Dating ohne Beziehung: Wie Tinder, Bumble und Co. zur Einsamkeit beitragen
Dresden - Partnersuche findet heute viel auf virtuellem Weg statt. Ein Grund dafür ist auch die Zunahme an Dating-Apps und der Zeit, die wir mit dem Smartphone verbringen. Eigentlich sollten die zusätzlichen Möglichkeiten zu mehr Beziehungen führen, haben jedoch oft einen gegenteiligen Effekt. Das ist auch global zu beobachten.
Dass immer weniger Partnerschaften geführt werden, zeigt die wachsende Anzahl von Single-Haushalten sowie die zunehmende Vereinsamungstendenz. Zudem haben die jüngeren Generationen immer weniger Sex.
Dies hat vielerlei Gründe, doch die Flucht in die Dating-Apps ist die logische Konsequenz. Oder die Ursache?
Dort zeigt sich jedenfalls eine besondere Dynamik, über die vor allem Männer berichten: Man(n) bekommt keine Matches beziehungsweise Dates. Also gar keine.
Natürlich gibt es kein Menschenrecht auf Dates, aber das Phänomen ist dennoch bemerkenswert. Hauptsächlich junge Männer sind von Beziehungslosigkeit betroffen, dabei müsste doch ein halbwegs äquivalentes Interesse beim anderen Geschlecht vorhanden sein, oder?
Der YouTube-Datenanalyst "Memeable Data" hat untersucht, warum Likes und Matches auf Dating-Plattformen nicht gleichmäßig über die Geschlechter verteilt sind.
Mehr Männer als Frauen nutzen Tinder und Co.
Der erste wichtige Punkt betrifft die Geschlechterverteilung.
Etwa zwei Drittel der Nutzer von Tinder und Bumble, den beiden größten Dating-Apps, sind Männer.
Das bedeutet, wenn alle Frauen und Männer die gleiche Wahrscheinlichkeit hätten, ein "Like" zu erhalten, würden Frauen aufgrund der höheren Männerzahl mehr Likes bekommen und damit auch mehr Chancen auf ein Date.
Dies führt unweigerlich zum zweiten Punkt: Unter anderem, um ihre Chancen zu erhöhen, liken Männer viel häufiger als Frauen.
Laut der New York Times geben Männer durchschnittlich dreimal häufiger ein Like an Frauen als umgekehrt. Tatsächlich geben Männer im Durchschnitt 46 Prozent aller Frauen ein Like. Frauen swipen dagegen nur in 14 Prozent aller Fälle nach rechts. Also wenige Frauen geben den vielen Männern wenige Likes. Viele Männer geben den wenigen Frauen dafür viele Likes.
Doch es wird noch komplizierter.
Attraktivität liegt im Auge des Betrachters. Oder doch nicht?
Attraktivität wird zwar subjektiv bewertet, dennoch gibt es allgemeine Tendenzen, die bestimmen, was die Geschlechter anziehend finden.
Männer legen beispielsweise eher Wert auf das Taille-Brust-Verhältnis bei Frauen, während Frauen bei Männern auf Körpergröße und Signale des sozialen Status' achten. Dies sind keine Stereotypen, sondern klare Ergebnisse empirischer Sozialforschung, die weltweit in allen Kulturkreisen zu beobachten sind.
Frauen sind jedoch bei ihrer Bewertung etwas selektiver.
Ein Dateningenieur der Dating-App Hinge verriet in einem Interview mit irl, dass die Hälfte aller Likes der Frauen sich auf nur 15 Prozent der Männer verteilt, während sich die männlichen Likes gleichmäßiger verteilen.
Berücksichtigt man diese Dynamik, wird klar, warum insbesondere Typen über fehlende Dates und Matches klagen: Es gibt zu viele von ihnen, sie gehören nicht zu den bevorzugten 15 Prozent, und Frauen geben sowieso seltener Likes.
Das Problem, oder nennen wir es besser Dilemma, endet hier jedoch nicht.
Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein kann enorm sein
Männer, die viele Dates haben, spüren weniger Druck, sich zu binden, da die Nächste bestimmt kommt. Diese narzisstische Haltung, niemanden zu brauchen und nicht investieren zu müssen, kann wiederum attraktiv wirken.
Andererseits gibt es Männer, die verzweifelt versuchen, eine Freundin zu finden. Sie sind verkrampft, verunsichert und vielleicht sogar ängstlich, was nicht unbedingt als attraktiv empfunden wird.
Beide Verhaltensmuster, aber auch die Kombination aus Überfluss und Mangel kann Verhalten wie Ghosting fördern.
Obwohl laut der Umfrage eines Dating-Portals Frauen offenbar etwas häufiger "ghosten" als Männer, verhalten sich die Herren der Schöpfung ganz genauso.
Und wie steht es um potenzielle Partnerinnen für die Männer?
Sind Dating-Apps besonders für Männer schädlich?
Junge Frauen erhalten nicht nur auf Tinder, sondern generell mehr Aufmerksamkeit als Männer. Manchmal oder vielleicht sogar häufiger in einer Form, die ihnen gar nicht lieb ist.
In unserer Gesellschaft beobachten wir eine wachsende Aufmerksamkeits-Asymmetrie. Dies führt bei einigen Menschen zu einer maßlosen Selbstüberschätzung ihrer Attraktivität, während andere sich benachteiligt fühlen.
Sowohl diejenigen, die übermäßig viel Aufmerksamkeit erhalten, als auch diejenigen, die sich übergangen fühlen, können den Eindruck gewinnen, dass ihnen etwas zusteht. Sie könnten das narzisstische Gefühl haben, die Gesellschaft schulde ihnen etwas.
Laut TechCrunch hat die Dating-Plattform OKCupid festgestellt, dass Frauen 80 Prozent der Männer als "unterdurchschnittlich" attraktiv bewerten.
Das Problem mit Plattformen wie OKCupid ist, dass sie nicht das volle Spektrum dessen vermitteln können, was Männer letztlich attraktiv macht. Es geht nicht nur ums Aussehen; Attraktivität bei Männern wird oft durch das definiert, was sie tun und können, wie sie reden, sich bewegen oder tanzen. Das gilt freilich auch für Frauen, ist aber für sie online offenbar weniger relevant.
Diese eingeschränkte Präsentationsmöglichkeit von Männern auf Dating-Apps und das mangelnde positive Feedback kann dazu führen, dass sie sich in eine passive Rolle gedrängt fühlen. Eine solche Opferhaltung ist nicht nur unattraktiv, sie kann auch zu narzisstischen Verhaltensweisen beitragen.
Die Schönheitsideale auf Tinder, Instagram und Co. können krank machen
Um dem männlichen Geschlecht zu helfen, gibt es immer häufiger "Männer-Coaches". Diese Coaches versprechen, Männern dabei zu helfen, das zu erreichen, von dem sie glauben, dass es ihnen vermeintlich zusteht. Dies könnte als männliches Pendant zur weiblichen Schönheits-OP betrachtet werden, wobei das mittlerweile auch bei Männern ein Thema ist: Attraktivität um jeden Preis.
Manchmal ist der Preis sehr hoch und skurril. So ließ sich ein US-Amerikaner in einer schmerzhaften Prozedur für 81.000 US-Dollar (umgerechnet knapp 74.000 Euro) die Beine verlängern, weil er es satt hatte, wegen seinen 1,65 Metern Körpergröße von Frauen abgelehnt zu werden.
Wahr ist vielmehr, dass er befürchtete, von Frauen abgelehnt zu werden, und die Angst den echten Kontakt verhinderte, wie er indirekt zugab.
Vielleicht wäre er deutlich günstiger gekommen, wenn er sich von Online-Diensten wie Tinder oder auch Instagram getrennt hätte, die entweder unrealistische Schönheitsideale vermitteln (Instagram) oder einem durch ausbleibendes oder oberflächliches Feedback das Gefühl geben, ein unattraktiver Kerl oder eine unattraktive Lady zu sein (Tinder).
Schönheits- und Fitnessbilder, die auf Tinder und Instagram zuhauf zu finden sind, verringern nämlich laut einer australischen Studie die selbst eingeschätzte Attraktivität signifikant. Das Ausmaß dieser Verringerung steht in Verbindung mit Ängstlichkeit, depressiven Symptomen, mangelndem Selbstwertgefühl und Körperunzufriedenheit.
Titelfoto: Bildmontage: 123rf/yacobchuk, Mauro PIMENTEL / AFP