Doku enthüllt: DDR-Forscher führten gefährliche Experimente an Amateur-Sportlern durch
Leipzig - Nach Recherchen der ARD-Dopingredaktion haben führende Wissenschaftler der DDR Experimente an Amateur-Sportlern durchgeführt, um die Leistung von Profi-Sportler wie Olympiasieger Waldemar Cierpinski (70) zu erhöhen. Mit Doping-Mitteln in gefährlichen Mengen und menschenunwürdigen Praktiken wurde den Freizeit-Sportlern von damals übel zugesetzt - in einer ARD-Dokumentation berichten die Betroffenen von einem Leiden, das bis zum heutigen Tage anhält.
Einer der Betroffenen ist Hans-Albrecht Kühne, der in den 70er-Jahren an der Universität in Leipzig Journalistik studiert, leidenschaftlicher Freizeit-Läufer war und nach einem Routine-Besuch beim Arzt angesprochen wurde, ob er sich vorstellen könne, an einer sogenannten "Forschungsgruppe Lauf" teilzunehmen.
"Uns wurde gesagt, dass wir an Experimenten teilnehmen, deren Übertragbarkeit auf Profi-Sportler untersucht werden soll", erinnerte sich Kühne, der heute in Mecklenburg-Vorpommern lebt, an seine damalige Aufgabe.
Zusammen mit anderen Teilnehmern der Sportgruppe wurde er regelmäßig im damaligen Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport (FKS) untersucht und behandelt.
Was dort geschah, durfte unter keinen Umständen nach draußen gelangen, wie es Kühne und seinen Leidensgenossen eingeschärft wurde.
Brutale Biopsien und Anabolika: Probanden durchlitten starke Schmerzen
"Immer wenn ich im FKS war, hatte ich das Gefühl, ich betrete eine Unterwelt. Die Behandlungen fanden immer im Keller statt, dort gab es kein Tageslicht, es lagen seltsame Gerüche in der Luft, es war eine gespenstige Situation", so der heute 65-Jährige.
Was mit Blutentnahmen und Laufbandtests begann, entpuppte sich bald zu einem schmerzhaften Albtraum für alle Probanden: Immer wieder wurden bei lebendigen Leibe auch Biopsien, also Gewebeentnahmen durchgeführt, meist mit Hohlnadeln oder gar Zangen.
"Die Schmerzen waren geradezu grenzwertig", berichtete Hans-Abrecht Kühne. Mit den Folgen der Biopsien hat er noch heute zu kämpfen: Da immer wieder Gewebeproben aus seiner Oberschenkel- und Beinmuskulatur entnommen wurde, ist das Lymphsystem in seinem Unterkörper stark beschädigt; seit Jahren befindet er sich deshalb in Behandlung.
Doch es geht noch weiter: Im April 1976 wurden Kühne das erste Mal zwei Ampullen Depot-Thurinabol verabreicht, wie ihm sein behandelnder Arzt Doktor Buhl erst auf mehrfaches Nachfragen offenbarte. Dabei handelte es sich um ein per Spritze verabreichtes Anabolikum - später kam auch die Steroidtestsubstanz STS 648 dazu, die Kühne über Monate hinweg verabreicht wurde.
Beide Mittel richteten verheerende Schäden im Körper und der Psyche des Hobbyläufers an.
Depressionen und Suizidgedanken: DDR-Experimente haben Nachwirkungen
"Ich bekam Nierenschmerzen, meine Hoden schwollen an, in meinem Ejakulat sammelte sich geronnenes Blut", vermerkte Kühne damals in seinem Tagebuch.
"Ich fühlte mich wie von mir selbst entfremdet, bekam Depressionen und Suizidgedanken", so der 65-Jährige. Nebenwirkungen, die sich auf die hoch dosierte Anabolika-Behandlung zurückführen lassen.
Immer wieder wurden Kühne und die anderen Teilnehmern in ihrem Tun bestärkt. Die Experimente kämen der Nationalmannschaft zugute, man arbeite zusammen an den sportlichen Erfolgen der DDR, bekräftigten die behandelnden Ärzte immer wieder. Irgendwann schaffte Kühne dann jedoch den Absprung und kehrte der Forschungsgruppe den Rücken zu.
"Wenn ich zurückdenke, fühle ich mich definitiv missbraucht. Das waren definitiv Menschenversuche, die man nicht hätte durchführen dürfen", so der damalige Proband. Zusammen mit anderen Betroffenen hofft er, bald für die grausigen Taten in der Vergangenheit entschädigt werden zu können.
Die komplette Doku seht Ihr >>>hier.
Titelfoto: Screenshot MDR