Würfel-Wahnsinn in Leipzig: Diese Ausstellung ist der reinste Glücksfall
Leipzig - Das ganze Leben ist ein Spiel – vielleicht ein Würfelspiel? Jedenfalls wird seit über 5000 Jahren gewürfelt – um Reichtum, Leben oder Tod. Der Kubus ist längst in alle Lebensbereiche vorgedrungen, hat sich vom Glücksspiel über Schmuck bis hin zur Erotik durchgekämpft. Ein Leipziger Mega-Würfelsammler zeigt jetzt seine verrücktesten Schätze im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig. Nächsten Mittwoch ist Eröffnung der einmaligen Würfelschau.

Wie viele Seiten hat ein Würfel? Sechs, natürlich! Aber: So klar ist das gar nicht. Die Leipziger Würfel-Schau strotzt nur so vor Kuriositäten wie wild blinkenden Würfelautomaten, plattgedrückten Taschenknobelbechern für die Jackentasche für langweilige Kutschfahrten oder heimlich aufklappbaren Würfeln aus Rinderknochen für Kassiber.
Kurator Tim Rood (30) ging mit gänzlich unverstelltem Blick ans Werk: "Ich habe bislang nur ab und an Kniffel gespielt, bin aber an spannenden Objekten interessiert."
Die fand er im reichhaltigen Fundus des Leipziger Würfelsammlers Jakob Gloger (31). Kostbarstes Objekt der Ausstellung ist vielleicht das goldene Set der königlichen Würfelautomaten von Georg IV.
"Bei einem Würfelautomaten wird mit einem Hebel, Drücker oder nach Einwurf einer Münze ein Mechanismus gestartet, der ein zufälliges Würfelergebnis anzeigt – zum Beispiel auf Walzen", erklärt Gloger.
Um 1900 herum produzierten eine Handvoll Leipziger Firmen Würfelautomaten. Die Ausstellung ist auch eine Hommage an die Feinmechanikerfirma ROVO, von der Gloger und Rood den Ur-Prototyp des ersten Würfelautomaten zeigen, den die Gründerväter 1931 im Keller bauten.
Gloger: "1959 verbietet Walter Ulbricht ROVO die Produktion – DDR-Bürger bräuchten kein Glücksspiel."
Würfeln für ein aufregendes Liebesleben

Der altbekannte Kunstharzwürfel, den viele noch als Pfennigware aus DDR-Spielen kennen, wird heute hoch gehandelt. Gloger: "Er wird zu Preisen von bis zu 100 Euro ersteigert, um in der Türkei zu Gebetsketten umgearbeitet zu werden."
Würfel können sogar das Sexleben auffrischen: Ein Würfel mit sechs Kamasutra-Stellungen bringt Pep ins Bett.
Ungewohnt außergewöhnlich: Die Ausstellungsgeschichte startet rückwärts, beginnt mit einem Corona-Würfel aus nächster Gegenwart.
Und von wegen "vor dem Würfel sind alle Menschen gleich": Auch gezinkte Würfel sind zu sehen, die auf der Einser-Seite künstlich mit Metall beschwert waren, damit öfter eine Sechs fiel. Manchmal mit tödlichem Ausgang für den Verlierer.
Am Ende steht der Anfang des Würfels. Wussten Sie, dass schon im römischen Reich vor Christus mit den würfelähnlichen Fußgelenksknochen von Paarhufern gespielt wurde? Die Schau zeigt's.

Sammler träumt schon von Las Vegas

Die allermeisten der 350 Objekte in der Ausstellung stammen aus der Privatsammlung von Jakob Gloger (31). "Ich habe zuletzt vor zehn Jahren über 10.000 Objekte in meiner Würfelsammlung gezählt", beschreibt der Leipziger die Größe seiner weltweit vielseitigsten Sammlung dieser Art.
Als Kind wurde seine Sammelleidenschaft bei einem Besuch auf dem Floh- und Antikmarkt auf dem Leipziger Agra-Gelände geweckt: "Ich handelte einen kleinen ROVO-Würfelautomaten von 15 auf 10 Mark herunter."
Inzwischen wurde sein 25 Quadratmeter großes ehemaliges Kinderzimmer in der elterlichen Wohnung zu klein für sein Archiv, sodass er ein Depot anmieten musste.
Gloger, der im Hauptberuf den freien sozialen Träger KV Toleranz und Inklusion mit einem Mehrgenerationenhaus leitet, gilt längst als ausgemachter Würfel-Experte.
Er hielt Vorträge vor Museumsdirektoren, Professoren und Kuratoren auf Kolloquien in Nürnberg, Kopenhagen und Bologna, hat sogar schon einen Businessplan für eine Dauerausstellung in Las Vegas aufgestellt.
"Nur der 'ROVO Lotto'-Automat fehlt mir quasi als Heiliger Gral noch in meiner Sammlung."
Ab Mittwoch geht es los

Die Ausstellung "Die Welt als Würfel" im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig (Haus Böttchergasse) ist vom 13. April bis 18. September 2022 geöffnet – dienstags bis sonntags und an Feiertagen jeweils 10 bis 18 Uhr. Eintritt: 5/2,50 Euro.
Tipp: Freier Eintritt an jedem ersten Mittwoch im Monat. Im Ticketpreis ist ein fair gefertigter Holzwürfel zum Spielen in der 750 qm großen Ausstellung enthalten.
Auch hier gilt: Es gibt nichts, was es nicht gibt

Coronavirus-Würfel
Auch das vielzackige Corona-Virus gibt's schon als Würfel – mit 20 Seiten, ersonnen im Coronajahr 2020 von der Firma Pathogenik im kanadischen Calgary. Das Corona-Brettspiel "Mit Eifer ins Gefecht" nimmt die Klopapier-Hamsterkäufe aus der Anfangszeit der Pandemie auf die Schippe.
20-mal mehr Seiten
Dieser Würfel hat gleich 120 Seiten! Wer erkennen will, welche Zahl oben liegt, muss ganz genau hinschauen. Der 120-Flächner wurde 2016 von den Mathematikern Henry Segerman und Robert Fathauer in den USA entwickelt und vom US-Würfel-Produzenten "The Dice Lab" als weltweit flächenmäßig größter in Serienproduktion hergestellt.
Würfel im Glückskäfig
Um Falschspieler mit gezinkten Würfeln auszuschließen, werden Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem in US-amerikanischen Casinos solche Chuck-A-Luck-"Glückskäfige" aufgestellt. Dabei befinden sich die auf Manipulation untersuchten Würfel hinter Gittern.
Würfel als Schmuck
Mit dem Modell "Elli" der High-Heels-Glücksschuhe mit Würfelabsatz aus dem Jahr 2010 wackelt man stilecht nicht nur durch die Casinos der Zockermetropole Las Vegas. Auch als Kettenanhänger oder Ohrringe sind kleine Würfel beliebt, sollen als sechsseitiger Talisman das Glück anziehen.

In vielen Epochen wurde gewürfelt

Würfel auf Zeit
Wer in der Nationalen Volksarmee (NVA) gedient hat, kennt diese Maßbänder der Entlassungskandidaten (EK). Sie schnitten die letzten 150 Diensttage Tag für Tag einen Zentimeter für einen Tag ihrer verflossenen Wehrzeit ab. Wer bastelte den originellsten Bandmaßbehälter? Dieser mit Sprüchen gezierte Würfel eines Leipziger Soldaten aus dem Jahr 1973 hatte beim internen Wettbewerb bestimmt gute Karten.
Nachwendezeit als Brettspiel
Spiele wie "Aufschwung Ost – Würfelspiel für Investoren" oder "Flucht in die deutsche Botschaft Prag" arbeiteten die Wirren der Wendezeit spielerisch auf. Gewonnen hat, wer durch die Treuhandanstalt so viele Immobilien wie möglich kauft und am meisten investiert.
Königliche Würfelautomaten
Diese beiden handlichen Würfelautomaten sehen wie Schnupftabakdosen aus. Sie stammen aus den Jahren 1804 und 1814 und wurden im Auftrag des späteren Königs George IV. angefertigt. Ein Automat zeigt das Konterfei seines Vaters Georg III. Auf dem anderen Exemplar ist Kaiser Alexander I. von Russland zu sehen, der den Würfelautomaten vermutlich bei seinem Besuch im Vereinigten Königreich als Geschenk erhielt.

Duft(end)e Pokerwürfel mit Parfüm
Die Duft-Schmiede Molinard wird 1849 von Chemiker Molinard Jeune im französischen Grasse gegründet, der "Welthauptstadt des Parfums". 1921 bringt das Familienunternehmen zwei bis heute beliebte Parfüme auf den Markt, die unter anderem in Pokerwürfeln angeboten werden. Die Düfte sind so stark konzentriert, dass die 80 Jahre alten Würfel noch heute in der Ausstellung duften.
Titelfoto: Ralf Seegers/Stadtgeschichtliches Museum, Archiv