Ukraine-Krise triggert: Leipziger Senior spricht über Krieg in seinem Kopf

Von Anke Brod

Leipzig - Seit dem 24. Februar herrscht in der Ukraine Krieg. Die Szenen wecken böse Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg. Das erlebt aktuell auch Dr. Wolfgang Richter (84) aus Leipzig-Mölkau. TAG24 sprach mit dem Senior über den getriggerten "Krieg im Kopf".

Dr. Wolfgang Richter (84) zusammen mit Schwester Sylke Prüfer, der Leiterin der Volkssolidarität Engelsdorf. Zu Gast in der Einrichtung erinnerte sich der Senior an seine Jugend in Kriegsjahren.
Dr. Wolfgang Richter (84) zusammen mit Schwester Sylke Prüfer, der Leiterin der Volkssolidarität Engelsdorf. Zu Gast in der Einrichtung erinnerte sich der Senior an seine Jugend in Kriegsjahren.  © Anke Brod

"Am 20. Juni 1945 wurde ich acht Jahre alt", begann der frühere Ingenieur für Elektrotechnik das Gespräch als Tagesgast der Sozialstation bei der Volkssolidarität in Engelsdorf.

Ursprünglich stamme er aus Weißenfels, ergänzte er und berichtete: "So richtig ernst wurde mir der Krieg, als mich meine Großeltern 1944 siebenjährig vorübergehend nach Schönebeck an die Elbe holten."

"Am ersten Tag in der neuen Schule brach er dort über mich herein", schilderte der Senior. Er erinnerte sich: "Die Schule war gefüllt mit Flüchtlingen aus Ostpreußen."

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Man habe in der Klasse den Hitler-Appell begangen - danach nie wieder. "'Das wirst du nicht mehr erleben, die Front rückt näher', sagte mir damals ein Junge", gab Dr. Richter wieder.

"Da fiel ein Schwert auf mich nieder, die Gefahr war da", so sein damaliges Gefühl.

"Wir mussten alle nach unten in den Bunker"

Die Bilder in der Ukraine wecken bei dem Leipziger dunkle Erinnerungen.
Die Bilder in der Ukraine wecken bei dem Leipziger dunkle Erinnerungen.  © Anke Brod

Bombardements wurden zur Realität. "Es war eine tägliche Wiederholung, dass Flieger nahten", schilderte der 84-Jährige seine bewegte Vergangenheit gegenüber TAG24.

Immer wieder seien Flugzeug-Verbände über das Elternhaus in Weißenfels mit den Leuna-Werken als Bombenziel hinweg gezogen. "Wir mussten alle nach unten in den Bunker. Säuglinge brüllten, es war ein schlimmes Spektakel", schilderte Dr. Richter mit spürbarer Beklemmung in der Stimme. Später hätten danach Wohnungen, aber auch ein Haus in der Nähe gebrannt.

Ein Vorfall prägte sich besonders bei ihm ein: "Ich war im Luftschutzbunker auf meinem Stammplatz, einem Doppelbett aus Holz", erzählte der 84-Jährige. Er habe indes noch seinen Freund vermisst. "Und der kam plötzlich durch die Luft zu mir geflogen", fuhr er fort und erklärte: "Oben an der Kellertreppe saß seine Mutter mit Speichel am Mund, und aus Verzweiflung warf sie ihn beim Bombenalarm in den Keller."

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Dem Freund habe die Atmosphäre im Bunker sehr missfallen. Dr. Richter: "Es herrschte dort furchtbare Luft, es war feucht, dann diese Stahltüren und der Schutz vorm Fenster, Kleinkinder schrien." Die halben Stunden im Bunker seien ihm ewig vorgekommen.

"Ich hätte nie gedacht, dass heute so etwas wie der Krieg in der Ukraine noch einmal geschehen könnte"

Der Senior schreibt aktuell an seiner Biografie, wie er TAG24 berichtete. Krieg, DDR und Wendezeit. Richter hat schon einiges erlebt.
Der Senior schreibt aktuell an seiner Biografie, wie er TAG24 berichtete. Krieg, DDR und Wendezeit. Richter hat schon einiges erlebt.  © Anke Brod

"Ich hätte nie gedacht", sagte der Mölkauer nachdenklich, "dass heute so etwas wie der Krieg in der Ukraine noch einmal geschehen könnte. Ich schreibe übrigens gerade meine Biografie". Von Hitler über Sozialismus bis hin zur Demokratie habe er schließlich alles schon mitgemacht.

Eigentlich wollte Dr. Wolfgang Richter sein Rentnerdasein in Ruhe bestreiten, behütet und es in Frieden gemeinsam mit Kindern und Enkeln in dem Haus genießen, das er 1994 in Mölkau zu diesem Zweck erwarb.

"Wäre nun der Krieg in der Ukraine nicht, wäre alles in Ordnung", beschreibt er seinen aktuellen Gemütszustand. Und schon jetzt bemerke man die Auswirkungen einer zerschnittenen Wirtschaft. Er nannte Weizenexport und Erdgaslieferungen.

"Die Folgen sind wirklich kaum vorhersehbar", schloss Richter nachdenklich.

Titelfoto: Anke Brod

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