Entlastungen über 65 Milliarden Euro, Zuschüsse für Studierende, Rentner und Wohngeldempfänger
Berlin - Die Ampel-Koalition von Kanzler Olaf Scholz (64, SPD) will Bürgerinnen und Bürger angesichts steigender Preise mit einem dritten Unterstützungspaket in Höhe von mehr als 65 Milliarden Euro entlasten.
"Deutschland steht zusammen in einer schwierigen Zeit. Wir werden als Land durch diese schwierige Zeit kommen", sagte Scholz am Sonntag in Berlin bei der Vorstellung der Ergebnisse der Beratungen des Koalitionsausschusses. Die ersten beiden Entlastungspakete hatten zusammen einen Umfang von 30 Milliarden Euro.
Die Spitzen von SPD, Grünen und FDP hatten etwa 18 Stunden lang bis zum Sonntagmorgen über Details verhandelt. Neben Scholz nahmen unter anderem Vizekanzler Robert Habeck (53, Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (43, FDP) an den Beratungen teil. Auch weitere Minister sowie die Spitzen der drei Bundestagsfraktionen und Parteien waren im Kanzleramt versammelt.
Scholz betonte, mit den ersten beiden früher im Jahr beschlossenen Paketen komme man nun auf insgesamt 95 Milliarden Euro. Es gehe um sehr viel Geld, aber die Ausgaben seien notwendig. Zum Ziel der Entlastungen sagte er: "Es geht darum, unser Land sicher durch diese Krise zu führen."
Viele Menschen machten sich derzeit Sorgen. "Wir nehmen alle diese Sorgen sehr, sehr ernst." Erneut betonte Scholz: "You’ll never walk alone, wir werden niemanden alleine lassen."
Putin für schwierige Lage auch in Deutschland verantwortlich
Der Kanzler kündigte an, dass übermäßige Gewinne am Strommarkt abgeschöpft werden sollen. Er sprach von einer "großen und dramatischen Entlastung" auf dem Strommarkt. "Die erste Aufgabe ist also, solche Zufallsgewinne zu nutzen zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger."
Im Beschlusspapier steht dazu: "Zudem werden auf europäischer Ebene Möglichkeiten der Abschöpfung von Zufallsgewinnen von Energieunternehmen diskutiert, die in der aktuellen Marktlage aufgrund des europäischen Strommarktdesigns deutlich über die üblichen Renditen hinausgehen. Dazu gehören insbesondere Erlös- bzw. Preisobergrenzen für besonders profitable Stromerzeuger."
Scholz machte den russischen Präsidenten Wladimir Putin (69) wegen dessen Angriffskriegs auf die Ukraine für die schwierige Lage auch in Deutschland verantwortlich.
Der Krieg habe Folgen auch für Engpässe bei der Energieversorgung: "Putins Russland ist vertragsbrüchig geworden", es erfülle seine Lieferverträge schon lange nicht mehr.
Scholz ergänzte: "Russland ist kein zuverlässiger Energielieferant mehr." Der Kanzler äußerte sich zugleich zuversichtlich, dass man die schwierige Zeit überstehen werde: "Wir werden durch diesen Winter kommen", sagte er.
Die wichtigsten Entscheidungen
Energiepauschale für Rentner und Studierende
Rentnerinnen und Rentner sollen zum 1. Dezember eine einmalige Energiepreispauschale von 300 Euro erhalten. Studierende und Auszubildende sollen einmalig 200 Euro erhalten. Für Berufstätige war bereits eine Energiepreispauschale von 300 Euro auf den Weg gebracht worden.
Ampel-Koalition will Strompreis für Basisverbrauch vergünstigen
Für einen gewissen Basisverbrauch an Strom soll nach dem Willen der Ampel-Koalition künftig ein vergünstigter Preis gelten. Für einen zusätzlichen Verbrauch darüber hinaus wäre der Preis nicht begrenzt.
Neues bundesweites Nahverkehrsticket soll kommen
Die Ampel-Koalition will ein neues bundesweit gültiges Nahverkehrsticket schaffen. Ziel sei eine Preisspanne zwischen 49 und 69 Euro im Monat. Die Länder müssen der Finanzierung noch zustimmen.
Mehr Geld für Kinder und Bedürftige
Koalition will Regelsätze für Bedürftige erhöhen
Mit der geplanten Einführung des Bürgergelds Anfang kommenden Jahres wollen SPD, Grüne und FDP die Regelsätze für Bedürftige auf rund 500 Euro erhöhen. Heute erhalten Alleinstehende in der Grundsicherung 449 Euro pro Monat.
Koalition will Kindergeld um 18 Euro erhöhen
Die Ampelkoalition will Familien spürbar entlasten. So soll das Kindergeld deutlich steigen. Es soll zum Jahresbeginn um 18 Euro monatlich für das erste und zweite Kind steigen.
Bund will Zusatzzahlungen an Beschäftigte steuerfrei stellen
Zusatzzahlungen von Arbeitgebern an ihre Beschäftigten wegen der hohen Preise in Deutschland sollen bis zu einer Höhe von 3000 Euro steuer- und abgabefrei sein. FDP-Chef Christian Lindner sagte: "Wir machen eine steuerfreie Einmalzahlung, also eine Inflationsprämie möglich."
"Der Bund ist bereit, bei zusätzlichen Zahlungen der Unternehmen an ihre Beschäftigten einen Betrag von bis zu 3000 Euro von der Steuer und den Sozialversicherungsabgaben zu befreien", sagte Scholz.
Der Tankrabatt ist wohl vorerst Geschichte.
Bisher wurde bereits der Strompreiszuschlag zur Förderung erneuerbarer Energien (EEG-Umlage) abgeschafft, es gibt eine Energiepauschale von 300 Euro für alle Beschäftigten und eine Einmalzahlung von 100 bis 200 Euro für alle Arbeitslosen. Zudem wurde das Kindergeld einmalig um 100 Euro pro Kind aufgestockt, drei Monate lang, bis August, wurde der Spritpreis gestützt.
Außerdem gab es für die Monate Juni, Juli und August das 9-Euro-Ticket im öffentlichen Nahverkehr.
Scholz rechnet nicht mit großen sozialen Protesten
Scholz rechnet nicht mit Massenprotesten in Herbst und Winter wegen der hohen Energiepreise und der Inflation. Die Energieversorgung sei ausreichend abgesichert, sagte Scholz am Sonntag.
Der Kanzler betonte die beschlossenen Entlastungen, den Zusammenhalt der Gesellschaft und den Sozialstaat. "Wenn einige damit nicht einverstanden sind und die Formeln von Putin rufen, dann sind es eben einige", sagte er mit Blick auf Putin. Die meisten Bürgerinnen und Bürger wüssten, dass es gut sei, in einem wirtschaftsstarken Sozialstaat zu leben.
Gewerkschaften, die Linke und die AfD hatten angekündigt, möglicherweise zu sozialen Protesten aufrufen zu wollen.
Kritik von der Opposition
Das geplante dritte Entlastungspaket der Ampel-Koalition stößt bei den Oppositionsparteien im Bundestag auf Kritik. "Das ist mehr ein Arbeitsprogramm für die Regierung als ein sofort wirkendes Entlastungspaket für die Bürger", sagte Unionsfraktionsvize Jens Spahn (42, CDU) am Sonntag dem Nachrichtenportal T-Online.
Bei vielen wichtigen Punkten gebe es neben Überschriften nichts Konkretes - und beim laut Spahn größten Problem, dem Gaspreis, gebe es eine Leerstelle: "Hier werden die Menschen mit einer Kommission vertröstet."
Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken (64) , bezeichnete das Paket als "vielfach enttäuschend". Deutschland sei damit nicht gut gerüstet für den Winter, sagte er T-Online. "Die Pläne werden die Verarmungslawine, die im Winter über Deutschland rollen könnte, nicht verhindern."
AfD-Parteichef Tino Chrupalla (47) kritisierte die geplanten Maßnahmen laut einer Mitteilung als "kostspielige Symptombekämpfung". Alle Entlastungsmaßnahmen seien nur kurzfristige Lösungen, solange die Ursachen der Preisexplosion nicht angegangen würden.
"Statt staatlicher Umverteilung und planwirtschaftlichen Eingriffen braucht es gezielte Entlastung bei den Verbrauchssteuern auf Lebensmittel und Energie sowie die Abschaffung der CO2-Abgabe."
Erstmeldung: 11.10 Uhr. Zuletzt aktualisiert: 14.10 Uhr.
Titelfoto: Patrick Pleul/dpa