Unterstützt Dresdens neuer Hilfsverein nur deutsche Obdachlose?
Dresden - Steffen (50) sitzt in seinem alten Karohemd an der mit Stollen gedeckten Tafel im Ballhaus Watzke. Er hat in einer Behindertenwerkstatt gearbeitet – jetzt ist er erwerbsunfähig.
„Ich sammle Flaschen. Ich fahre mit dem Fahrrad von Meißen nach Dresden“, stottert der Mann, der älter aussieht als er ist. „Ich suche auf der Prager Straße in den Containern nach Flaschen. Zwei Taschen voll. So krieg ich acht bis zehn Euro Pfand.“
Der Meißner gehört zu jenen rund 300 Obdachlosen oder bedürftigen Dresdnern, die gestern im Ballhaus Watzke Weihnachten feierten. Eingeladen und organisiert vom neuen Verein „Dresdner Bürger helfen Dresdner Obdachlosen und Bedürftigen“, der im Sommer als Gegenentwurf zur in Schieflage geratenen Dresdner Tafel gegründet wurde.
"Wir wollen Dresdnern helfen, die es nötig haben. Egal, woher sie kommen“, betont der umstrittene Vereinsgründer und PEGIDA-Sympathisant Ingolf Knajder, der bis dato gern rechte Klischees bediente. Online polemisiert er oft mit übelsten Schimpfworten gegen "illegale Einwanderer ohne Ausweispapiere, Asylmissbraucher und Scheinasylanten."
Auf der Weihnachtsfeier geht er einen Schritt zurück: "Wir weisen keinen Bedürftigen mit Migrationshintergrund ab." Viele Vereinsmitglieder und Helfer distanzieren sich deutlich von rechten Gedankengut.
Die Konzentration der Hilfe auf Dresdner wird mit der sehr guten Betreuung und Versorgung von Asylbewerbern und den zahlreichen vorhandenen Hilfsangeboten begründet.
Trotzdem oder gerade deswegen: Das fokussierte Angebot löst eine Welle der Hilfsbereitschaft aus. "Wie schnell Menschen gespendet haben, hat mich zu Tränen gerührt", so Ex-Stadträtin Barbara Lässig (60).
Mit dem Inhalt von 24 Sammelbüchsen wurde das Abendessen der Weihnachtsfeier finanziert. Warme Wintersachen, Hygieneartikel, Stollen, Schokolade wurden gespendet. Watzke steuerte Haus und Personal bei, DJ Happy Vibes die Musik.
Kabarettist Uwe Steimle (53) trat auf – "unabhängig jeglicher Politik. Ich möchte einfach etwas für Obdachlose tun.“
Die HiIfe soll nicht einmalig bleiben. "2017 wollen wir ein Tagescafé für Obdachlose eröffnen", so Vereinschef Knajder. "Wir haben drei Standorte im Blick."
363 Obdachlose leben in städtischen Unterkünften
# In Dresden leben 363 Personen in Unterkünften für Wohnungslose. Durch die Stadt werden aktuell 375 Schlafplätze zur Verfügung gestellt.
# Diese Zahl wurde im Verlauf eines Jahres um 30 Plätze erhöht. Die Verwaltung hat den Rückgang an Asylbewerbern genutzt, um Asyl-Plätze in Obdachlosen-Plätze umzuwandeln.
# Für die Zeit vom 1. Dezember bis 31. März werden zehn zusätzliche Notschlafplätze für Wohnungslose eingerichtet, die unkompliziert belegt werden.
# In den Übergangswohnheimen erfolgt eine zurückhaltende Sozialarbeit. Zudem stehen 31 Plätze zur Verfügung, in denen das Führen eines eigenen Haushaltes trainiert werden kann.
# Das Sozialamt unterstützt bei der Suche nach Wohnungen, zum Beispiel durch eine Mietschuldenübernahme.
# Im Auftrag der Stadt helfen freie Träger. Die Treberhilfe ist mit einem Jumbo-Bus unterwegs und gibt Rechtsberatung. Die AWO betreibt Nachtcafés inklusive Dusche und Waschmaschine. Ein Heim kümmert sich um wohnungslose Senioren.
# Für alle Angebote gilt: Es gibt keine Einschränkungen hinsichtlich Rasse oder Religion.
# Obdachlose erhalten den gleichen Hartz-IV-Satz wie anerkannte Flüchtlinge. Ohne Wohnsitz fällt die Übernahme der Kosten der Unterkunft weg.
Ex-Bürgermeister Seidel kritisiert neuen Verein
Der Verein „Dresdner Bürger helfen Dresdner Obdachlosen und Bedürftigen“ hilft ganz bewusst nicht allen Menschen. Zwar sollen ohne Ansehen von Hautfarbe oder Religion Obdachlose unterstützt werden, Asylbewerber werden aber ausgegrenzt. Das kritisiert der ehemalige Sozialbürgermeister Martin Seidel (41).
"Ich halte es für schwierig, wenn ein Verein Personengruppen ausgrenzt. Für mich spielt es keine Rolle, welche Herkunft ein Mensch hat. Der objektive Hilfebedarf steht im Vordergrund", so Seidel, der aktuell Geschäftsführer beim Sächsischen Umschulungs- und Fortbildungswerk ist und dort auch Flüchtlingen hilft.
Durch die Ausgrenzung kann laut Seidel der Eindruck entstehen, "es geht Personen im Verein in erster Linie darum, deutlich zu machen, dass man bestimmten Menschen nicht helfen will."
Laut Seidel könnte durch den Verein zudem der falsche Eindruck vermittelt werden, es müsse mehr für deutsche Bedürftige getan werden, da diese im Vergleich zu Asylbewerbern benachteiligt würden.
Wer ist dieser Vereins-Chef Ingolf Knajder?
- Seine Gesinnung hat er nie versteckt. Seit Jahren wettert Knajder bei Facebook gegen illegale Einwanderung, "Linksfaschisten" und Gutmenschen. Dabei gleitet er oft im Ton ab, Leute werden bedroht und übel beschimpft (siehe Foto, Diskussion bei Facebook vom November 2013).
- Im Dezember 2015 rastet Knajder in der Kreuzkirche aus. Als PEGIDA-Sympathisant saß er beim damaligen Bürgerdialog mit Vereinen, Politikern und Kirchenleuten in der zweiten Reihe (neben Jens Genschmar, FDP) und wetterte gegen die "Linksradikalen" (im Video unten ab 1:10 min).
- Im Zusammenhang mit Untreuevorwürfen gegen den Chef der Dresdner Tafel, Andreas Schönherr, schrieb Knajder bei Facebook sinngemäß, dass es traurig sei, dass Menschen an Krebs sterben und „solchen Menschen wie Andreas Schönherr" haben ein langes Leben. Später entschuldigte Knajder dafür, es sollte keine Drohung sein.
Helfen ohne Bedigungen
Der Kommentar von Dirk Hein
Zuallererst ist es eine hoch anzurechnende Leistung, wenn Dresdner ehrenamtlich und ohne einen Cent dafür zu kassieren, Menschen in Not mit Geld und Sachspenden helfen. Dabei ist es völlig richtig, dass nicht unterschieden wird, warum ein Mensch obdachlos geworden ist.
Denn bei allem Respekt für Menschen in Not: Unser Sozialsystem ist so großzügig aufgebaut, dass eigentlich niemand auf der Straße leben muss. Das vor diesem Hintergrund dennoch, ohne nach den Gründen zu fragen, geholfen wird, ist gut.
Vor dem selben Hintergrund macht aber die Einschränkung, Asylbewerbern mit fester Unterkunft und sicherer Verpflegung nicht zu helfen, irgendwie keinen Sinn. Natürlich werden diese Personen in ihren Unterkünften verpflegt und natürlich gibt es eine Welle der Hilfsbereitschaft, die sich besonders auf Asylbewerber konzentriert.
Doch auch Asylbewerber können in Notlagen kommen. Der Logik des Vereins folgend, wäre diesen Personen dann auch zu helfen. Wenn dennoch mit der Fokussierung auf Dresdner Bedürftige so offensiv geworben wird, gießt das doch nur Wasser auf die Mühlen rechter Populisten: Hier die armen (deutschen) Dresdner, da die angeblich gut versorgten Ausländer. So bekommt eine an sich gute Idee ein schales Geschmäckle.