Urban Exploring: Wie illegal ist das Ganze?
Von Antje Meier
Dresden - Auf dem Boden zersplittertes Glas, an den Wänden Graffiti. Totenstille. Eine surreale Kulisse eröffnet sich dem Beobachter. Fast so, als sei die Menschheit vom Erdboden verschwunden. Die Welt scheint stehen geblieben.
In diese Welt einzutauchen, ist das Hobby von Mirko H.*. Der Dresdner ist ein „Urban Explorer“, immer auf der Suche nach neuen „Lost Places“ (deutsch: verlorene Plätze).
Und davon gibt es in Sachsen Hunderte, vermutlich sogar Tausende. Seien es alte Schlösser, deren Burgfräulein schon lange verschwunden sind; Krankenhäuser, die ewig nicht mehr von Patienten und Ärzten betreten wurden; oder Fabrikhallen, in denen inzwischen alles andere blüht, nur kein Wirtschaftszweig mehr.
Alle diese vergessenen, leer stehenden Gebäude sind für Mirko H. ein großer Abenteuerspielplatz. „Die Überraschung, was mich drinnen erwartet, macht für mich die Faszination des Urban Exploration aus. Es ist wie eine Zeitreise“, erklärt der Schüler.
Angefangen hatte alles 2011, und zwar ganz zufällig. „Ich bin nachts immer viel unterwegs gewesen und dann einfach mal in eine Fabrikanlage rein gegangen. Das hat einen ordentlichen Adrenalinkick gegeben“, erzählt Mirko.
„Außerdem war es interessant, die Geschichte des Gebäudes zu recherchieren.“ Als er dann noch die Fotografie als Hobby entdeckte, war der Urbexer (Kurzform für Urban Explorer) geboren.
Seitdem hat er mehr als 100 Gebäude erkundet. Neue „Lost Places“ findet er meistens durch Zufall.
Aber auch Google Maps und das Internet helfen bei der Suche. „Selbst wenn ich im Urlaub bin, schaue ich mich nach leer stehenden Gebäuden um. Das ist schon irre“, meint der Abenteurer.
In Dresden würden ihm aber langsam die Gebäude ausgehen. Deshalb ist er auch im Umland aktiv – von Pirna über Meißen bis Großenhain. Immer im Gepäck hat er dann seine Kamera, Ersatzakkus, eine Taschenlampe, Arbeitshandschuhe und Essen. Denn so eine Tour dauert schon mal den ganzen Tag.
Doch so sehr ihn der Nervenkitzel reizt - leichtsinnig ist der Teenager nicht. „Ich gehe nie alleine, sondern mindestens immer zu zweit.“ Denn er weiß: Sein Hobby ist nicht ganz ungefährlich. Urban Explorer kamen schon um. So können Böden einstürzen, Gas aus alten Leitungen austreten und Stromleitungen herunterhängen.
„Bisher ist nur einmal was passiert. Da bin ich irgendwo runter gesprungen und in eine Glasscherbe rein“, erinnert er sich. Brenzliger sei es, wenn er und seine Freunde auf andere „Bewohner“ treffen.
„Letztens haben hier Kinder gespielt und mit Sachen geworfen“, erzählt der Urbexer. Oder es leben Obdachlose in den Gebäuden. „Da gibt es auch Aggressive. Aber mit den meisten kann man in Ruhe sprechen und dann gibt‘s keine Probleme. Manchmal geben wir ihnen auch etwas Geld.“
Seit gut drei Jahren macht Mirko H. aus seinen Entdeckungen auch Videos, zeigt sie auf seinem YouTube-Kanal „urbexerdresden“. Auf Ortsangaben und Koordinaten verzichtet er dabei meist – ganz bewusst. Denn Urbexer wollen die Gebäude bewahren, vor Vandalen, Graffiti-Sprayern oder Metalldieben.
Sie sehen sich als Bewahrer der vergessenen Orte und ihrer Geschichte.
Mehr Infos gibt es hier: www.facebook.com/urbexerdresden/ und www.youtube.com/user/urbexerdresden
*Name geändert
Zur Szene gehört ein strenger Ehrenkodex
Urban Explorer haben einen klaren Verhaltenskodex, an den sie sich bei ihren Erkundungen halten.
„Dazu gibt es einen passenden Spruch“, sagt Mirko H.: „Hinterlasse nichts außer Fußabdrücke, nimm nichts mit außer Fotos.“ Heißt: Urbexer sind keine Vandalen oder Diebe.
Selbst scheinbar unwichtige Dinge wie eine alte Zeitung oder Plastiktüte verbleiben an ihrem Fundort. Nichts darf mitgenommen werden! Denn nachfolgende Urban Explorer sollen den Ort genauso vorfinden.
So geht es den Entdeckern ausschließlich um das Abenteuer und das Dokumentieren eines „Lost Places“. Mirko H.: „Fakt ist, jeder Urbexer ist gegen sinnlose Zerstörungswut.“
Deshalb sei es auch tabu, sich gewaltsam Zutritt zu einem Gebäude zu verschaffen. Meist haben schon Metalldiebe, Obdachlose oder neugierige Kinder sich Zugang zum Gebäude verschafft. Diese Schlupflöcher nutzen die Kundschafter.
„Ist ein Ort dicht, dann ist das so und ich muss warten.“
Wie legal ist das Ganze?
In den meisten Fällen gehen Urban Explorer ohne eine Genehmigung der Hauseigentümer in die Gebäude. Auch weil diese oft schwer auszumachen sind. Dadurch erfüllt Urban Exploration häufig den Tatbestand des Hausfriedensbruchs.
Wer erwischt wird, muss mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe rechnen. Allerdings wird die Tat nur auf Antrag verfolgt. Und wo kein Kläger, da auch kein Angeklagter.
„Ich wurde noch nie erwischt“, sagt Mirko H.
„Und wenn ich angesprochen werde, von Nachbarn oder so, zeige ich meine Kamera und erkläre, dass ich nur Fotos mache und gleich wieder weg bin.“
Fotos: privat, Eric Münch
Titelfoto: Import