Leipziger Bürgerkomitee deckt auf: Hier hatte die Stasi ihre Tarn-Wohnungen für Spitzel
Leipzig - Wie ein riesiges Spinnennetz erstreckte es sich über Leipzig: das Geflecht aus knapp 1200 offiziellen und geheimen Objekten der Staatssicherheit. Der Verein Bürgerkomitee Leipzig e. V. hat jetzt einen digitalen Stadtplan mit all den Orten ins Netz gestellt - darunter Hunderte Tarnwohnungen, die noch bis 1989 vom Geheimdienst genutzt wurden. Das Projekt dokumentiert auch, wie viele DDR-Bürger ihre privaten vier Wände als Spitzel-Treffs zur Verfügung stellten.


Sie hießen "Segler", "Vogel", "Juwel" oder "Tommy" - die konspirativen Wohnungen (KW) der Staatssicherheit. Hier trafen sich die IM-Spitzel mit ihren Führungsoffizieren, erhielten Agenten Instruktionen.
In der Karte des Bürgerkomitees, die insgesamt 1174 Stasi-Objekte aufführt, bilden sie den größten Teil. "All diese Objekte wurden konspirativ und mithilfe einer Abdecklegende genutzt, um vor der DDR-Bevölkerung geheim zu bleiben", erklärt Vereinschef Tobias Hollitzer (58).
Den aus Stasi-Akten zusammengestellten Beschreibungen der einzelnen Objekte ist zu entnehmen, dass es nicht nur treue Kampfgenossen waren, die ihre Wohnungen zur Verfügung stellten.
Da war auch die pensionierte Fahrstuhlführerin des Centrum-Warenhauses (KW "Rose"), die sich mit der von der Stasi gezahlten Miete von 132 Mark ihre Rente aufbesserte. Oder der junge LVZ-Volontär, der im April 1989 seine Gohliser Wohnung (KW "Tommy") zur Verfügung stellte und auf Karriere-Förderung hoffte.

Getarnte Räume im Leipziger Uniriesen von der Stasi genutzt

Ein Dozent der Tanz-Fachschule bot sein Stötteritzer Eigenheim (KW "Conrad") an, ein Betriebsdirektor sein Appartement (KW "Herbert") im Wintergarten-Hochhaus.
Selbst die Gartenlaube (KW "Struppi") eines pensionierten Polizisten in der Leutzscher Sparte "Waldfrieden" diente noch bis Dezember 1989 als Agenten-Treff.
Auch in Institutionen und Bildungseinrichtungen gab es jede Menge konspirativer Stasi-Räume. So listet die Karte allein im damals zur Karl-Marx-Universität gehörenden Uniriesen drei als Betriebstechnikräume getarnte Treff- und Beobachtungspunkte auf. Genutzt wurden diese offenbar von mehreren Abteilungen der Stasi.
Zumindest ist den Stasi-Akten zu entnehmen, dass es im Oktober 1981 zu einem Konflikt zwischen der für die Überwachung von Staatsapparat, Kirchen, Kultur und Opposition zuständigen Hauptabteilung XX und der Verwaltung Aufklärung der NVA kam, weil beide Dienststellen den Kontaktraum "Club" im 1. Obergeschoss für sich beanspruchten.


Bürgerkomitee Leipzig will sich mit Stasi-Beobachtungsstützpunkten befassen

Trotz der Vielzahl der bereits enttarnten Objekte bilde die Karte noch immer nicht die vollständige Topografie der Macht ab, sagt Hollitzer.
Auf dem Weg der digitalen Aufarbeitung dieses Teils der DDR-Geschichte sei noch viel zu erforschen.
Als Nächstes will sich der Verein Bürgerkomitee mit Beobachtungsstützpunkten der Stasi befassen.
Hollitzer: "Unser Anliegen ist es, die Durchdringung der DDR-Gesellschaft durch die Staatssicherheit vollständig zu visualisieren."
Titelfoto: Bildmontage: imago images/United Archives ; Bürgerkomitee Leipzig ; GMRE/Günther Dlugos