"Mit mir nicht mehr!": Wirt von Sachsens berühmtester Kneipe wirft hin
Von Jan Berger
Leipzig - Der Wirt von Sachsens berühmtester Kneipe wirft hin. Seit 2006 war Bernhard Rothenberger (57) mit seiner Frau Christine (55) Chef von „Auerbachs Keller“. Im Januar übergibt er das weltweit renommierte Gasthaus an seinen langjährigen gastronomischen Leiter.
Grund: Er möchte die Bevormundungen durch die Politik nicht mehr ertragen müssen. Besonders das 2015 verschärfte Arbeitszeitgesetz ließ in ihm den Entschluss reifen: „Ich will nicht in der Planwirtschaft arbeiten!“
Als das Ehepaar vor elf Jahren „Auerbachs Keller“ übernahm, wurde ein Lebenstraum wahr. Bernhard Rothenberger: „Es hat uns riesige Freude gemacht, ein Haus mit solch einer Geschichte gestalten zu können - grandios!“ Viel Herzblut floss ins Unternehmen. Bis 2014 steigerte sich der Umsatz von 4,5 auf 8,5 Millionen Euro, die Belegschaft wuchs von 76 auf 126 Vollbeschäftigte.
Mit 16 hat Rothenberger als Kellner angefangen, reifte später zum Marketing-Experten. Das Wichtigste ist für ihn immer der Gast:
„Der Kunde ist König, so habe ich das Gastronomie-Geschäft von der Pike auf gelernt. Das Restaurant ist meine Wohnstube, die Gäste sind Freunde.“ Dass er mit „Auerbachs Keller“ auch recht gut Geld verdient, verhehlt er nicht. Doch die Goldgrube gibt er jetzt auf, weil er seinen Job - nämlich Gäste glücklich machen - nicht mehr ausüben kann.
Der Bruch kam 2015. Zwar kämpfte er bereits vorher tapfer gegen die Mühlen der Bürokratie, doch man konnte sich arrangieren. Es geht auch keinesfalls um den damals beschlossenen Mindestlohn. Dafür arbeiten die von ihm benötigten Fachkräfte ohnehin nicht. Den Nackenschlag versetzte ihm das Arbeitszeitgesetz.
Das sieht vor, dass Angestellte maximal zehn Stunden am Tag und 48 in der Woche arbeiten dürfen - dazu maximal 15 Sonntage im Jahr. Das alles muss mit sämtlichen Pausen und Überstunden penibel dokumentiert werden - für die Behörden auch nach zwei Jahren nachvollziehbar. Es drohen Strafen bis zu 500.000 Euro.
Während der Küchenchef den Wochendienstplan für 25 Leute früher in zwei Stunden erstellte, benötigt er nun einen kompletten Arbeitstag.
Der Ausweg, auf ein Zwei-Schicht-System umzustellen, scheiterte am Bedarf. So musste das Wirtsehepaar eine folgenschwere Entscheidung treffen: Statt von 11.30 Uhr bis Mitternacht öffnet „Auerbachs Keller“ nur noch von 12 bis 22 Uhr. Gegen 21 Uhr fängt die Küche an zu putzen, Pech für hungrige Kunden. Rothenberger: „Viele Gäste aus Südeuropa fühlen sich vor den Kopf gestoßen, dort isst man nun einmal später.“
Goethes Stammlokal ist keine Ausnahme. Vor fast allen klassischen Restaurants werden neuerdings ab zehn Uhr abends die Bürgersteige hochgeklappt - egal ob in Leipzig, Dresden oder Chemnitz. Geöffnet bleibt die Systemgastronomie oder der Döner-Laden - hier kann man sich ein Mehrschichtsystem leisten.
Wer meint, dass wenigstens die Angestellten durch das schärfere Arbeitszeitgesetz gewinnen, irrt sich auch. Rothenberger: „Es gibt vielfältigste Gründe, warum die Leute auch wirklich gern mehr als zehn Stunden am Tag arbeiten möchten.“ Etwa der junge Koch, der ein Haus baut. Er braucht das Geld und wäre ständig dienstbereit. Oder die Kellnerin, die in zwei Wochen lieber sieben 12-Stundenschichten schieben würde - dann hat sie an den freien Tagen viel mehr von ihren Kindern.
Und dann wäre da noch der „beste Barkeeper“, den Rothenberger je kannte. Um einmal im Jahr für mehrere Wochen seine Tochter in Australien zu besuchen, schob er Dauerdienste. Als er das wegen des neuen Gesetzes nicht mehr durfte, wählte der 63-Jährige den Vorruhestand.
Bernhard Rothenberger: „Es ist ein Drama, wie die Politik mit einem Federstrich so massiv in die Lebensplanung der Leute eingreift.“ An Scheinheiligkeit nicht zu überbieten sei für ihn der Fakt, dass Polizisten, Krankenhausärzte und Feuerwehrleute - alles Berufe unter staatlicher Obhut - zu 12-Stunden-Schichten und länger gezwungen werden.
Verlierer der neuen Regelung sind aber auch Staat und Kommunen. Durch die reduzierten Öffnungszeiten schrumpfte das Personal auf 99 Mitarbeiter, der zu versteuernde Umsatz sank auf sieben Millionen.
Am Silvesterabend 2015 reflektierte das Wirtsehepaar den Wandel. „Wie lange willst du noch als Don Quijote gegen die Mühlen kämpfen?“ fragte Christine. „Unsere Öffnungszeit wird nicht von den Kunden bestimmt, sondern von der Politik.“ Und Bernhard wurde klar: „Das hat mit freiem Unternehmertum nichts zu tun. Das ist Planwirtschaft!“
Wenig später stürmte zur besten Abendzeit eine zwölfköpfige Einheit des Zolls - bewaffnet mit Maschinenpistolen - das Restaurant: Kontrolle des Arbeitszeitgesetzes. Gefunden wurde freilich nichts, doch der Schaden für den Wirt war ein totaler.
Rothenberger: „In welchem Land lebe ich denn, wenn ich in meinem Wohnzimmer vor meinen Freunden kriminalisiert werde?“ Auch wenn die uniformierte Einheit nach 150 Minuten ergebnislos wieder abrückte - bei den Gästen blieb etwas hängen. Und beim Wirt reifte der Entschluss: „Mit mir nicht mehr!“