Täuschend echt! Dieser Mann baut "falsche Stradivaris"

Leipzig - Er ist Meister seines Fachs, mehrfach ausgezeichneter Geigenbauer und zugleich ein cleverer Meisterfälscher! Daraus macht Jürgen Manthey (59) keinen Hehl. Seine Geigen sind perfekte Kopien der legendären Stradivaris aus der italienischen Geigendynastie von Cremona. Sie klingen so und sie sehen auch so aus wie Hunderte Jahre alte Geigen. Doch warum lässt Manthey seine nagelneuen Instrumente künstlich altern? Der "Stradivari von Leipzig" hat es in seiner "Fälscherwerkstatt" verraten.

Manchmal muss im wahrsten Sinn "der Lack ab": Für den Neubau einer "altersgerechten" Geige oder Bratsche benötigt Jürgen Manthey (59) weniger als vier Wochen.  © Stefan Häßler

Profimusiker und Publikum sind schuld! Sie haben den renommierten Geigenbauer Jürgen Manthey zu einem Meisterfälscher gemacht.

Er ist ein genialer Kopierkünstler, aber kein Scharlatan. In einer noblen Villa am Elstermühlgraben am Rande des Leipziger Musikerviertels baut Manthey Streichinstrumente - Geigen, Bratschen, Celli.

Doch wenn er sie dann verkauft, sehen sie lädiert aus, als hätten sie schon Jahrzehnte auf dem Buckel. Überall sind kleine Gebrauchsspuren erkennbar: Schrammen, Kratzer und leichte Risse im Lack, die die auf Hochglanz polierten Oberflächen verschandeln.

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"Weil Musiker und Publikum keine nagelneuen Instrumente auf der Bühne akzeptieren, muss ich sie alt aussehen lassen", erklärt Manthey den Grund für das Altern im Akkord. Sieht man perfekt gearbeiteten Instrumenten quasi noch die Nabelschnur an, klingen sie in den Ohren von Publikum und Profimusikern oft auch "etwas zu neu".

"Das ist zwar nur Psychologie, aber der Effekt wirkt", weiß Manthey. Sein Anspruch ist ein Spruch: je oller, desto doller. Und wenn es schon antik aussehen muss, warum sollte man sich dann nicht gleich an den wertvollsten Geigen der Welt orientieren?

Also baute Manthey eine Original-Stradivari als Original-Kopie nach: "Das Instrument stammte von einer Professorin der Musikhochschule, war millionenschwer." Am Ende kam die Kopie dem Original täuschend nah.

"Und sie klang auch vergleichbar gut", ergänzt Manthey stolz. Strahlend überirdisch, so wie es oft beschrieben wird.

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20.000 Euro für eine neue "alte" Geige

Auch Anne Sophie Mutter (61) spielt Stradivari: Die Geigerin spielte bei der José Carreras Gala in der Messehalle Leipzig.  © imago images/Eventpress

Als am Ende niemand mehr Original von Kopie unterscheiden konnte, war Mantheys Messlatte am Superinstrument der Weltgeschichte ausgerichtet. Die Geigenbauwerkstatt wurde zur Fälscherwerkstatt.

Manthey hat eigentlich Geologie studiert: "Fossilien sind etwas Spannendes, aber abends hat man einfach nichts in der Hand, was man geschaffen hat."

Er wollte lieber etwas Handfestes, ging bei einem Geigenbauer in Hamburg in die Lehre. Als die international renommierte Bratschistin Tatjana Masurenko 2002 in Leipzig eine Professur an der Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy" annahm, bat sie ihn, mit nach Leipzig zu gehen.

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"Ich habe mich schnell in die Stadt verliebt, die längst zu meiner Wahlheimat geworden ist", sagt Manthey. Auch beruflich war die Messestadt ein gutes Pflaster.

Anfangs war Manthey nur einer von zwei Geigenbauern in der Stadt. Heute sind sie zu neunt, doch jeder hat sein Spezialgebiet. Mantheys Nische sind Überholungen von Instrumenten und ihr Neubau. Jedes Jahr stellt er 16 neue Instrumente fertig.

Zu seinen Kunden zählen Orchestermusiker, Solisten aus den USA, Spanien, Frankreich, England oder Italien und angehende Berufsmusiker der Leipziger Musikhochschule.15.000 Euro müssen Studenten für eine neue, auf alt gemachte Geige auf Mantheys Tisch legen:

"Wer Verdienste erzielt, muss tiefer in die Tasche greifen, zahlt pauschal 20.000 Euro." Auch beim Bau der zugehörigen Geigenbögen ist der Geigenbauer Fachmann. Ein professioneller Bogen schlägt noch einmal mit 2500 bis zu 15.000 Euro zu Buche.

Selbst Geige spielen kann der Geigenkünstler übrigens auch. "Aber eher so für den Hausgebrauch", schmunzelt Manthey.

Kleine Bastelanleitung: So baut man eine Stradivari-Doublette

Hobeln und biegen für Hälse, Böden, Decken und Schnecken: Bei der Fertigung von Streichinstrumenten ist für Carsten Niggemann (50) meisterliche Maßarbeit gefragt.  © Stefan Häßler

Mantheys Kompagnon Carsten Niggemann (50) hat als Tischlerlehrling angefangen. Längst hat er seine Mission im Streichinstrumentenbau gefunden, denn in der Geigenwerkstatt ist noch alles Handarbeit.

Von zwei Maschinen abgesehen - eine Bohrmaschine und eine Bandsäge - wird nur mit Werkzeug, beiden Händen, Geschick, Sinn und Verstand gearbeitet.

"Die Decke aller Streichinstrumente besteht aus Fichtenholz, das besonders leicht und stabil ist", erklärt Niggemann.

"Für den Boden einer Geige wird fast immer Ahorn verwendet. Bei Bratschen dürfen es auch andere Hölzer sein." Denn jedes Holz hat sein eigenes Klangspektrum.

"Pappel macht den Klang zum Beispiel dunkler und bassiger", weiß Niggemann.

Für die typische Wölbung der Instrumente bearbeitet er den Boden mit einem Minihobel.

Doch Vorsicht bei der Stärke: Wird zu viel weggehobelt, klingt die Geige später blechern. Ist der Boden dagegen zu dick, kann er nicht schwingen. Klopftests offenbaren zwischendurch, ob schon ausreichend Späne gefallen sind. Zum Schluss werden die Saiten aufgezogen.

Doch wie lässt man brandneue Instrumente alt aussehen? "Dafür wird zum Beispiel der Lack schattiert aufgetragen und mit einer künstlichen Patina überzogen", verrät Niggemann. "Dadurch erscheint er so wie bei historischen Instrumenten, bei denen er sich im Laufe der Zeit abgenutzt hat."

Dann werden künstliche Kratzer vorsichtig in den Lack eingeritzt - sowohl mit scharfkantigen Pfirsich- als auch mit runderen Nusskernen.

Außerdem verwenden die Meisterfälscher wie schon in Stradivaris Werkstatt Hasen- statt handelsüblichem Weißleim. "Der hat bewiesen, dass er Jahrhunderte hält", sagt Niggemann.

"Weil Hasenleim zudem spröde ist, kann man die Instrumente für Reparaturen leichter öffnen. Weißleim würde Fäden ziehen." Am guten Klang kratzen die Alterserscheinungen übrigens nicht.

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Wer war Antonio Stradivari?

Weltklasse vom Dachboden: Antonio Stradivari (1644 - 1737), Geigenbauer aus Cremona.  © wikipedia

Antonio Stradivari (1644 - 1737) gilt als bester Geigenbauer der Geschichte.

Er schuf etwa 1100 Instrumente, von denen noch rund 600 Geigen erhalten sind.

Sie wurden in seiner Werkstatt auf dem Dachboden eines Hauses an der Piazza San Domenico im italienischen Cremona gebaut.

Warum klingen Stradivaris so besonders?

Das soll am verwendeten Fichtenholz aus der "Kleinen Eiszeit" im 16. Jahrhundert liegen, das eine geringere Dichte aufweist. Heute werden Stradivaris auf Auktionen für bis zu sieben Millionen US-Dollar gehandelt.

Sie werden von Stargeigern wie David Garrett (44), Anne-Sophie Mutter (61) oder Daniel Hope (51) gespielt.

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