Von wegen Erzgebirge! Hier kommen Pyramide und Bergmann wirklich her

Dresden - Muss Sachsens Geschichte umgeschrieben werden? Bergmannsfigur und Schwibbogen, Pyramide und Türke - bislang galt als sicher, dass der Weihnachtsschmuck im Erzgebirge erfunden wurde. Doch nun spricht viel dafür, dass alles ganz anders war.

Igor Jenzen (64) vor einem Bergwerksmodell in seinem Museum.
Igor Jenzen (64) vor einem Bergwerksmodell in seinem Museum.  © Holm Helis

Igor Jenzen (63), Direktor des Museums für Sächsische Volkskunst in Dresden, glaubt, die Beweise zu haben: Die Kunst aus dem Erzgebirge hat in Wirklichkeit ihren Ursprung in Dresden - und das hat mit August dem Starken zu tun.

Der Legende nach haben arme Bergmänner sich nach ihrer harten Arbeit durch Schnitzereien etwas dazu verdient.

Der Schwibbogen soll dem halbrunden Stolleneingang (Mundloch) nachempfunden sein, in den die Bergleute zur letzten Schicht vor Weihnachten ihre Lampen hingen.

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Erzgebirge Im Erzgebirge entsteht ein neues Bergwerk

Vorbild für die Pyramide soll der Pferdegöpel sein, mit dem das Erz nach oben befördert wurde. Und bei allem drücke sich die Sehnsucht des Bergmanns nach Licht aus.

Stimmt nicht, sagt Museumsdirektor Jenzen: "Ich bezweifle die Logik, dass die Situation im Berg die Weihnachtsbeleuchtung hervorgebracht hat."

Es hätten nämlich nur wenige Bergleute im Berg gearbeitet und auch die nicht von morgens bis abends. "Mittags war Schichtwechsel. Sie haben also alle die Sonne gesehen", sagt Jenzen.

Der Experte ist sich sicher: Die Geburtsstunde der als typisch erzgebirgisch geltenden Formensprache war 1719 - also vor exakt 300 Jahren. Damals ehelichte der Sohn Augusts des Starken die österreichische Kaisertochter Maria Josefa.

Saturnfest Ausgang aller Erzgebirgskunst?

Der Schwibbogen soll den Arkaden des Saturntempels nachempfunden sein.
Der Schwibbogen soll den Arkaden des Saturntempels nachempfunden sein.  © imago/Rainer Weisflog

Zu den zahllosen Feierlichkeiten in Dresden gehörte auch das sogenannte Saturnfest im Plauenschen Grund am 26. September 1719. Und dabei muss es passiert sein.

Jenzen: "Ich habe festgestellt, dass dort alle Elemente der späteren erzgebirgischen Weihnacht eine Rolle gespielt haben. Die Pyramide, der Schwibbogen, der paradierende Bergmann und die Türkenfigur."

Bergmänner aus dem Erzgebirge waren bei dem Fest eine zentrales Element. 1400 von ihnen marschierten, erstmals in schicke Uniformen gesteckt, in einer Parade vor den Saturntempel - Vorbild aller heutigen Bergparaden und auch der Bergmannfigur.

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Den Tempel zierten mit Fackeln bestückte Arkaden und mit Lampen geschmückte Obelisken. Erstere sind nach Jenzens Überzeugung Vorbild für den Schwibbogen, letztere für die Pyramiden.

Und die Türkenfigur? Sie entsprang einem geradezu abenteuerlichen Umstand: Die Bergmänner mussten bei ihrem Zug Schätze aus dem Grünen Gewölbe präsentieren. Um diese aber zu schützen, wurde alles von Soldaten bewacht, die als exotische "Türken" verkleidete waren.

"Für die Bergleute war das ein Blick ins Paradies. Als sie wieder nach Hause gekommen sind, erzählten sie davon", so der Experte.

Um das Erlebte besser erklären zu können, bauten sie wahrscheinlich kleine Modelle. Dazu passt, dass die ersten nachgewiesenen Schwibbögen, Bergmänner mit Kerzen und Pyramiden kurz nach dem Fest 1719 entstanden sind.

Wer sich selbst ein Bild machen will: Die Beweise sind noch bis 12. Januar 2020 in der Ausstellung "Glück auf und ab im Erzgebirge" im Museum für Sächsische Volkskunst in Dresden zu sehen.

Die Türken-Figuren sollen von den verkleideten Soldaten inspiriert sein.
Die Türken-Figuren sollen von den verkleideten Soldaten inspiriert sein.  © imago/Sven Ellger
Die Parade 1719 soll Vorbild für Figuren wie diese gewesen sein.
Die Parade 1719 soll Vorbild für Figuren wie diese gewesen sein.  © imago/Harald Lange

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