Dirigent Herbert Blomstedt auch mit 95 noch aktiv: Eine Ausnahme-Erscheinung

Leipzig/Dresden - Von der Fachwelt gepriesen, von Musikern verehrt und vom Publikum geliebt: Die Lobeshymnen auf Maestro Herbert Blomstedt klingen überall ähnlich. Am 11. Juli wird er 95 Jahre alt.

Herbert Blomstedt im September 2021 beim Sonderkonzert mit der Staatskapelle in der Semperoper.
Herbert Blomstedt im September 2021 beim Sonderkonzert mit der Staatskapelle in der Semperoper.  © Matthias Creutziger

Diesen Tag wollte er eigentlich in Leipzig verbringen: Das Gewandhausorchester, dessen Kapellmeister Blomstedt von 1998 bis 2005 war, hatte eine Festwoche inklusive Dankgottesdienst und Open-air-Konzerte geplant. Doch der Jubilar muss sich von den Folgen eines Sturzes erholen und kann nicht anreisen.

"Herbert Blomstedt ist als Mensch, Musiker und Dirigent eine Ausnahmeerscheinung", sagt Gewandhausdirektor Andreas Schulz. Er habe in seiner Leipziger Amtszeit nicht nur das Gewandhausorchester essenziell erneuert, sondern auch intensiv am Orchesterklang gearbeitet und das Repertoire entscheidend erweitert.

Blomstedt kam 1927 als Sohn schwedischer Eltern in den USA zur Welt. Seine Mutter war Pianistin, sein Vater Prediger. Als Abiturient hatten es ihm Fächer wie Mathematik, Geschichte, Geografie und Sprachen angetan. Doch schließlich entschied sich Blomstedt für die Musik, studierte in Stockholm Geige, später Dirigieren unter anderem bei Leonard Bernstein. 1954 debütierte er als Dirigent bei den Stockholmer Philharmonikern.

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"Ich bin für alles dankbar, für mein ganzes Leben. Ich hatte wunderbare Eltern, einen strengen geradlinigen Vater, der mir gute Lebensweisheiten weitergab. Meine Mutter war ein wunderbarer Kontrast zu ihm - weich, freundlich, gesellig und eine wunderbare Musikerin", hat Blomstedt einmal gesagt. Und er sei dankbar für seine Frau, die perfekt zu ihm gepasst habe und mit der er vier Töchter hat. Waltraud Blomstedt starb 2003.

Erste Chefpositionen nahm er beim Orchester in Norrköping, in Oslo und beim Dänischen Radio-Sinfonieorchester ein. 1969 debütierte er bei der Staatskapelle Dresden, die von 1975 an für zehn Jahre seine künstlerische Heimat wurde. Danach machte er das San Francisco Symphony Orchestra zu einem führenden Klangkörper der USA.

"Unsere Funktion als Dirigent ist es, den Komponisten zu Gehör zu bringen"

Ein berührter Blomstedt neben einer Büste seiner selbst vor fünf Jahren auf dem Dresdner Theaterplatz anlässlich seines 90. Geburtstages.
Ein berührter Blomstedt neben einer Büste seiner selbst vor fünf Jahren auf dem Dresdner Theaterplatz anlässlich seines 90. Geburtstages.  © Norbert Neumann

Von 1996 bis 1998 war er Chef des NDR-Sinfonieorchesters, es folgte Leipzig. "Ich habe nie eine Chefposition gesucht oder mich dafür beworben. Sie sind immer zu mir gekommen. Das stimuliert das Selbstgefühl", verriet Blomstedt, der sein Amtsverständnis so definiert: "Unsere Funktion als Dirigent ist es, den Komponisten zu Gehör zu bringen. Wir sind seine Anwälte. Ich respektiere auch das Orchester. Wir Dirigenten sind nicht dazu da, damit wir uns in die Sonne stellen."

Ein Wesenszug Blomstedts ist die Disziplin. Noch heute beginnt er jeden Tag mit einem Studium von Partituren. Das scheint so etwas wie Frühsport für den Maestro zu sein. Bernward Gruner, ehemaliger Cellist der Dresdner Staatskapelle, vergleicht es mit einem "Morgengebet": "Blomstedts Disziplin und Hingabe suchen ihresgleichen." Gruner durfte gleich nach seinem Einstieg bei der Staatskapelle Dresden 1979 mit Blomstedt auf eine USA-Tournee gehen. Wochenlang fuhr man mit dem Bus kreuz und quer durchs Land. Der Chef wollte keine Privilegien, sondern saß wie alle anderen Musiker im Bus.

Es gebe unterschiedliche Arten, wie Dirigenten alt werden, so Gruner: "Manche verblassen, andere bleiben bis zum Schluss fit, machen aber immer wieder dasselbe. Bei Blomstedt lässt sich die Entwicklung bis ins hohe Alter verfolgen. Ich erlebe das Geheimnis seines Alters so, dass er sich immer wieder geistig erneuert. Das ist die Quelle seiner Vitalität."

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Blomstedt hat sich selbst keine Grenze gesetzt, wann er den Taktstock aus der Hand legt. "Aber irgendwann kann man nicht mehr. So ist das Leben", sagte er schon vor langer Zeit. "Solange das Orchester Freude hat, mit mir zu musizieren, werde ich das machen. Ich möchte nicht irgendwann das Gefühl haben, dass die Freude nur auf meiner Seite ist."

Titelfoto: Matthias Creutziger

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