Erschreckende Zahlen: Jeder Vierte fühlt sich einsam!

Dresden - Ein Viertel der Erwachsenen im Alter unter 70 Jahren fühlt sich auch nach dem Ende der Corona-Pandemie sehr einsam. Dieses Ergebnis einer repräsentativen Umfrage sollte jeden alarmieren. Einsamkeit ist nicht nur ein unangenehmes Gefühl. Sie kann auch sehr krank machen. Eine Seelsorgerin aus Pirna (Sachsen) berichtet hier von ihren Begegnungen mit jungen und alten einsamen Menschen und Wegen aus der Isolation, die jeder gehen kann.

Jeder vierte Deutsche fühlt sich einsam. Das ergab eine repräsentative Umfrage der Deutschen Stiftung Depressionshilfe und Suizidprävention.
Jeder vierte Deutsche fühlt sich einsam. Das ergab eine repräsentative Umfrage der Deutschen Stiftung Depressionshilfe und Suizidprävention.  © 123RF/stockgiu

"Einsamkeit begegnet mir tagtäglich und überall in Stadt und Land. Sie kickt Menschen aus der Gesellschaft. Junge wie Alte sind in dem Gefühl und sich selbst gefangen", berichtet Monika Schlegelmilch.

Die 80-Jährige engagiert sich seit fast zwei Jahrzehnten in der Seelsorge in der Sächsischen Schweiz. Sie spürt und sieht einen Trend, der sie sehr nachdenklich stimmt.

"Einsamkeit ist kein neues Phänomen unserer Zeit. Es hat sie immer gegeben. Alle Menschen fühlen sich von Zeit zu Zeit einsam. Allerdings haben sich die Formen der Einsamkeit verschärft", ordnet die Pfarrerin im Ruhestand ein.

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In jüngster Zeit berichten so viele Menschen, dass sie sich "meistens" einsam fühlen, dass westliche Wissenschaftler eine "Epidemie der Einsamkeit und Isolation" ausgerufen haben.

Die engagierte Pirnaerin teilt diese Einschätzung. Sie sagt: "Einsamkeit hat viele Gesichter." Menschen können sich einsam fühlen, weil sie von der Gesellschaft ausgeschlossen oder vergessen werden. Weil sie das Gefühl quält, "unsichtbar" im Abseits zu stehen. Weil sie niemand versteht - tatsächlich oder im übertragenen Sinne.

Die drei größten Risikofaktoren für Einsamkeit heißen: Herkunft, sozialer Status und Alter.

Menschen ohne Bezugspersonen werden schneller einsam

Monika Schlegelmilch (80) engagiert sich in der Seelsorge und setzt sich ein für die Gründung eines Hospizes in Pirna.
Monika Schlegelmilch (80) engagiert sich in der Seelsorge und setzt sich ein für die Gründung eines Hospizes in Pirna.  © Norbert Neumann

Wie Beziehungen funktionieren, nehmen Menschen quasi mit der Muttermilch auf. Wer vom Elternhaus kein Grundvertrauen mitbekommen hat, tut sich als Erwachsener schwer, Bindungen zu Anderen aufzubauen. Menschen, die sich keinem wirklich anvertrauen, werden schneller einsam.

Jobverlust und Erwerbsunfähigkeit können nachweislich zu Einsamkeit führen. Ohne das Arbeitsleben kommen den Betroffenen Möglichkeiten an sozialer und kultureller Teilhabe abhanden.

"Mit dem Job verlieren manche auch ihr Selbstwertgefühl. Das wiederum macht es schwerer, neue Menschen kennenzulernen", berichtet die Seniorin, die auch bei der Pirnaer Tafel ehrenamtlich arbeitet und viele solcher "Fälle" kennt.

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Einsamkeit kann grundsätzlich jeden - in jeder Lebensphase - treffen. Junge Menschen mit dem Fokus auf Gaming und Social Media driften häufig ab in virtuelle Welten. Gesundheitliche Gründe schränken Betagte real ein - immer wieder hört Monika Schlegelmilch das von Männern und Frauen im Klinikum Pirna.

Dort betreut die Engagierte seit vielen Jahren mit Hingabe als Teamleiterin der "Grünen Damen" Patienten.

Pirnaerin weiß: "Es braucht wenig, um Menschen aus der Isolation herauszuholen"

Wer mit aufmerksamen Augen unterwegs ist, sieht die Einsamkeit in unserer Gesellschaft. Oft reicht schon ein Lächeln oder gutes Wort, um isolierten Menschen einen Lichtblick an trüben Tagen zu bescheren.
Wer mit aufmerksamen Augen unterwegs ist, sieht die Einsamkeit in unserer Gesellschaft. Oft reicht schon ein Lächeln oder gutes Wort, um isolierten Menschen einen Lichtblick an trüben Tagen zu bescheren.  © 123RF/luzazure

Dieses Ehrenamt hat die gebürtige Hallenserin etwas gelehrt. "Es braucht eigentlich wenig, um Menschen aus ihrer Isolation herauszuholen. Manchmal reicht schon ein Lächeln. Zuhören und Gespräche sind der beste Weg", sagt sie.

Ihre feste Überzeugung: Mehr Achtsamkeit, Aufmerksamkeit und Empathie könnten die Welt zu einem besseren Ort machen.

"Leider sind jedoch in dieser verrückten Zeit zu viele zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Zu wenige machen sich die Mühe, sich Anderen unvoreingenommen zuzuwenden", bedauert sie.

Die Hinwendung zu Menschen, ihr Glauben und ein persönlicher Schicksalsschlag haben Monika Schlegelmilch sehr geprägt. Sie hat sich intensiv mit Einsamkeit, dem Leben und Sterben beschäftigt und kämpft heute für die Gründung eines Hospizes in Pirna.

"Der Bedarf ist riesengroß. Wir haben ein Haus, einen Träger für das Projekt. Was jetzt nur noch fehlt, ist Geld. Viel Geld", sagt sie und Wehmut färbt ihre sonst so helle Stimme dunkel.

Die Pirnaerin fragt provokant: "Warum hat unsere Gesellschaft so wenig übrig für solche Projekte?" Für sie selbst steht unumstößlich fest: "Menschen haben bis zum letzten Atemzug ihre Würde und diese müssen wir schützen."

Sachsens Sozialministerin Petra Köpping (65, SPD) im Interview

Sozialministerin Petra Köpping (65, SPD) gehörte zu den ersten Politikern, die das Thema Einsamkeit öffentlich zur Sprache brachten.
Sozialministerin Petra Köpping (65, SPD) gehörte zu den ersten Politikern, die das Thema Einsamkeit öffentlich zur Sprache brachten.  © Norbert Neumann

TAG24: Großbritannien besitzt seit 2018 ein Ministerium für Einsamkeit. Es koordiniert die Regierungsversuche, Menschen aus Isolation und Anonymität zu holen. Braucht Sachsen mit seiner überdurchschnittlich hohen Zahl von alleinstehenden Menschen auch so ein Ministerium?

Petra Köpping: Ein Ministerium alleine kann eine solch gesamtgesellschaftliche Herausforderung nicht im Alleingang lösen. Es ist aber wichtig, sich gegen Einsamkeit gesondert zu engagieren. Es ist wichtig, Impulse zu setzen und die Herausforderung zu erkennen, alle Partnerinnen und Partner an einen Tisch zu holen und gute Lösungen zu organisieren. Im Extremfall droht sonst vielleicht Verbitterung, mancher könnte sogar anfangen, sich zu radikalisieren - gerade eben, wenn man sich nur noch in den Blasen der sozialen Medien aufhält. Das ist gefährlich für unsere Gesellschaft, wenn wir da nicht gegensteuern.

TAG24: Das Thema Einsamkeit ist aber aus den politischen Debatten verschwunden. Hat es in den vergangenen Monaten an Relevanz verloren?

Köpping: Nein. Mein Haus ist an vielen Stellen engagiert. So unterstützen wir beispielsweise Mehrgenerationenhäuser und Alltagsbegleiter. Unsere Stabsstelle Seniorenpolitik und die Landesseniorenbeauftragte starteten gerade eine Befragung, mit deren Hilfe wir noch bessere Angebote zur besseren Teilhabe anregen wollen. Zudem würdigen und bedanken wir uns immer wieder bei den vielen Ehrenamtlichen für ihre wichtige und wertvolle Arbeit. Wir können als Ministerium nicht alleine gegen ein Phänomen wie Einsamkeit ankämpfen. Dazu brauchen wir die ganze Gesellschaft.

TAG24: Ist Einsamkeit ihrer Meinung nach nur ein Thema für Menschen der Altersgruppe 70+?

Köpping: Auf gar keinen Fall. Hier handelt es sich um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, bei dem auch die Coronavirus-Pandemie eine große Rolle gespielt hat und noch spielt. Eine ganz wichtige Rolle haben zudem die sozialen Medien inne. Junge Menschen hängen geradezu an PC und Smartphone. Sie verlieren dabei aus den Augen, auch echte soziale Kontakte zu erhalten und zu pflegen. Hier setzen wir an und fördern "Soziale Orte" als Treffpunkte im Ort.

Besser, man lässt sich helfen!

Die Telefonseelsorge hilft deutschlandweit - auch bei Einsamkeit.
Die Telefonseelsorge hilft deutschlandweit - auch bei Einsamkeit.  © 123RF/shotsstudio

Einsamkeit entsteht aus Mangel an echten Beziehungen. Das "EASE"-Konzept hilft, das Problem zu überwinden.

Es steht für E wie Erweiterung des Aktionsradius, A wie Aktivität, S wie Selektieren von Kontakten und E wie Erwartung vom Besten.

Wer Einsamkeit überwinden möchte, sollte über den eigenen Tellerrand schauen und Neues ausprobieren - in einem Verein oder im Ehrenamt. Das Ansprechen von fremden sympathischen Menschen verlangt etwas Mut.

Die Telefonseelsorge ist deutschlandweit erreichbar unter: 0800/1110111 und 0800/1110222.

Titelfoto: Montage: 123RF/stockgiu, Norbert Neumann

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