Überwachung im Homeoffice: Das passiert, wenn Chefs ihren Mitarbeitern nicht vertrauen

Bayreuth/Gießen - Sobald der Laptop hochgefahren ist, ploppt das erste Chatfenster auf. Die Chefin wünscht einen guten Morgen, nur wenige Minuten später erkundigt sie sich nach dem Stand des Projekts. Bis zur Mittagspause folgen mehrere Anrufe und E-Mails, oft nur mit vorgeschobenen Fragen.

Eine Frau arbeitet aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus von Zuhause aus. (Symbolbild)
Eine Frau arbeitet aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus von Zuhause aus. (Symbolbild)  © Sebastian Gollnow/dpa

Wenn Mitarbeitende wegen der Corona-Krise nicht mehr im Büro arbeiten, ist die Verunsicherung bei manchen Vorgesetzten groß. Arbeitet der Kollege zu Hause gerade wirklich an dem Projekt? 

Oder räumt er vielleicht die Spülmaschine aus? Doch je mehr die Chefin versucht, mit Nachrichten die Kontrolle zu behalten, desto eher macht sich bei den Mitarbeitenden ein Gefühl von Kontrollverlust breit.

"Wenn ich natürlich das Gefühl habe, jemand sitzt mir im Nacken, habe ich Angst vor Fehlern, Scham und Bestrafung, vielleicht sogar vor Stigmatisierungen", erklärt Tim Hagemann, der an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld die Professur für Arbeits-, Organisations- und Gesundheitspsychologie innehat. 

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"Dann ist das natürlich auch etwas, was psychisch belastend sein kann."

Der Körper schütte in einem solchen Fall Stresshormone aus. "Stress ist immer dann, wenn ich das Gefühl habe, eine Situation nicht meistern zu können", sagt Hagemann. 

Mitarbeitende seien so anfälliger für bakterielle und virologische Erkrankungen. Sie können mit Schlafstörungen kämpfen, leiden langfristig möglicherweise an Problemen mit dem Magen oder dem Herz-Kreislauf-System.

Studie zeigt: Überwachung am Arbeitsplatz macht Leistungsanreize unwirksam

Virtueller Schulterblick: Überwachung am Arbeitsplatz kann Leistungsanreize auch unwirksam machen. (Symbolbild)
Virtueller Schulterblick: Überwachung am Arbeitsplatz kann Leistungsanreize auch unwirksam machen. (Symbolbild)  © Sebastian Gollnow/dpa

Und nicht nur das: Wenn Mitarbeitende das Gefühl einer Überwachung haben, können Anreize des Unternehmens für sie ihren Reiz verlieren. 

"Ein Beispiel ist die Wahl des Mitarbeiters des Monats, die eigentlich motivieren soll", meint Ivo Schedlinsky von der Universität Bayreuth. 

Doch ein Experiment mit 170 Studierenden in Zusammenarbeit mit der Justus-Liebig-Universität Gießen zeigt: Wer bei der Arbeit von einer Kamera beobachtet wird, empfindet einen solchen Leistungsvergleich eher als Kontrolle.

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Vorgesetzte können natürlich nicht einfach eine Kamera bei den Mitarbeitenden daheim installieren. Aber zumindest technisch gibt es bei der Arbeitskontrolle im Homeoffice kaum Grenzen - von der Überwachung der Mausbewegungen, über die Messung von Einschlägen auf der Tastatur bis hin zu Systemen, die sich nach fünf Minuten Inaktivität automatisch auf abwesend stellen.

"Im Extremfall können Arbeitgeber im Prinzip einfach anlasslos zusehen, indem sie den Bildschirm duplizieren und schauen, was der da gerade gemacht", berichtet Joachim Posegga vom Informatik-Lehrstuhl mit Schwerpunkt IT-Sicherheit an der Universität Passau. 

"Technisch wäre das zumindest machbar, aber das wird wahrscheinlich von keinem Betriebsrat toleriert werden." Auch aus juristischer Sicht gibt es Grenzen bei der Überwachung im Homeoffice. 

Heimliche Kontrollen sind nur erlaubt, wenn Vorgesetzte einen "Verdacht auf pflichtwidriges oder strafbares Handeln zu ihren Lasten nur so aufklären können", betont Peter Wedde, Professor für Arbeitsrecht und Recht der Informationsgesellschaft in Frankfurt.

Hat die Überwachung durch den Chef auch Vorteile?

Wer online überwacht wird, kann seine Leistungen auch entsprechend nachweisen und davon profitieren. (Symbolbild)
Wer online überwacht wird, kann seine Leistungen auch entsprechend nachweisen und davon profitieren. (Symbolbild)  © Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa

Doch gerade in den ersten Wochen der Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr sei das teilweise zu beobachten gewesen. 

"Weil Arbeitgeber den Verdacht hatten, dass Beschäftigte mehr im Baumarkt oder im Garten waren als am häuslichen Arbeitsplatz, sollten Detekteien Beschattungsaufträge durchführen", berichtet der Jurist. 

Manche Firmen würden Überwachungen auch mit technischen Schwachstellen und einem höheren Risiko für Hackerangriffe im Homeoffice rechtfertigen.

Dabei muss Kontrolle nicht nur negative Folgen haben. "Wer überwacht wird, dessen Leistung wird auch gesehen", sagt Schedlinsky. Gerade wer sich für eine Beförderung beweisen möchte, könne davon profitieren. Auch Fehler lassen sich dadurch schneller ausbügeln oder sogar vermeiden.

Vor allem Mitarbeitenden mit weniger Erfahrung fehle im Homeoffice außerdem die Rückmeldung von Kollegen oder der Chefin. "Da entsteht die Unsicherheit nicht unbedingt durch Kontrolle, sondern eher durch die Isolation und mangelndes Feedback, das mir sonst hilft, mich selbst einzuschätzen", meint Psychologe Hagemann.

Regelmäßige Nachrichten der Chefin können also auch hilfreich sein. Und auch im Homeoffice kann sie sich natürlich nach dem Stand des Projekts erkundigen, sagt Wedde. Aber umgekehrt gelte genauso: Wenn Mitarbeitende sich normalerweise vor der Kaffeemaschine im Büro über ihre Wochenendpläne unterhalten, dürfen sie das im Homeoffice auch während eines dienstlichen Telefonats tun.

"Gleiches gilt für einen Abstecher in die häusliche Küche für das Kochen eines frischen Tees", meint der Jurist. "Wenn dabei festgestellt wird, dass keine saubere Tasse mehr im Schrank ist, kann die häusliche Spülmaschine bei dieser Gelegenheit ebenso ausgeräumt werden, wie das im Büro auch passieren würde."

Titelfoto: Sebastian Gollnow/dpa

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