Anzeigenhauptmeister 2.0: Wenn Falschparker-Apps zum Pranger der Straße werden
Von Michael Schmidt
Leipzig - Spätestens seit dem Frühjahr 2024, als der "Anzeigenhauptmeister" Niclas Matthei (19) bundesweit bekannt wurde, sind Falschparker-Apps in aller Munde. Der junge Mann aus Gräfenhainichen (Sachsen-Anhalt) reist durch Deutschland und zeigt als Privatperson Ordnungssünder an - und das ist per Gesetz sogar erlaubt, solange es nicht systematisch erfolgt.
Ist das in Leipzig genauso leicht möglich? Kurze Antwort: ja!
Das Ordnungsamt macht es Privatpersonen äußerst einfach: Formular ausfüllen, Foto hochladen - fertig. Einzige Bedingung: Die Anzeige darf nicht anonym erfolgen. Für die Stadt ist dies eine lukrative Einnahmequelle bei geringem Personalaufwand. Wie aus einer Anfrage der Linken im Stadtrat hervorgeht, wurden im Jahr 2023 auf diesem Weg über 9300 Anzeigen bearbeitet.
Die Art der Datenerhebung sowie die Aufbewahrung und Übermittlung von Fotos an die Ordnungsämter bei Privatanzeigen seien immer wieder Gegenstand von Diskussionen, so Verkehrsrechtsanwalt Christian Demuth.
Seiner Ansicht nach können die Ordnungsbehörden nicht sicherstellen, dass beispielsweise über Apps übermittelte Fotos unverfälscht oder unbearbeitet sind. Während das Leipziger Ordnungsamt die Verantwortung für die Datensicherheit auf die Anbieter bzw. die Anzeigenersteller abwälzt - und damit auch die Rechtssicherheit -, sieht der Anwalt dies äußerst kritisch.
Gegenüber TAG24 sagt Christian Demuth deutlich: "Die bloße Möglichkeit, dass Bürgerinnen und Bürger aufgrund von Daten belangt werden, die nicht mehr authentisch sind, ist unter dem Gesichtspunkt der vorgenannten Prinzipien rechtlich nicht tolerierbar."
Leipziger Ordnungsamt will Privatanzeigen nicht prüfen
Das größte Problem liege jedoch woanders: "Die gesamte Verkehrsüberwachung und Verkehrsahndung - auch im ruhenden Verkehr - zählt zum hoheitlichen Funktionsbereich des Staates." Sie unterliege daher strengen Grenzen.
Das Ordnungsamt Leipzig verweist jedoch auf die Strafprozessordnung, die es jedem Bürger ermöglicht, Anzeigen zu erstatten. Privatpersonen würden hier keine hoheitlichen Aufgaben übernehmen.
Vor diesem Hintergrund sieht sich die Behörde auch nicht dazu verpflichtet, Privatanzeigen auf "Systematik" zu prüfen: "Lediglich in Fällen, in denen ein Anzeigeerstatter bewusst ungerechtfertigte und unbegründete Anzeigen erstattet, kann von deren Verfolgung abgesehen werden."
Anwalt Demuth sieht hinter der massenhaften Verwertung von Anzeigen durch Privatpersonen und die dadurch erzielten Einsparungen allerdings einen Verstoß gegen die "Grundsätze eines fairen Verfahrens".
Es sei zwar korrekt, dass es der öffentlichen Hand obliege, zu entscheiden, ob und gegen wen ein Verfahren eingeleitet wird. Aber: "Wenn die Stadt Leipzig die [...] Privatanzeigen regelmäßig kritiklos abnickt, würde sie den Grundsatz verletzen, dass Hoheitsaufgaben ausschließlich von Behörden durchgeführt werden."
Verkehrsanwalt rät: Einspruch gegen Bußgeldbescheide erheben!
Demuth sieht das Problem noch auf einer anderen Ebene: Dieses Vorgehen fördere Denunziantentum, was langfristig zu Verunsicherung und sozialem Rückzug in der Bevölkerung führen könne.
Welche Möglichkeiten haben Betroffene nun, dagegen vorzugehen? Das Ordnungsamt Leipzig sieht sich hier nicht in der Verantwortung und verweist lapidar auf die gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelfe.
"Ein zivilrechtliches Vorgehen gegen den selbst ernannten Hilfssheriff zu verweisen, erscheint mir zynisch", so Verkehrsanwalt Demuth.
Sein Rat: Verwarngeldangebote, die auf Grundlage derartiger Datenerhebungen zustande gekommen sind, ignorieren und gegen Bußgeldbescheide Einspruch erheben.
Titelfoto: Andreas Arnold/dpa