Gemobbt, geschlagen und erniedrigt: Eine Transgender-Frau wehrt sich
Frankfurt/Darmstadt - Stell Dir vor, Du wirst auf offener Straße bespuckt, beleidigt, jeden Tag aufs Neue erniedrigt und manchmal sogar zusammengeschlagen. Du erlebst die Hölle auf Erden – nur weil du nicht der gesellschaftlichen Norm entsprichst.
Colleen (24) wurde als Junge geboren. Das sie anders ist, sich anders fühlt, bemerkt sie bereits mit sechs Jahren. Ein Kindergedanke damals, erzählt sie TAG24. In der Grundschule wird ihr gesagt: Wenn du ein Mädchen sein willst, dann bist du eben schwul.
Mit 14 beginnt sie sich zu schminken. Sich hübsche Kleider anzuziehen. Drei Jahre später ist sie sicher: "Ich bin im falschen Körper geboren." Ausschlaggebend ist ein Gespräch mit einem homosexuellen Mann. "Da wurde mir klar, ich bin nicht schwul. Das ist ein Mann, der auf Männer steht und ich fühle mich innerlich als Frau", so die 24-Jährige heute.
Sie ist 18, als sie sich für eine Hormonbehandlung entschließt. Dafür entscheidet, auch äußerlich eine Frau zu werden. Brüste haben zu wollen und irgendwann auch eine Vagina.
Ihre Eltern, bei denen sie noch wohnt, sind dagegen. Sie zieht in eine nahe gelegene 1-Zimmer-Wohnung, weil sie es daheim nicht mehr aushält. Das Verhältnis ist schwierig. Die Miete wird von Mutter und Vater bezahlt, auch für Lebensmittel bekommt sie einen Zuschuss. Für alles andere muss sie selbst sorgen. Hartz V oder sonstige Unterstützung bekommt sie nicht, weil sie nach Auffassung der Behörden noch bei ihren Eltern wohnt, da diese ihre Miete zahlen.
In dem kleinen Dorf, in dem sie aufwächst, wird sie nun zur Zielscheibe. "Ich war am Anfang meiner Umwandlung. Jeder konnte es sehen. Ich wurde deswegen diskriminiert, auf offener Straße bespuckt und geschlagen. Die Leute haben damals sehr aggressiv reagiert", schildert die Blondine ihre Erlebnisse.
Zweimal wird sie in dieser Zeit ein Opfer von sexueller Gewalt. Sie schluckt bei dem Thema, will nicht weiter darauf eingehen.
Auch Arbeit findet sie in dieser Zeit keine. Nach und nach wird der Stapel an unbezahlten Rechnungen immer höher. Schulden sammeln sich an. Freunde aus der LGBT-Szene (Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender) helfen ihr ab und zu mit Geld aus. Ein Jahr lang boxt sie sich so durch. Doch irgendwann ist Schluss.
In ihrer Verzweiflung meldet sie sich auf einer Escort-Seite für Transsexuelle an. Jemand hat ihr erzählt, dass sie damit viel Kohle machen kann. Geld, dass sie dringend braucht. Sie macht Bilder von sich in sexy Pose und verführerischem Blick.
"Es war erniedrigend und einfach nur furchtbar", erinnert sie sich an diese Zeit zurück. "Ich war ein trauriger Escort, der kurz vor dem Selbstmord stand."
Nach ein paar Monaten sind ihre Schulden bezahlt und sie hat genug Geld zusammen, um die Kaution für eine eigene Wohnung zu stellen, in eine größere Stadt zu ziehen. Dem Dorf und den Menschen mit all ihren versteckten und offenen Anfeindungen zu entkommen.
Sie bekommt jetzt Hartz IV, kann so ihre Wohnung finanzieren, sich etwas zu Essen kaufen. Der Beginn eines neuen Lebens.
"Ich habe mir dann einen Job gesucht, meinen jetzigen Freund kennengelernt und mein Leben umgestellt. Es ging alles weiter. Es kam die Namensänderung und die letzten Schritte der Umwandlung", offenbart die 24-Jährige.
Auch mit ihren Eltern hat sie wieder Kontakt: "Ich habe ihnen alles erzählt was damals war, auch das mit dem Escort. Es hat meinen Eltern wahnsinnig leidgetan, dass das alles passiert ist, weil sie wussten, dass sie auch ein Stück weit dafür verantwortlich waren."
Die Eltern sind bei der ersten Wiederbegegnung überrascht von ihrer Verwandlung, sehen wie glücklich ihre Tochter ist. "Früher (vor der Transition, Anmerkung der Redaktion) war ich sehr oft einfach nur traurig und danach war ich richtig, richtig glücklich", bekennt sie. "Ich habe meinen Eltern vergeben." Mittlerweile unterstützen ihre Eltern ihre Tochter wo sie nur können. "Sie sind stolz auf mich und helfen mir in jeder Situation. Ihre Meinung zu dem Thema hat sich komplett gewandelt."
Mit langen blonden Haaren und in einem roten Blümchenkleid sitzt sie da, knetet nervös ihre Hände, während sie von ihrer Vergangenheit erzählt. Eine junge Frau, die so viel durchgemacht hat, die so viel Schlimmes erleben musste. Die durch die Hölle gegangen ist – und überlebt hat.
Ihre Geschichte hätte nun glücklich enden können. Doch es ist noch nicht vorbei. Sie muss erneut über glühende Kohlen laufen.
Mit 22 entschließt sie sich das Fachabitur in Verbindung mit einer kaufmännischen Ausbildung zu machen. Ihren Mitschülern erzählt sie nicht, dass sie früher ein Mann war. "Mein Dasein als Transfrau hat für mich gar nicht mehr existiert, in den zwei Jahren davor hatte ich meinen Job, meine Freunde… Es war kein Thema für mich mehr."
Doch nur ein paar Wochen später wissen ihre Mitschüler Bescheid. "Jemand kennt jemanden, man weiß ja wie das ist. Dann hat es auch direkt angefangen mit Sprüchen wie ‚Du scheiß Transe‘. Viele wollten nicht mehr neben mir sitzen, nicht mal in meiner Nähe sein", so die junge Frau.
Irgendwann erzählt sie es ihrem Lehrer. Eine Person wird zu Rede gestellt. Doch das Martyrium hat kein Ende.
"Es wurden dann eben neue Sachen gesucht, um mich fertig zu machen", so die 24-Jährige. "Leute machten Screenshots von meinem Instagram- und Facebook-Profil, schrieben Beleidigungen auf die Bilder und sendeten sie weiter."
Auch ihr Freund wird angegangen, erzählt sie. "Es kamen Sprüche wie ‚Was ist das für ein ehrenloser, wie kann man mit einer scheiß Transe zusammen sein?!"
Ein Mädchen aus ihrer Parallelklasse zeigt ihr die Bilder auf Snapchat. Sie ist geschockt, stellt ihre Profile auf privat, postet immer weniger.
Wochen und Monate vergehen. In einer Unterrichtsstunde wird ein Vortrag über Homophobie und Transphobie gehalten. Es gibt sogar eine Lehrer-Konferenz, bei der besprochen wird, ob Handys in der Schule verboten werden sollen. Doch es ändert sich nichts.
Dann der Super-Gau: Ein Mitschüler, berichtet sie, findet Bilder aus ihrer Escort-Zeit in einem Forum. Dazu eindeutige Beiträge. "Mir wurde unglaublich schlecht, als diese Sache rauskam. Ich wurde ausgelacht, es wurde überall rumgeschickt. Es nahm so ein Ausmaß an, dass mich sogar fremde Leute auf der Straße deswegen angesprochen haben."
Jeden Tag kommt sie nach Hause und weint, kann nicht mehr richtig schlafen. Sie wird depressiv. Drei Monate lässt sie all das über sich ergehen. "Ich habe versucht es zu ignorieren, habe mich wahnsinnig dafür geschämt. Natürlich ist es was anderes zu Lehrern zu gehen und zu sagen ‚Ich werde gemobbt, weil ich Transgender bin‘, als zu sagen ‚Ich werde gemobbt, weil ich einen Fehler in der Vergangenheit gemacht habe", beichtet die Schülerin.
Irgendwann nimmt sie ihren Mut zusammen und spricht mit dem Vertrauenslehrer der Schule. Dann steht sie vor der versammelten Klasse, bittet ihre Mitschüler mit dem Mobbing aufzuhören. Eine Anzeige wäre ansonsten der nächste Schritt.
Für wenige Wochen hören die Demütigungen und Beleidigungen auf. Dann geht es wieder los. "Plötzlich ging es um mein Gewicht. Dass ich zu dick wurde, zu fett sei und es wurden heimlich Fotos von mir gemacht und mit Beleidigungen versehen."
"Zu diesem Zeitpunkt wusste ich dann: Es wird sich nie etwas ändern." Kurz vor ihrem Auslands-Praktikum geht sie zur Polizei, zeigt ihren schlimmsten Peiniger an. Das war vor fast zwei Monaten.
Sechs Wochen ist sie in Dublin, findet endlich wieder zu sich selbst. Dann fasst sie den Entschluss mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen, in einem Video über ihre schlimmen Erlebnisse zu berichten. "Ich wollte den Leuten zeigen, dass ich mich nicht mehr für mich und meine Vergangenheit schäme. Das ich keine Angst mehr habe. Während meines Auslands-Praktikums konnte ich viel nachdenken und habe eine persönliche Transformation durchlebt", so die 24-Jährige.
"Ja, ich bin ein Opfer von Mobbing. Aber ich wehre mich jetzt dagegen. Ich werde jetzt für mich und meine Rechte einstehen. Ich möchte mich nicht mehr schämen und anderen Betroffenen damit Mut machen, auch für sich einzustehen und zu kämpfen."
Mittlerweile sind die Briefe mit den Vorladungen angekommen. Die Schule beginnt in einer Woche.