Pirna-Sonnenstein vor 80 Jahren: Hier begann das Probe-Töten für Auschwitz

Pirna - Sachsen pflegt eine vielfältige Gedenklandschaft zur Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten - mit Geld, Personal, Bibliotheken und Bildungsangeboten. Doch nichts ersetzt den persönlichen Eindruck. Zu den furchtbarsten, weil authentischsten Orten gehört Pirna-Sonnenstein. Hier begann vor 80 Jahren der Testlauf für Auschwitz!

Die ehemalige Gaskammer. Hier wurden 1940 bis 1941 fasst 15.000 Menschen umgebracht. Erst kürzlich entdeckte man links in der Wand den vermauerten Zugang.
Die ehemalige Gaskammer. Hier wurden 1940 bis 1941 fasst 15.000 Menschen umgebracht. Erst kürzlich entdeckte man links in der Wand den vermauerten Zugang.  © Marko Förster

Zwei winzige Püppchen liegen in einer Vitrine. Sie waren Spielzeug und Schmuck eines Kindes, das 1940/41 auf dem Pirnaer Sonnenstein starb; gefunden in einem Hang aus Menschen-Asche, der auf der Ostseite ins Elbtal abfällt.

"Die Nazis ermordeten hier 13.720 Kranke, Alte und Invalide", sagen Boris Böhm (59) und Hagen Markwardt (37). Der Direktor der Gedenkstätte, sein Wissenschaftlicher Referent und ein Freiwilligenteam halten die Erinnerung an die Opfer wach, geben ihnen Namen und Gesicht zurück.

"Sie wurden vergast. Auf die gleiche Weise wurden 1031 KZ-Häftlinge umgebracht, darunter Hunderte aus Auschwitz." Der Testlauf für die spätere Todesfabrik dort.

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Ausgerechnet auf dem Gelände einer alten Pflegeanstalt wurden in Pirna nun Menschen umgebracht, weil sie "anders" oder einfach nur krank waren.

In einem Keller entstand ein Todesbetrieb: Vorne die Auskleide, dann die Gaskammer, dann der Leichenraum. Hinten Krematorium und Heizraum. Die Hölle organisiert auf einer Etage.

Besonders pervers: Mindestens eine Vergasung wurde gefilmt

Aus der Totenasche geborgen: zwei Püppchen eines Opfers.
Aus der Totenasche geborgen: zwei Püppchen eines Opfers.  © Marko Förster

"Dem vorgeschaltet war eine Tarnkulisse", so Markwardt. Den Kranken, die aus anderen Pflegeanstalten wie Waldheim, Arnsdorf oder Großschweidnitz kamen, wurde eine Verlegung vorgegaukelt - mit Anmeldung und Untersuchung.

Ärzte, Schwestern und Pfleger geleiteten sie bis zur letzten Tür. Auch das "Danach" betreute ein ganzer Stab. "Im Nachbarhaus gab es ein Sonderstandesamt, eine Nachlassstelle, eine Effektenkammer", so Markwardt. "Ein Sekretariat fälschte 'Trostbriefe' sowie Todesdatum und -ursache."

Besonders pervers: Mindestens eine Vergasung wurde gefilmt. Für eine geplante Doku über "Unwertes Leben". "Die Kranken dafür wurden regelrecht gecastet", sagt Markwardt.

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Tag und Nacht arbeiteten die Öfen. So sehr, dass der Geruch über der Stadt waberte. Doch als der überlastete Schornstein brannte, musste die Feuerwehr am Tor des abgeschotteten Geländes wieder umdrehen.

Schon 1942 erinnerte nichts mehr im Areal an die erste industriell betriebene Gaskammer der Welt. Nur die Asche der Opfer - sie liegt bis heute am zugewachsenen Elbhang unter dem Schloss ...

Mordprogramm unter dem Decknamen "T4"

Selbst nach dem Tod entwürdigten die Mörder ihre Opfer: Die Asche der Ermordeten wurde an einen Hang geschüttet.
Selbst nach dem Tod entwürdigten die Mörder ihre Opfer: Die Asche der Ermordeten wurde an einen Hang geschüttet.  © Marko Förster

•Das Gelände der Todesfabrik auf dem Sonnenstein diente ursprünglich einem guten Zweck: 1811 als Königlich Sächsische Heil- und Pflegeanstalt gegründet, wurden hier Behinderte betreut. Aber auch Menschen, die nach heutigem Verständnis einfach Burn-out hatten. Schließung 1939.

•Nach dem Stopp der Vergasungen wurde der Keller "neutralisiert", der Schornstein verschwand. Es entstand ein Lazarett. Nach dem Krieg kam die Kasernierte Volkspolizei unter.

Die Gedenkstätte öffnete im Jahr 2000. Inzwischen sind die wieder kenntlich gemachten Räume Ausstellungs- und Trauerort. 2019 kamen 15.794 Menschen zu Besuch, 2000 mehr als im Jahr 2018.

•Die Tötungsaktion der Nazis trug den Decknamen "T4". Unter der Adresse Tiergarten 4 residierte die koordinierende NS-Anstalt. Erste Vergasungen wurden Januar 1940 in Grafeneck und Februar in Brandenburg a.d. Havel durchgeführt.

Pirna vergaste erstmals am 28. Juni 1940. Im August 1941 wurde "T4" nach Protesten Verwandter und der katholischen Kirche eingestellt, zugleich liefen an anderer Stelle ähnliche Aktionen an.

Gedenkstätten-Referent Hagen Markwardt (37, r.) erklärt TAG24-Reporter Torsten Hilscher (51) die Ausstellung im Keller.
Gedenkstätten-Referent Hagen Markwardt (37, r.) erklärt TAG24-Reporter Torsten Hilscher (51) die Ausstellung im Keller.  © Marko Förster
Mit solchen "Trostschreiben" versuchte die NS-Bürokratie, Angehörige über die wahren Todesursachen ihrer Lieben zu täuschen.
Mit solchen "Trostschreiben" versuchte die NS-Bürokratie, Angehörige über die wahren Todesursachen ihrer Lieben zu täuschen.  © Marko Förster

Titelfoto: Marko Förster

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