Wenn der Vater im Knast sitzt: So wird seiner Familie und ihm geholfen
Butzbach - Familie - das war anfangs eine riesige "Baustelle" für den inhaftierten Vater.
Vor mehr als elf Jahren tötete er die Mutter seiner vier Kinder, in "affektiver Erregung", wie er sagt, nun verbüßt er eine langjährige Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt Butzbach.
Wie kann es nach einer solchen Tat weitergehen für eine Familie? Es sei ein langer Weg in vielen kleinen Schritten, erklärt der 57-Jährige. Viele Menschen hätten dabei geholfen, dass trotz der "grauenhaften Tat", die er nicht geplant und nicht gewollt habe, inzwischen eine vertrauensvolle Beziehung zu seinen Kindern gewachsen sei.
Möglich war dies auch dank der Familienbesuche, die Gefängnisseelsorgerin Barbara Zöller und zwei Sozialarbeiterinnen einmal im Monat im Rahmen eines Vater-Kind-Projekts in der JVA Butzbach organisieren.
Gemeinsames Spielen in einer freundlichen Umgebung, Basteln, Gespräche und ein wenig Nähe - die Besuche ermöglichen ein kleines Stück Familienalltag und sind nicht nur in der Weihnachtszeit ein Lichtblick für die Gefangenen und ihre Angehörigen.
Kinder von Gefängnis-Insassen haben oft mit Scham und Stigmata zu kämpfen
Das berichtet auch ein anderer Gefangener, der seine beiden Kinder im Grundschulalter regelmäßig an den Familienbesuchstagen hier sieht. Als emotional aufwühlend und schön zugleich empfindet er die Begegnungen, die von der Mutter der Kinder unterstützt würden.
"Anlaufschwierigkeiten" mit seinem Sohn und seiner Tochter gebe es nicht, gemeinsames Spielen stehe meist im Vordergrund, sagt der Mann.
Doch darüber hinaus bieten die Besuche den Kindern auch Raum für Fragen, um die Ereignisse sortieren und in die eigene Lebenswirklichkeit einbauen zu können.
Gerade weil Kinder und andere Angehörige von Gefangenen häufig mit Scham und Stigmata zu kämpfen haben, sei ein möglichst offener und kindgerechter Umgang damit wichtig, sagt Zöller.
Bücher könnten dabei helfen, den Kindern die Situation begreiflich zu machen und auch Stress und Sorgen zu nehmen.
Gefängnisseelsorgerin: "Es geht darum, dass die Kinder weiter beiden Eltern vertrauen können"
Die Pfarrerin mit Zusatzausbildung als systemische Familientherapeutin erinnert sich an einen Fünfjährigen, der bei einem Besuch ihre Hand nahm, auf die Gefängnisgitter am Fenster zeigte und sagte: "Ich weiß, wo wir hier sind, nur die Mama nicht."
Die Mutter hatte dem Kind aus Furcht nichts gesagt, damit ihr kleiner Sohn im Kindergarten nichts von der Haft des Vaters erzählte. Das sei zwar nachvollziehbar, doch ein Verschweigen der Wahrheit oder gar Anlügen der Kinder auf Dauer nicht ratsam.
Ohnehin bekämen die Kinder meist viel mehr mit, als die Eltern meinen. "Es geht darum, dass die Kinder weiter beiden Eltern vertrauen können", sagt Zöller.
Um bohrenden Fragen, Gerüchten und Ausgrenzung in Kita oder Schule entgegenzuwirken, empfiehlt sie auch, mit Klassenlehrern oder Kita-Gruppenleitungen zu sprechen und sie zu bitten, den Kindern den Rücken zu stärken und bei Bedarf moderierend einzugreifen.
Väter müssen nach Jahren im Gefängnis erst wieder ihren Platz in der Familie finden
Zöllers Angehörigenarbeit umfasst aber noch viel mehr als die Begleitung von Familienbesuchen.
Sie berät Angehörige auch telefonisch, begleitet Kinder-Telefonate der Häftlinge und gestaltet Paar-Besuche oder bereitet Häftlinge auf Ausgänge und auf die Wiedereingliederung in die Familie nach der Entlassung vor - und hat auch ein offenes Ohr für ihre Erlebnisse, wenn sie von Besuchen "draußen" zurückkehren.
Eindrücklich fand sie die Geschichte eines Häftlings, dessen Familie Jahr für Jahr ein Geschenk für den Vater unter den Weihnachtsbaum stellte - auch wenn dieser gar nicht mitfeiern konnte - und diese Jahr für Jahr in einem Schrank verwahrte.
Als der Mann schließlich seinen ersten Ausgang hatte, habe sein Sohn verlangt, dass er die Geschenke nun alle auspacken sollte - eine überfordernde Situation für den Familienvater, wie Zöller sich erinnert.
Ein anderer Häftling beklagte sich, sein Besuch zu Hause sei "schrecklich" gewesen: Als er in der Wohnung der Familie ankam, hätten seine Frau und die drei Kinder auf dem Sofa gesessen - und für ihn sei dort kein Platz mehr gewesen.
Ein gutes Bild dafür, dass die Männer ihren Platz in der Familie nach vielen Jahren der Haft erst wieder finden müssen, wie Zöller sagt.
Titelfoto: Boris Roessler/dpa