Kopfschuss von hinten im Namen des Volkes

Von Pia Lucchesi
Dresden - Eine ehemalige Hausmeisterwohnung in einer Leipziger Strafanstalt in der Südvorstadt war die zentrale Hinrichtungsstätte der DDR. Auf den Tag genau vor 35 Jahren wurde dort das letzte Todesurteil in der DDR vollstreckt und Werner Teske als vermeintlicher „Verräter“ erschossen.
Es ist kurz nach 10 Uhr vormittags, als Todeskandidat Werner Teske (39) in den Hinrichtungsraum geführt wird.
Der Scharfrichter tritt unbemerkt von hinten an den Hauptmann des Ministeriums der Staatssicherheit heran, jagt ihm eine Kugel in den Kopf.
Noch am gleichen Tag äschert man den Leichnam des Berliners auf dem Leipziger Südfriedhof ein. Der Name Teske wird fortan aus allen Urkunden und Zeugnissen ausgelöscht.

Seine Frau und Tochter erhalten eine neue Identität. Erst Jahre später, nach dem Sturz des SED-Regimes, erfahren sie von der Vollstreckung des Todesurteils.
Hinrichtungen waren in der DDR ein Staatsgeheimnis. Mit der Tötung von Werner Teske wollten die Stasi und der zuständige Militärstrafsenat am Obersten Gericht ein Exempel statuieren.
Der promovierte Volkswirt hatte im Verhör gestanden, über eine Flucht in den Westen nachzudenken. Der Gedanke kam ihm in trüben Stunden: Teske hatte an der Humboldt-Universität studiert.
Als überzeugter Kommunist ließ er sich von der Staatssicherheit als inoffizieller Mitarbeiter anwerben. Zwei Jahre später machte ihn das MfS zum „Hauptamtlichen“.
Teske vermisst dort das wissenschaftliche Arbeiten. Aus Frust denkt er darüber nach, die DDR zu verlassen.

Stasi-Chef Erich Mielke lieferte 1980 in einer „Geheimen Verschlusssache“ das Motiv für die harte Bestrafung von Verrätern aus den eigenen Reihen: „Verrat ist das schwerste Verbrechen, welches ein Angehöriger des MfS begehen kann. Die Partei und die Arbeiterklasse haben unserem Ministerium wichtige Aufgaben zum Schutz der Arbeiter-und-Bauern-Macht anvertraut, haben bedeutsame Machtmittel in unsere Hände gelegt. Wer dieses Vertrauen durch schmählichen Verrat hintergeht, den muss die härteste Strafe treffen.“
In dem Dokument des Ministers heißt es weiter: „Wir sind nicht davor gefeit, dass wir mal einen Schuft unter uns haben. Wenn ich das schon jetzt wüsste, würde er ab morgen nicht mehr leben. Kurzen Prozess. Weil ich ein Humanist bin. Deshalb habe ich solche Auffassung.[...] Das ganze Geschwafel, von wegen nicht hinrichten und nicht Todesurteil – alles Käse, Genossen. Hinrichten, wenn notwendig auch ohne Gerichtsurteil.“

Werner Teske war vor 35 Jahren der letzte Mensch, der in Deutschland hingerichtet wurde. Die Bundesrepublik hatte die Todesstrafe bereits 1949 abgeschafft. Der Arbeiter- und Bauernstaat folgte erst 1987.
„In der DDR konnten mit dem Tode NS-Verbrechen, Mord und schwere Staatsverbrechen sowie Spionage bestraft werden“, sagt Tobias Hollitzer vom Verein Bürgerkomitee Leipzig. Der Verein betreibt in der „Runden Ecke“ ein Museum, das sich der Arbeit des MfS widmet.
„Die Straftatbestände waren zweitrangig, die Todesstrafe war politische Verfügungsmasse der SED-Spitze“, fügt Hollitzer hinzu. Verurteilte mit NS-Vergangenheit mussten sterben, weil die DDR-Staatsführung unter Beweis stellen wollte, dass mit dem Faschismus gründlicher abgerechnet wurde als in der Bundesrepublik.
Die DDR schaffte die Todesstrafe 1987 auch offiziell ab. Der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker wollte das damals als Geste der Menschlichkeit verstanden wissen.
Zufall? Genau zu dieser Zeit stand auch der erste offizielle Besuch eines Staatsoberhaupts und Regierungschefs der DDR in der Bundesrepublik an.

160 Urteile wurden vollstreckt - mindestens

Die Gerichte der DDR verhängten seit Gründung der Republik im Jahre 1949 insgesamt 231 Todesurteile. Gesichert ist, dass davon 160 vollstreckt wurden. Bei fünf Fällen ist bis heute nicht geklärt, ob die Todesstrafe tatsächlich angewandt wurde.
Die Urteile wurden 52 Mal wegen politischer Delikte, 64 Mal wegen Nazi-Verbrechen und 44 Mal wegen gewöhnlicher Kriminalität ausgesprochen.
Die zum Tode Verurteilten richtete man zunächst mit einer so genannten „Fallschwertmaschine“ (Guillotine).
Ab Ende der 1960er-Jahre war im Strafgesetzbuch der DDR festgelegt, dass der Henker seine Opfer mit einem „unerwarteten Nahschuss ins Hinterhaupt“ zu töten hatte. 30 Verurteilte starben bis 1981 auf diese Weise.
Runde Ecke dient weiter als Museum

Der Verein Bürgerkomitee Leipzig erinnert an die dunklen Machenschaften der ehemaligen Staatssicherheit (MfS) und die Aufarbeitung der Geschichte.
Im August 1990 eröffnete der Verein in der „Runden Ecke“ - den originalen Räumen der ehemaligen Bezirksverwaltung - die Schau „Stasi – Macht und Banalität“.
Neben diesem Museum betreut das Bürgerkomitee noch einen alten Stasi-Bunker in Machern. Mitglieder des Vereins führen heute auch anlässlich des 35. Jahrestages der letzten Hinrichtung durch die ehemalige zentrale Hinrichtungsstätte.
Adresse: Alfred-Kästner-Straße, Eingang Arndtstraße. Führungen von 11 bis 16 Uhr.

Fotos: Wikipedia/BStU, Imago, dpa/Hendrick Schmidt, Colourbox
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