Sind Sie eine Populistin, Frau Wagenknecht?
Berlin - Sehr gefragt ist sie ohnehin - umso mehr in Wahlkampfzeiten: Gerade erst hat Sahra Wagenknecht (48) Sat.1 ein Interview gegeben, ein ARD-Team wartet schon, abends geht es noch zum Live-Talk ins ZDF. Dazwischen nimmt sich die Linke-Fraktionschefin im Bundestag in ihrem Berliner Büro Zeit für die „Morgenpost am Sonntag“. Im Gespräch mit Politikredakteur Thomas Schmitt geht es um Kochen, Kanzlerin und Kapitalismus.
TAG24: Pürieren oder Stampfen: Wie machen Sie Ihre Kartoffelsuppe?
Sahra Wagenknecht: Ich püriere auf jeden Fall. Gestampft wird sie nicht so schön sahnig, samtig und weich. Ist etwas anders als im Hause Merkel.
TAG24: Die Kanzlerin stampft lieber, hat sie kürzlich verraten. Werden mit solchen Aussagen Wahlen gewonnen?
Sahra Wagenknecht: Na ja, ich fände es besser, wenn wir einen demokratischen Streit über Problemlösungen hätten. Wir haben ja viele ernste Probleme in Deutschland. Es fehlen Wohnungen, die Schulen sind marode. Viele finden nur noch unsichere Jobs und haben Angst vor Armut im Alter. Ich finde es wirklich schlimm, wie das weggeredet wird. Frau Merkel wird die Wahl wohl gewinnen. Aber das hängt auch damit zusammen, dass ihr Herausforderer letztlich für die gleiche Politik steht wie sie.
TAG24: In Wahlkampfzeiten geht es eben auch darum, seine Politik zu verkaufen und die eigene Person zu vermarkten. Funktioniert so der Kapitalismus?
Sahra Wagenknecht: Ich finde, Demokratie darf nicht so inhaltsleer werden. In den USA ist das ja extrem. Der ganze Wahlkampf ist eine Show und nur mit viel Geld zu führen. Dort müssen sich die Politiker schon vor der Wahl an große Unternehmen und reiche Finanziers verkaufen. Das ist bei uns zum Glück nicht so. Politiker sollten im Wahlkampf über ihre politischen Ziele reden, darüber, wie sie dieses Land verändern wollen und wie sie die Probleme lösen würden. Es schadet der Demokratie, dass auch bei uns die Wahlkämpfe immer inhaltsärmer werden, weil alle Parteien außer der Linken sich immer ähnlicher geworden sind.
TAG24: Wie gerecht kann Kapitalismus denn sein?
Sahra Wagenknecht: Es gab in der alten Bundesrepublik einen relativ starken Sozialstaat. Und es gab bis zur Jahrtausendwende Regeln am Arbeitsmarkt, die Lohndumping über Leiharbeit, Werkverträge und Befristungen verhindert haben. Natürlich heißt Kapitalismus, dass wenige über die wirtschaftlichen Ressourcen verfügen, und das heißt auch, dass es Ausbeutung und Ungleichheit gibt. Aber das kann man bändigen. Mit den Agenda-Reformen ist der Raubtierkapitalismus entfesselt worden. Das Ergebnis ist wachsende Ungleichheit und große Lebensunsicherheit. Viele können von ihrer Arbeit nicht mehr gut leben. Alte Menschen werden mit Armutsrenten um ihre Lebensleistung betrogen. Das darf nicht so bleiben.
TAG24: Wie wichtig ist das Thema Gerechtigkeit in diesem Wahlkampf?
Sahra Wagenknecht: Wir haben ein akutes Gerechtigkeitsproblem. Leistung und Einkommen stehen in vielen Bereichen in keinem vertretbaren Verhältnis mehr. Altenpfleger, die sehr viel leisten, werden mies bezahlt, Manager gehen mit Millionengehältern nach Hause, selbst wenn sie für krasse Fehlentscheidungen verantwortlich sind. Es ist auch falsch zu sagen, Gerechtigkeit interessiere die Menschen nicht, das sähe man ja an den schlechten Werten der SPD. Ich glaube, dort sieht man, dass der Gerechtigkeitswahlkampf der SPD unglaubwürdig ist, weil sie sich mit Niedriglöhnen, Hartz IV und Rentenarmut längst abgefunden hat.
TAG24: Aber sind nicht Sie das Hindernis für Rot-Rot-Grün, wie einige Sozialdemokraten und Grüne behaupten?
Sahra Wagenknecht: Das ist eine billige Ausrede. Aktuell ist das Haupthindernis für Rot-Rot-Grün, dass es überhaupt keine Mehrheit gibt. Außerdem habe ich das Gefühl, dass die SPD an einem solchen Bündnis gar kein Interesse hat, weil sie sich der Union oder der FDP heute politisch näher fühlt.
TAG24: Vielleicht muss man Populist sein, um Wahlen zu gewinnen. Sind Sie eine Populistin?
Sahra Wagenknecht: Wenn Sie unter einem Populisten verstehen, dass man die Wähler belügt, dass man ihnen Lösungen vorgaukelt, die gar keine Lösungen sind, dann verbietet sich das für einen demokratischen Politiker. Wenn Sie unter Populist allerdings verstehen, dass man so argumentiert, dass die Wähler es nachvollziehen können, dass man die Probleme mit klaren Worten benennt und eine falsche Politik scharf kritisiert, dann ist das meines Erachtens genau das, was ein Demokrat tun sollte. Das übliche Politgefasel, das immer vage und unverbindlich bleibt, das können die meisten Leute doch nicht mehr hören.
TAG24: Erdogan, Trump, Orbán - leben wir im Zeitalter des Populismus?
Sahra Wagenknecht: Ich würde Herrn Erdogan nicht einfach als Populisten bezeichnen. Er ist ein islamistischer Despot, der Oppositionelle ins Gefängnis wirft. Bisher müssen Journalisten und Oppositionelle in den USA zum Glück noch nicht fürchten, im Knast zu landen. Ich habe auch keine Sympathie für Donald Trump, aber ich finde diese Gleichsetzung nicht richtig. In der Türkei werden inzwischen Menschen von der Straße weg verhaftet. Da werden Handys kontrolliert, und wenn irgendein Eintrag gegen Erdogan drin ist, wird man mitgenommen. Das sind Zustände einer Diktatur. Trump ist ein unberechenbarer Mann, und das ist für die Welt extrem gefährlich, weil er an der Spitze einer Weltmacht mit riesigem Atomarsenal steht. Zumal er offensichtlich glaubt, dass man Krisenherde wie den in Nordkorea durch martialische Drohungen mit „Feuer und Zorn“ per Twitter lösen kann. Und wenn er dann noch glaubt, er könnte Probleme mit neuen Kriegen lösen, dann ist das hochgefährlich. Deshalb darf sich die deutsche Politik den USA nicht länger unterordnen, sondern muss die eigenen Interessen in den Mittelpunkt stellen.
TAG24: Wie populistisch ist kurz vor der Wahl das Verbot einer Internet-Plattform wie „linksunten“?
Sahra Wagenknecht: Also ich gebe zu, ich kannte die Plattform nicht. Deswegen kann ich sie nicht beurteilen. Meine Meinung ist: Wenn eine Internetseite tatsächlich aktiv zu Gewalt aufruft, Gewalt eventuell sogar organisiert, dann finde ich Verbote richtig. Das gilt ja auch für Seiten aus dem rechten Spektrum.
TAG24: Und wie populistisch ist Europas Abschottungspolitik?
Sahra Wagenknecht: Europa darf sich nicht von Diktatoren wie Erdogan oder libyschen Warlords abhängig machen, sondern muss seine Grenzen selbst kontrollieren. Aber noch wichtiger ist: Wir müssen aufhören, Fluchtursachen zu schaffen. Unsere Handelspolitik macht arme Länder noch ärmer und es ist auch verantwortungslos, Waffen in Kriegsgebiete zu liefern.
TAG24: Jenseits des Polit-Alltags: Wenn Sie mal frei haben und zu Hause im Saarland sind - wie spannen Sie aus?
Sahra Wagenknecht: Das kommt ein bisschen darauf an, wie das Wetter ist. Im Sommer bei schönem Wetter liebe ich lange Radtouren, gern über 100 Kilometer. Im Saarland gibt es sehr schöne Radwege, und zum Glück mag Oskar (Lafontaine - d. Red.) das Radfahren auch. So den ganzen Tag zu fahren, zwischendurch ein Eis zu essen, das ist wirklich Erholung pur für mich.
TAG24: Und wenn das Wetter mal nicht so toll ist?
Sahra Wagenknecht: Im Winter ist es mit dem Fahrrad draußen schwierig. Dafür habe ich zu Hause einen Crosstrainer. Und wenn ich da so anderthalb, zwei Stunden Sport mache, schaue ich spannende Filme dabei. Also in dem Fall nichts wirklich Anspruchsvolles, eher ein guter Krimi, Wallander etwa, einen guten Tatort oder die alten Filme von Edgar Wallace, Hitchcock. Das ist unterhaltsam und hilft beim Sport.
Titelfoto: Holm Röhner