Arme Menschen unerwünscht: Zehntausende verlieren wegen G20 ihr Zuhause
Neu Delhi (Indien) - Am 9. und 10. September findet in Neu-Delhi der G20-Gipfel statt. Für Indien ist das eine Gelegenheit, sich der Welt zu präsentieren. Doch Zehntausende der ärmsten Menschen der Stadt sind den Behörden ein sichtbares Übel. Zur Verschönerung der Gegend vor dem politischen Gipfeltreffen werden die Bewohner in den sogenannten Slums seit Monaten aus ihren Häusern vertrieben.
Doch die Zerstörung der Elendsviertel hat nicht etwa zur Folge, dass den Menschen woanders ein neues Zuhause angeboten wurde. Dahinter steckt allein das Vorhaben, das Image der indischen Hauptstadt zu verbessern, bevor beim 18. Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der G20 Delegationen von Politikern aus aller Welt zusammenkommen.
Besonders betroffen von den Maßnahmen sind die umliegenden Slums in der Nähe des Kongresszentrums "Pragati Maidan", wo das Treffen stattfinden wird.
Die meisten Menschen dort lebten bereits seit Jahrzehnten in den Armensiedlungen. Bis die Bulldozer vor Monaten zum ersten Mal auftauchten und die Blechhäuser der verzweifelten Bewohner abrissen. Zum Hunger kommt nun auch noch die Obdachlosigkeit hinzu.
"Wir hatten solche Angst", sagte Jayanti Devi gegenüber CNN. Die 56-Jährige habe noch versucht, die Überreste ihres Hab und Guts zu retten. Doch "sie haben alles zerstört. Wir haben nichts mehr". In den vergangenen 30 Jahren stand ihr Haus auf einem heruntergekommenen Bürgersteig. Daneben: ein offener Abwasserkanal. Gegenüber: der "Pragati Maidan"-Komplex.
Devis bescheidene Wohnung ist nun nicht mehr da und Politiker wie Bundeskanzler Olaf Scholz (65, SPD), US-Präsident Joe Biden (80), Frankreichs Staatsoberhaupt Emmanuel Macron (45) oder der britische Premierminister, Rishi Sunak (43), werden sie somit auch nicht zu sehen bekommen.
Bettler sollen verschwinden, um ausländische Politiker zu beeindrucken
Devi gehört zu den Zehntausenden vertriebenen Bewohnern Neu-Delhis, deren Unterkünfte im Vorfeld des G20-Gipfels am stärksten von den Abriss-Aktionen betroffen waren. Doch die Zerstörung geht in weiteren Armenvierteln der ganzen Stadt weiter.
Die indische Regierung rechtfertigte ihre Anordnung laut CNN damit, dass die Häuser "illegal" errichtet worden seien und erklärte, dass sie beabsichtige, einige Betroffene in neue Wohnungen umzusiedeln.
Aktivisten kritisierten unlängst den Zeitpunkt der Vorgänge in den Slums und behaupteten, dass die Abrissarbeiten Teil eines "Verschönerungs"-Projekts seien, bei dem sich die Stadt von ihren Bettlern und Armenvierteln befreit, um ausländische Würdenträger zu beeindrucken.
Indiens Premierminister, Narendra Modi (72), wolle auf dem G20-Gipfel das Bild Indiens als moderne Supermacht vermitteln, die ein Anführer des globalen Südens und eine Stimme für verarmte Nationen ist, hieß es in der Kritik weiter.
Die Aktivisten warfen der Regierung auch vor, eines der tiefgreifendsten Probleme des Landes zu verheimlichen. "Was mir am meisten auffällt, ist, dass Indien (...) sich für die Armut schämt", sagte Harsh Mander. Der Sozialarbeiter kümmert sich um obdachlose Familien und Straßenkinder.
Der indische Staat "will nicht, dass die Armut für die Menschen, die hierher kommen, sichtbar wird", fügte der Aktivist hinzu.
In einer schriftlichen Antwort im Parlament im Juli bestritt die indische Regierung jegliche Verbindung zwischen den Hauszerstörungen und dem G20-Gipfel. Auf Presseanfragen diesbezüglich hat die Regierung bislang nicht reagiert.
Titelfoto: Chandan Khanna / AFP