"Wir informieren uns zu Tode": MDR-Moderator Robert Burdy über "verwickelte Gehirne"
Von Christian Grube
Leipzig - Robert Burdy (58) ist seit über 20 Jahren eines der Gesichter von MDR Aktuell. Neben der Arbeit vor der Kamera ist der gebürtige Kölner als Mediencoach und Autor tätig. Sein jüngstes Buch entstand in Zusammenarbeit mit dem Neurobiologen Gerald Hüther (71). "Wir informieren uns zu Tode: Ein Befreiungsversuch für verwickelte Gehirne" analysiert in anschaulicher Weise, was das Überangebot an Informationen mit den Menschen macht und was es für Lösungsansätze gibt. TAG24 sprach mit dem Moderator.
TAG24: Wie entstand die Idee zu "Wir informieren uns zu Tode"?
Robert Burdy: Das Buch entstand aus einer Notwendigkeit, die wir doch irgendwie alle spüren: Es ist zu viel, wir kommen nicht mehr mit! Unsere Aufmerksamkeit ist zur Ware geworden und wir werden minütlich, sekündlich mit Botschaften bombardiert, die unsere Gehirne überfluten. Ich beschäftige mich seit Jahren intensiv mit den Ergebnissen der modernen Hirnforschung, aber ich bin halt kein Wissenschaftler. Gerald Hüther versteht es als Neurobiologe wie kaum ein anderer, wissenschaftliche Inhalte verständlich zu erklären und ihre Bedeutung für unser Leben klarzumachen. Das war eine wunderbare Zusammenarbeit.
TAG24: Wer sollte das Buch lesen? Wer nicht?
Robert Burdy: Wenn Ihr mich fragt: Jeder sollte es lesen! (lacht) Aber im Ernst: Jeder, der sein Gehirn in Sicherheit bringen will, wie Richard Precht (57, Anm. d. Red.) es ausgedrückt hat. Die Flucht in abgetrennte Wahrnehmungswelten ist keine Lösung und sie gefährdet den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Wir versuchen in dem Buch eine Lösung nahezulegen, die jeder von uns in sich selbst finden kann.
TAG24: Darf das Buch als Kritik an den Massenmedien verstanden werden?
Robert Burdy: Das Buch heißt ja "Wir informieren uns zu Tode" und nicht "Wir werden zu Tode informiert". Natürlich gibt es fragwürdige Entwicklungen in der Art und Weise, wie wir uns mit Informationen versorgen. Da wird gelogen und manipuliert. Aber darum geht es uns nicht. Es gibt ja auch zahlreiche seriöse und zuverlässige Informationsquellen. Die Befreiung für unsere verwickelten Gehirne ist unsere eigene Sache. Auch in diesem Fall kommt Freiheit nicht von außen.
Doppelte Belastung: Digitalisierung begann mit Wiedervereinigung
TAG24: Werden wir denn "zu Tode" informiert oder sind wir einfach nur empfänglicher für die Masse an Informationen geworden und kriegen einfach nicht genug?
Robert Burdy: Wir sind bedürftiger geworden. Und das ist das Problem. In ganz kurzer Zeit, rund zwei Jahrzehnten, haben wir Menschen unsere Welt digitalisiert und globalisiert. Nur wir selbst sind weder digital noch global. Jeder ist sein kleines analoges Ich geblieben, dass sich in dieser neuen, superkomplexen Welt zurechtfinden muss. Für die Menschen in Ostdeutschland ist das doppelt belastend, weil es historisch mit den massiven Umbruchprozessen der Wiedervereinigung zusammenfiel. Um mit einer sich schnell und grundlegend verändernden Welt klarzukommen, benötigen wir Informationen. Und da unsere Aufmerksamkeit zur Ware geworden ist - jeder Klick im Netz bringt Geld! - werden wir überflutet mit Informationsangeboten. Die Entscheidung, von welcher Botschaft wir uns berühren lassen und welche wir so zur Information machen, treffen viele Menschen allzu oft nicht bewusst. Das bedeutet nicht "selber schuld", aber die Lösung liegt halt bei uns.
TAG24: Sie beziehen sich konkret auf Neil Postmans (†72) "Wir amüsieren uns zu Tode". Ist Ihr Buch quasi eine Fortführung dessen?
Robert Burdy: Das fände ich sehr anmaßend. Der Titel ist eine Verbeugung vor Postmans Arbeit. Ich glaube allerdings, dass die Entwicklungen, die Postman beschreibt und die, die wir nun beschreiben, dieselben sind. Nur halt drei Jahrzehnte später auf einer anderen Entwicklungsstufe. Postman beklagte den Unterhaltungscharakter von Informationsmedien. Das hat sich inzwischen zu einer Turbo-Emotionalisierung von Informationsangeboten entwickelt. Emotional wirksame Botschaften machen eben erfolgreiche Medien. Das ist okay, wird aber zum Problem, wenn vor allem negative Emotionalisierungen gewissenlos und maßlos eingesetzt und angenommen werden.
Zu viele Emotionen durch soziale Medien
TAG24: Wie haben Sie in Ihrer Arbeit als Journalist und Korrespondent den Medienwandel in den letzten 25 Jahren erlebt? Was überwiegt, Vor- oder Nachteil der "Informationsflut"? Was sollte sich ändern?
Robert Burdy: Jetzt üben wir ja doch Medienkritik… Wie gesagt, darum ging es uns nicht. Aber ja, die Medienwelt hat sich verändert. Für die Medien-Konsumenten ebenso wie für die Macher. Alles hat sich verdichtet, die Arbeit der Macher genauso wie das Angebot an potenziellen Informationen. Ich glaube, wir sind gut beraten, den Modus der Druckbetankung mit Emotionen wieder zu verlassen. Da haben es einige ziemlich übertrieben. Und die sozialen Medien, die es uns erlauben, hoch emotionalisiert und oft unüberlegt sofort zu reagieren, haben das zu ihrem Kerngeschäft gemacht. Das ist nicht gesund.
TAG24: Es ist ja immer von "Filterblasen" die Rede - von Algorithmen, die uns in unserer Meinung bestätigen. Nutzen diese Algorithmen unsere Gehirne aus? Werden dadurch nicht auch gesellschaftliche Konflikte erst befeuert bzw. ist es einfacher geworden, gezielt "glaubwürdige" Falschinformationen zu streuen?
Robert Burdy: Die Antwort ist ja, ja und ja. Die Algorithmen nutzen die Arbeitsweise unserer Gehirne aus. Und das wird mit dem Aufkommen künstlicher Intelligenzen noch viel mehr werden. Ja, es ist leichter geworden. Und ja, das gefährdet den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, wenn wir hoch emotionalisiert urteilen und verurteilen und andere damit viel Geld verdienen. Das ist ein Ausverkauf. Glaubwürdige Falschinformationen gibt es nicht, es gibt Falschinformationen, die von manchen Menschen angenommen werden, weil sie es so schön leicht machen, in unseren Gehirnen wieder Ruhe einkehren zu lassen.
Manche Menschen verlieren sich durch Medienkonsum in Verschwörungstheorien
TAG24: In hitzigen Debatten heißt es oft "Ich informiere mich – informier dich mal". Informieren wir uns falsch? Sie sprechen ja konkret von "toxischem Informationsverhalten" - was ist das?
Robert Burdy: Die Art und Weise, wie wir uns informieren, ist eine Gewohnheit. Unsere Gehirne haben etwas gelernt, das für sie funktioniert. Sie versorgen sich mit den Informationen, die mit möglichst geringem Energieaufwand wieder Kohärenz im Gehirn herstellen, wenn unsere Welt uns verunsichert. Oft ist das halt eine Flucht in völlig losgelöste Wahrnehmungswelten, in Verschwörungstheorien und verklärende Heimatphantasien, die mit der Wirklichkeit nicht viele Berührungspunkte haben. Langfristig macht das das Problem größer, weil wir Freiheit verlieren und die Verbundenheit mit anderen aufgeben. Das sind aber Grundbedürfnisse.
TAG24: Sind wir mit unserem Informationstrieb einfach zu einer Ware geworden? Müssen wir uns auf eine gewisse Art rückbesinnen?
Robert Burdy: Wie gesagt, unsere Aufmerksamkeit ist zur Ware geworden. Wir leben in einer Aufmerksamkeits-Ökonomie. Früher warb man um unsere Aufmerksamkeit für Produkte, die wir kaufen sollten. Jetzt ist die Aufmerksamkeit selbst zur Ware geworden.
TAG24: Was für Lösungsansätze gibt es aus diesem Dilemma?
Robert Burdy: Unsere Anregung ist, wir müssen wieder genauer hinschauen, was wir brauchen: Freiheit und Verbundenheit. Die Freiheit, selbst zu entscheiden, welche Informationen wir annehmen, statt uns der Überflutung unserer Gehirne einfach auszusetzen. Und die Verbundenheit mit unseren Mitmenschen durch bedeutungsvolle Beziehungen.
"Wir informieren uns zu Tode: Ein Befreiungsversuch für verwickelte Gehirne" ist am 12. September 2022 im Herder Verlag erschienen.
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