Weltweit berühmt und doch ein tragischer Held: Der arme Teufel

Leipzig - Vor 30 Jahren schloss Hartmut Müller (70) nicht etwa einen Pakt mit dem Teufel. Aber seither verkörpert er den Leibhaftigen. Und zwar als Mephisto in einem der weltweit berühmtesten Gasthäuser, welches Goethe in seinem "Faust" unsterblich machte: "Auerbachs Keller" begeht in diesen Wochen das 500. Jubiläum - 1525 schenkte ein Doktor Stromer aus Auerbach in seinem Keller erstmals Wein an die Studenten aus. Das wird natürlich groß gefeiert, auch mit vielen weiteren effektvollen Auftritten des Mephisto.

Im Untergeschoss der Mädler-Passage, Deutschlands beliebtestem Einkaufszentrum, liegen die historischen Gewölbe von "Auerbachs Keller". Hier wurde Hartmut Müller (70) in der Rolle des Mephisto der von Privatpersonen aus dem In- und Ausland am meisten fotografierte Leipziger.
Im Untergeschoss der Mädler-Passage, Deutschlands beliebtestem Einkaufszentrum, liegen die historischen Gewölbe von "Auerbachs Keller". Hier wurde Hartmut Müller (70) in der Rolle des Mephisto der von Privatpersonen aus dem In- und Ausland am meisten fotografierte Leipziger.  © Ralf Seegers

Polternd schlägt die Türe auf: "He, Platz da! Sagt, was treibt Ihr hier?" Mit einer Donnerstimme jagt Mephisto so manchem Gast einen Schrecken ins Mark. Denn nicht jeder hatte bisher eine Begegnung mit dem Teufel. Und in der Sprache aus Goethes Zeiten legt der sich auch mit einzelnen Besuchern an. Gerne frech, aber nie unter der Gürtellinie.

Dabei will Mephisto auch nicht belehrend oder drohend wirken. Hartmut Müller: "Die Leute sollen einen Abend genießen, den sie nicht so schnell vergessen. Ich möchte, dass sie quieken und wiehern und sich vor Lachen auf die Schenkel klopfen." Er geht von Tisch zu Tisch, rollt die Augen, singt schief, treibt geistreichen Schabernack. Am Ende erteilt er die teuflische Absolution.

An die 5000 Auftritte dürfte er inzwischen absolviert haben, an die drei Millionen Gäste beglückt. Er ist das Gesicht von "Auerbachs Keller", welches auch auf T-Shirts, Tragetaschen und Kugelschreibern prangt. Seit einiger Zeit fährt sogar eine Straßenbahn mit dem großflächigen Müller-Mephisto durch die Stadt. Nach der Show steht er für Selfies zur Verfügung. Er dürfte der von Privatleuten am meisten fotografierte Leipziger sein.

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Auch wenn sich der Ablauf eines Auftritts kaum ändert, gleicht keiner dem anderen. Müller hat sich zum Meister der Improvisation gemausert. Die 35 Minuten, die er zum Schminken und zum Ankleben der lustigen Hörnchen benötigt, nutzt er für die individuelle Vorbereitung: "Dann weiß ich, für welche Gesellschaft oder welchen Ehrengast ich da auftrete und kann auch schnell einen passenden Hexameter dichten."

Müller trennt scharf zwischen Privatperson und Mephisto. Wenn er aber einmal vollständig geschminkt ist, hat er die Rolle tief verinnerlicht. Dann darf ihn auch niemand mit Hartmut oder Herr Müller ansprechen.
Müller trennt scharf zwischen Privatperson und Mephisto. Wenn er aber einmal vollständig geschminkt ist, hat er die Rolle tief verinnerlicht. Dann darf ihn auch niemand mit Hartmut oder Herr Müller ansprechen.  © Auerbachs Keller

Leipzigs Mephisto: Nicht einmal Könige und Staatschefs sind vor ihm sicher

Seit 30 Jahren verkörpert er den Leibhaftigen und bereitet dem Publikum ein riesiges Vergnügen. Müllers mickrige Rente verdammt ihn, diese Rolle trotz zunehmenden Alters möglichst lange durchzuhalten.
Seit 30 Jahren verkörpert er den Leibhaftigen und bereitet dem Publikum ein riesiges Vergnügen. Müllers mickrige Rente verdammt ihn, diese Rolle trotz zunehmenden Alters möglichst lange durchzuhalten.  © Auerbachs Keller

Privat erholt sich Hartmut Müller gerne bei ausgedehnten Spaziergängen im Wald. Da erinnert er sich auch manchmal daran, wie schwer er sich durchs Leben kämpfen musste. Der Werkzeugmacher mit Abitur absolvierte in Leipzig ein Studium als Museologe, für die es nach der Wende keine Jobs gab. Zwar schauspielerte er leidenschaftlich gerne auf Laienbühnen, doch zum Broterwerb taugte dies nicht viel.

Er schlug sich also als Fußboden- und Fliesenleger durch, scheiterte als Wirt, war zwischenzeitlich Klatschkolumnist bei der Morgenpost und Gastro-Reporter bei der Volkszeitung oder als Helfer in einem kleinen Immobilienbüro tätig. Und er sanierte als Einzelkämpfer mit seinem großen handwerklichen Geschick Wohnungen. Er war bereits weit über 60 Jahre alt, als die Auftritte als Mephisto oder Fasskellermeister so viel Gage abwarfen, dass er endlich halbwegs davon leben konnte. Da hatte er aber auch schon einen Herzinfarkt hinter sich - vier Tage später stand er wieder auf der Matte.

Denn er liebt die Rolle zu sehr. Auch die unvergesslichen Erlebnisse aus drei Jahrzehnten. Kanzler Schröder gab er einen Klaps auf den Hinterkopf. Dem schwedischen König Carl Gustav streckte er die Zunge heraus, als dessen Silvia mit ihm flirtete. Schauspieler Götz George fand sein Schauspiel überzeugend: "Man denkt: 'Mist, jetzt ist er da, der Teufel!'"

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Und da war noch Bischof Desmond Tutu aus Südafrika, zwei Köpfe kleiner als Mephisto. Müller: "Als ich ihn in meinen heiligen Hallen empfing und ihm die Hand gab, sagte er ganz aufgeregt: 'Jetzt hat er mich, der Teufel.' Er ließ meine Hand nicht mehr los und bestellte zunächst einen Gin-Tonic mit extra Whisky."

Sogar eine Straßenbahn fährt Müllers Mephisto-Gesicht inzwischen kreuz und quer durch Leipzig.
Sogar eine Straßenbahn fährt Müllers Mephisto-Gesicht inzwischen kreuz und quer durch Leipzig.  © Auerbachs Keller

Mephisto will noch lange weitermachen

Wegen seiner Artenvielfalt ist der Botanische Garten in Leipzig für Naturliebhaber Müller zu einem Lieblingsort geworden.
Wegen seiner Artenvielfalt ist der Botanische Garten in Leipzig für Naturliebhaber Müller zu einem Lieblingsort geworden.  © Ralf Seegers

Ein halbes Jahrtausend "Auerbachs Keller" - das Jubiläumsjahr ist voll von kulturellen Höhepunkten in den historischen Gewölben. Das "Große Gelage" zum Geburtstag steigt am 15. April. Doch auch davor und danach ist der Veranstaltungskalender prall gefüllt, viele Sonder-Events sind bereits ausgebucht. Auch für Hartmut Müller. Allein im Januar hatte er 16 Auftritte.

Selbst wenn der Teufel unsterblich ist, jünger wird auch Müller nicht. Er weiß, dass der "magische Verjüngungstrunk", den er mit vielen Gästen in der "Hexenküche" schlürft, vielleicht nur als Placebo wirkt. Daher macht er täglich Frühsport, geht ins Fitnessstudio und ernährt sich gesund.

Denn den Mephisto will er noch lange weiter mimen. Einen brutalen Grund, seine ziemlich mickrige Rente, erwähnt Müller nur in einem Nebensatz. "Ich tue es für die Menschen! Solange sich das Publikum vor Lachen wegschießen kann, bin ich der richtige Mann am richtigen Ort."

Auf dem Völkerschlachtdenkmal schwenkt Mephisto die Fahne für das 500. Jubiläum. Dieses bringt auch ihm in diesem Jahr viele zusätzliche Auftritte ein.
Auf dem Völkerschlachtdenkmal schwenkt Mephisto die Fahne für das 500. Jubiläum. Dieses bringt auch ihm in diesem Jahr viele zusätzliche Auftritte ein.  © Montage: Auerbachs Keller + Ralf Seegers

Kürzlich erkannte ihn ein Wachmann in der Mädler-Passage und fragte, wie er denn mit dem ganzen Ruhm als Mephisto umzugehen weiß. Er antwortete: "Ich bin doch gar nicht Mephisto. Ich bin Hartmut Müller."

Weitere Infos: auerbachs-keller-leipzig.de

Titelfoto: Montage: Auerbachs Keller + Ralf Seegers

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