Leipziger Psychologe: Corona-Sperren sind für psychisch kranke Kinder dramatisch
Leipzig - Geschlossene Schulen und Kitas, wegbrechende Therapien - die Situation für psychisch erkrankte Kinder verschärft sich derzeit dramatisch. Der Kinder- und Jugendpsychologe der Universität Leipzig Julian Schmitz (37) fordert von der Landesregierung, die jungen Patienten nicht einfach ihrem Schicksal zu überlassen und wenigstens Kitas und Horte für deren Notbetreuung zu öffnen.
Angst- oder Essstörungen, Suchtproblematiken und Depressionen - tausende Kinder und Jugendliche sind in Sachsen in psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung. Die Corona-Beschränkungen treffen sie besonders hart.
"Die Schließung von stationären Einrichtungen ist wirklich dramatisch, da an vielen Standorten nur noch Akutfälle versorgt werden, zum Beispiel bei Suizidalität. Teilweise werden auch schwer kranke Kinder und Jugendliche nach Hause entlassen, nicht selten in schwierige familiäre Verhältnisse", berichtet Professor Schmitz.
Für andere Patienten verschiebe sich die dringend benötigte stationäre Behandlung um mehrere Monate. "Auch die ambulante psychotherapeutische und ärztliche Versorgung kann das nicht auffangen", erklärt der Kinder- und Jugendpsychologe.
Die Schließung von Schulen und Kitas entzieht den psychisch erkrankten Kindern zudem die so wichtige Tagesstruktur und ihre sozialen Kontakte. Schmitz: "Es besteht die Gefahr, dass sich dadurch die psychischen Störungen bei den Betroffenen verstärken."
Professor fordert Notbetreuung für psychisch kranken Kinder
Gemeinsam mit der Gesellschaft für Psychologie fordert Schmitz deshalb von der Landesregierung, Kitas und Horte auch für die Notbetreuung psychisch erkrankter Kinder und für Kinder von psychisch erkrankten Eltern zu öffnen, wenn dies durch einen Psychotherapeuten oder Facharzt als individuell notwendig eingeschätzt wird.
"So könnten in vielen Familien Druck- und Gefährdungssituationen entschärft werden und auch eine drohende Verschlimmerung von psychischen Störungen abgemildert werden."
Die aktuellen Regelungen der Bundesländer seien leider nicht ausreichend, da sie nur eine Notbetreuung für Kinder vorsehen, bei denen eine akute Kindswohlgefährdung durch das Jugendamt festgestellt werde, so Schmitz.
Viele Familien mit psychisch kranken Kindern oder psychisch kranken Erwachsenen seien dem Jugendamt aber überhaupt nicht bekannt. Daher gehe diese Regelung am Bedarf der meisten Kinder und Jugendlichen vorbei.
Professor Schmitz: "Es müssen schnell Lösungen gefunden werden, um die Situation von Betroffenen zu entschärfen."
Titelfoto: Uwe Anspach dpa/lrs