf einer geänderten Arbeitsschutzverordnung sieht vor, dass die Unternehmen ihren Beschäftigten in der Regel einmal in der Woche Tests zur Verfügung stellen.
Die schärferen Lockdown- und Testregeln sollen die Zahl der Infizierten, Covid-19-Kranken und Todesfälle drücken, bis auch durch fortschreitende Impfungen das Infektionsgeschehen im Griff gehalten werden kann.
Titelfoto: dpa/Kay Nietfeld