Enthauptete Leichen auf dem Weg zum Einkaufen gefunden
Durán (Ecuador) - Als Luis Sarmiento eines Morgens im März im Armenviertel Cerro Las Cabras mit seinem Enkel Brot kaufen ging, bot sich ihnen ein schockierender Anblick: Sie stießen auf zwei enthauptete Leichen in Handschellen – eine makabere Botschaft der Drogenhändler des Armenviertels in der ecuadorianischen 200.000-Einwohnerstadt Durán.
"Ich habe meinem Enkel die Augen zugehalten, bin wieder nach oben gegangen, mehr weiß ich nicht", sagt der 78-jährige Sarmiento.
Seit Langem suchen Drogenhändler in diesem hügeligen Gebiet nahe Guayaquil, Ecuadors größter Stadt, nach neuen Banden-Mitgliedern. Schon Kinder ab zehn Jahren würden für den Verkauf von Drogen rekrutiert, sagt der Polizeichef von Durán, Jorge Hadathy: "Zuerst verkaufen sie, dann geben sie ihnen eine Waffe und machen sie zu Killern."
Nach Einschätzung der Polizei nutzen die Gangs Spielzeug, um die Kinder anzulocken, vor allem solches, das auf die kriminellen Banden anspielt. In einem Versteck der Los Lagartos (Die Eidechsen) – einer der Gangs von Durán – fand die Polizei eine Sammlung von Plüsch-Krokodilen.
Die meisten der 230 Verdächtigen, die zwischen Januar und April in Durán festgenommen wurden, waren erst zwischen 17 und 18 Jahren alt, erzählt Hadathy. "Und sie haben bereits vier oder fünf Morde begangen."
Grausame Abrechnungen im Stil der mexikanischen Mafia
In Cerro Las Cabras ist die Gewalt allgegenwärtig. Im Februar wurden zwei Erschossene von einer Fußgängerbrücke baumelnd zur Schau gestellt.
Seit Oktober 2021 wurden fast ein Dutzend verstümmelte Leichen entdeckt; erhängt oder enthauptet, Opfer grausamer Abrechnungen im Stil der mexikanischen Mafia, gut sichtbar zurückgelassen von rivalisierenden Kleinhändlerbanden, die allein in Durán nach offiziellen Zahlen rund 1,8 Millionen Dollar (1,72 Millionen Euro) monatlich umsetzen.
Bei ihrer jüngsten Razzia in der Gemeinde wurde die Polizei vom Militär unterstützt. Der Einsatz stand im Zusammenhang mit dem Notstand, der in drei Provinzen Ecuadors verhängt wurde, darunter Guayas mitsamt Durán. "Die Gangs spielen Katz und Maus mit uns", sagt Polizeisergeant Washington Reyes.
Die Kartelle setzen Kinder ein, die Funkgeräte in der Größe eines Feuerzeugs benutzen, um sie vor Polizeioperationen zu warnen.
Der ganze Ort sei "ein Drogen-Supermarkt", sagt Hadathy. "Manche Familien leben vom Verkauf oder erhalten Geld von der Mafia, und der Rest schweigt aus Angst."
Ecuador wurde zum Schlachtfeld rivalisierender Kartelle
Jugendliche sind leichte Beute für die Drogenhändler, betont Gemeindevorsteherin Alexandra Saavedra in Durán. "Wenn sie keine Möglichkeiten haben, Sport zu treiben, und in einem deprimierten Ort leben, werden sie sich natürlich einer Bande anschließen."
Anführer wie Junior Roldan und Ben 10 von der gefürchteten Los-Choneros-Bande und ihrem bewaffneten Flügel Chone Killers stammen den Behörden zufolge aus Cerro Las Cabras, wo sie als Auftragskiller begannen.
Die Gang ist in die blutigen Gefängnisunruhen verwickelt, die Ecuador in den vergangenen Monaten erschütterten. Seit Februar 2021 wurden rund 400 Häftlinge bei grausamen Kämpfen zwischen rivalisierenden Banden getötet.
Auch draußen regiert die Gewalt. Seit Januar kamen in Durán und den benachbarten Städten Samborondón und Guayaquil 363 Menschen durch Delikte im Zusammenhang mit dem Drogenhandel ums Leben.
Guayaquil ist der größte Hafen des Landes und Hauptumschlagplatz für Dutzende Tonnen Kokain auf dem Weg nach Europa und die USA. Allein in Samborondón und Guayaquil wurden in diesem Jahr 43,5 Tonnen Drogen beschlagnahmt.
Ecuador, das an die beiden größten Kokainproduzenten Kolumbien und Peru grenzt, blieb jahrelang von Drogengewalt anderer lateinamerikanischer Länder verschont. Doch inzwischen wurde das Land zum Logistikzentrum für den Drogenmarkt - und ein Schlachtfeld rivalisierender Kartelle.
Titelfoto: MARCOS PIN / AFP