Sachsens einziger Bauernhof-Kindergarten: Hier lernen die Kleinen viel über das Leben
Leipzig - Wohl in keiner anderen Kindereinrichtung des Landes gibt es so viel Gemecker wie in Leipzig-Mölkau. Doch die Kleinen lieben es, kommt es doch von den drei Ziegen, um die sie sich jeden Tag kümmern dürfen. In Sachsen ist der Fröbel-Bauernhofkindergarten der einzige seiner Art. Hier lernen die Knirpse bereits ab drei Jahren, Verantwortung für ihre Tiere und Pflanzen zu übernehmen. Ihr Alltag orientiert sich am Lebenskreislauf auf dem Lande. Auch wenn das Konzept viel Begeisterung und Neugier erzeugt, wird es anderenorts nur schwer zu kopieren sein.

Noch vor dem Frühstück wartet zunächst einmal die Arbeit. Die Kinder werden gegen halb Acht nicht etwa an der Garderobe an die Pädagogin übergeben, sondern an den Stall. Hier sind die zierlichen Hände schon dabei, fleißig Gemüse zu schnippeln und Grünzeug zu portionieren.
Denn neben den Ziegen warten noch acht Hasen und zwei Hängebauchschweine auf ihr morgendliches Futter. Auch die Meerschweinchen und Fische wollen versorgt sein.
"Erst kommt das Vieh und dann der Mensch", heißt es seit Jahrhunderten in den Bauernstuben. Nach dem Händewaschen dürfen nun auch die 47 Kinder in Mölkau frühstücken - von einem Bio-Anbieter. Danach beginnt für die Grashüpfer, die Rüsselbande und die Wühlmäuse die Gruppenarbeit. Auch für die acht Kinder mit erhöhtem Förderbedarf.
Für solche ist einst die Idee mit dem Bauernhofkindergarten überhaupt erst entstanden. Ende der 1990er-Jahre stellte der Leipziger Stadtelternrat fest, dass es nahezu unmöglich ist, für Kinder mit autistischen Störungen einen Kita-Platz zu finden.
Da ersann jemand dieses Konzept mit tiergestützter Pädagogik, bei der Kinder mit Beeinträchtigung gemeinsam mit Gleichaltrigen Motivation, Selbstkontrolle und Empathie erlernen können.
Und dann erwies es sich als absoluter Glücksfall, dass der neue Besitzer eines großen Landgutes am dörflichen Rand der Stadt der Idee offen gegenüberstand und ein altes Herrenhaus sowie einen Stall zur Verfügung stellte. Umgeben von Feldern, Wald und einer idyllischen Parkanlage ist es ein wahres Kinderparadies.

Hasen, Schweine, Ziegen: Der Kindergarten hat viele tierische Bewohner

Für eine der drei Gruppen beginnt gegen neun Uhr der Stalldienst: Futtertröge werden gereinigt, frisches Wasser herbeigeholt, Heu- und Strohreste sowie der Kot werden eingesammelt und zum Misthaufen gekarrt. Dies und die Bewegung an frischer Luft stärken nicht nur das Immunsystem. Die Kinder lernen auch, die Bedürfnisse der Tiere zu erkennen, sie als Lebewesen zu betrachten und für sie die Verantwortung zu übernehmen.
Zu ernsthaften Zwischenfällen kam es noch nie. Die heutige Einrichtungsleiterin Eva Heller (52) ist seit der Gründung vor 20 Jahren mit dabei: "Wir bringen den Kindern die Basics bei, wie begegnet man dem Tier, wie streichelt oder bürstet man es. Und man rennt nicht hinterher, wenn es weggeht."
Falls doch mal ein Tier etwas aggressiver scheint, wird es in gute Hände des Netzwerkes abgegeben. "Anfangs hatten wir auch einen Esel, mit der störrischen Tierart konnten wir uns dann doch nicht anfreunden."
Ein absoluter Höhepunkt für die Bauernhof-Kinder ist, wenn bei den Hasen Nachwuchs ansteht. Es ist immer wieder erstaunlich, wie nackt und verletzlich diese Geschöpfe sind, bevor sie zu kleinen Wollknäueln heranwachsen. Und einmal im Jahr gibt es für zwei Wochen Besuch von einer eigens angemieteten Hühnerschar.
Dann entsteht zwischen den Gruppen ein Wettbewerb, welche die meisten frisch gelegten Eier findet. Wenn dann in der Kinderküche daraus Eierkuchen gebacken werden, sitzen alle wieder friedlich beieinander.
In der Küche verarbeiten die Kleinen auch die Früchte des Ackerbaus, der beim Bauernhof nicht fehlen darf - von der Aussaat über die Pflege bis zur Ernte. Es gibt Beete für Kräuter und Gemüse, Sträucher mit süßen Beeren und sogar ein kleines Maisfeld, welches nach gewisser Zeit ein paar der geliebten Leckerlis für die Futtertröge abwirft. Wer die Begeisterung der Kinder bei ihren spielerischen und gewissenhaften Tätigkeiten sieht, fragt sich, warum es nicht viel mehr solcher Einrichtungen gibt.


Auch die Eltern helfen in Leipzig-Mölkau mit

"Ohne zu übertreiben - pro Woche erhalte ich zwei oder drei Anfragen von Interessierten, kürzlich sogar aus Südafrika", sagt Eva Heller nicht ohne Stolz. Dass es dadurch zu einer Neugründung kam, wurde ihr nicht bekannt. Patenschaften mit Bauernhöfen, die einmal pro Woche besucht werden, mag es ja geben.
Aber eine Kita mit eigenen Tieren? Und wer versorgt die denn überhaupt am Wochenende?
In Mölkau sind es die Eltern, die gemeinsam mit den Kindern zu Stalldiensten eingeteilt werden und dabei nicht selten von ihren Sprösslingen lernen. Zudem gibt es einen rührigen Förderverein, der immer wieder Sponsoren findet. Denn Tierhaltung kostet, vom Futter über die sachkundige Pflege bis zum Tierarztbesuch. Das übernimmt keine Stadtverwaltung, die für tausende Kinder zuständig ist und nicht für nur 47 eine Extrawurst zahlt.
Weitere Hürden stellen die Auflagen der Behörden dar. Denn das Veterinäramt möchte beim Tierschutz mitreden und die Hygiene will die Kinder sicher wissen - für einen Kita-Betreiber ein erheblicher Mehraufwand. Großes Glück hatte der Bauernhofkindergarten zudem 2018, als der langjährige Träger die Einrichtung über Nacht abstoßen wollte.
Damals sprang die Fröbel-Gruppe (200 Krippen, Kindergärten und Horte in zehn Bundesländern) ein, welcher der integrative Ansatz des Konzeptes gut ins eigene Leitbild passte. Seither wurde auch ein Tierpfleger eingestellt.
Von all diesem Stress bekommen die Kinder so gut wie nichts mit. Später kehren sie immer wieder zahlreich zu den Ehemaligentreffen zurück. Eva Heller: "Einige von ihnen absolvieren hier auch ein Schülerpraktikum oder melden sich zur Ferienarbeit und erinnern sich dabei gern an ihre Kindheit." Sie haben etwas für und über das Leben gelernt, das ihnen niemand mehr nehmen kann.
Titelfoto: Ralf Seegers