"Woyzeck" am Magdeburger Schauspielhaus: Inszenierung verleiht Gänsehaut
Magdeburg - Seit Ende Januar versucht sich das Magdeburger Schauspielhaus an dem populären Klassiker "Woyzeck". Doch die Inszenierung ist alles andere als regulär - TAG24 war beim Stück dabei. Was kann das Bühnendrama?
Direkt nach dem Einlass sind sicher einige Zuschauer erstaunt: Während alle ihre Plätze einnehmen, hat das Stück auf der Bühne bereits begonnen. Auf eine Schattenwand wird das Menü eines Videospiels projiziert. Sind wir im falschen Saal?
Nein, denn: Regisseur Jan Friedrich hat den Büchner-Klassiker um den Frauenmörder Franz Woyzeck komplett neu aufgelegt.
Die Geschichte bleibt prinzipiell die Gleiche: Woyzeck hat mit der hübschen Marie ein uneheliches Kind, für das er sorgen muss. Um Geld zu verdienen wird er für einen skrupellosen Arzt zum Versuchskaninchen. Schließlich findet er Maries Affäre heraus und, psychisch durch die Experimente angeschlagen, bringt er sie mit einem Messer um.
Die Inszenierung ist aber so abenteuerlich und originell wie noch nie gesehen und macht somit den Klassiker besonders für ein jüngeres Publikum schmackhaft.
Das gesamte Schauspiel ist als Videospiel konzipiert!
Bis zum "Game Over": Dramenfragment "Woyzeck" von Georg Büchner als Videospiel
Durch Schwarzlicht und Livekamera wird der Inszenierung ein wilder, finsterer und karikativer Touch verpasst.
Die Schauspieler agieren als Spielfiguren. Das Besondere: Der Text wird nicht, wie üblich, von den Schauspielern selbst gesprochen, sondern wird von anderen Akteuren aus dem Off eingesprochen. Auch die übertriebenen und witzigen Bewegungen erinnern Zuschauer an populäre Games wie GTA.
Das Bühnenbild ist so verschachtelt, dass viele Räume und Plätze vom Zuschauerraum nicht einsehbar sind. Die Zuschauer schlüpfen über eine Live-Kamera in die Haut von Woyzeck und können so selbst kleine Nischen selbst erkunden.
Interessant ist außerdem, dass, wie bei einem richtigen Videospiel, verschiedene Entscheidungswege für Woyzecks Figur ausprobiert werden, bis hin zum absoluten Game-Over. So schlägt das Drama, trotz der spielerischen Interpretation, einen eleganten Bogen zur ursprünglichen Thematik und signalisiert Woyzecks Unsicherheit und Gefühlswelt. Wer sich aber auf eine eins-zu-eins-Adaption der Schullektüre freut, der wird enttäuscht: Besonders in der zweiten Hälfte des Stücks wird die Handlung ordentlich abgeändert.
Das gesamte Woyzeck-Ensemble hat auf der Bühne absolut geglänzt. Ganz besonders stachen aber Julia Buchmann als Marie und Mia Rainprechter als Doc heraus. Besonders Buchmann lieferte als Margreth einen phänomenalen Monolog, den ihr keiner so schnell so grandios nachmacht.
Lohnt sich ein Besuch bei "Woyzeck"?
TAG24 sprach im Anschluss an die Vorstellung mit zwei Schülerinnen, die das Stück besucht hatten. Eine Schülerin meinte, dass sie an einigen Stellen Gänsehaut verspürt hatte. Da ging es wohl dem gesamten Publikum ähnlich: Durch unglaublich kraftvolle Monologe oder lautstarke Soundeffekte wird jeder Zuschauer in den Bann gerissen.
"Es war eine spannende Inszenierung", meinte eine andere Besucherin, "aber am Ende war es schon langwierig." Damit trifft sie den Nagel auf den Kopf. Dem Stück hätten sicherlich 20 Minuten weniger nicht geschadet.
Zwar signalisierten Wiederholungen der Handlung das Versuchen-und-Verlieren eines echten Videospiels, aber durch genaue Wort-für-Wort-Wiederholungen und minutenlange "Spielpausen" war das (besonders für ein junges Publikum) irgendwann uninteressant. Auch brach durch einen politischen Monolog, der den Großteil der zweiten Stück-Hälfte einnahm, der Videogame-Aspekt, welcher diese Inszenierung so besonders machte, fast komplett weg.
Fazit: Zwar können Zuschauer und Journalisten mit all ihrer Macht versuchen, die Magdeburger Inszenierung von "Woyzeck" in Worte zu fassen, aber um einen wahren Eindruck von dieser absolut ungewöhnlichen und modernisierten Produktion zu bekommen, muss man wirklich körperlich anwesend sein. Besonders für ein jüngeres Publikum führt diese kunterbunte und zugleich düstere Adaption spielerisch an den Büchner-Klassiker heran. Die Schauspielkunst und technische Umsetzung ist herausragend und lässt an vielen Momenten den Atem stocken. Allein der Fakt, dass bei einer Schulvorstellung voller Teenager alle Zuschauer gebannt für knapp zwei Stunden auf die Bühne starrten, ist die größte Goldmedaille für die Neuauflage dieses Klassikers.
Weitere Vorstellungstermine von "Woyzeck" findet Ihr im Spielplan des Magdeburger Theaters.
Titelfoto: Bildmontage: Theater Magdeburg/Kerstin Schomburg