"Exakt - Die Story" über Leipzig-Grünau: "Platte zwischen Armut und Aufbruch"
Leipzig - Grünau war einst die größte Plattenbausiedlung in Sachsen. In der DDR waren die Wohnungen heiß begehrt, nach der Wende verschlechterte sich jedoch der Ruf und die Leute zogen weg. Wofür steht Grünau heute?
"Exakt - Die Story" (MDR) hat Einwohner des Viertels getroffen und mit ihnen über ihre Heimat gesprochen. Was verbinden sie mit Grünau? Wie hat sich das Viertel seit der Wende verändert? Und was ist dran an den Klischees um Drogen, Armut und Kriminalität?
48.000 Menschen leben den Angaben zufolge heute in Grünau.
"Die sind im Schnitt etwas ärmer, etwas älter und haben häufiger einen Migrations-Hintergrund als im Rest von Leipzig", erklärt Reporter Fabian Held.
Auch die Mieten seien günstiger als im Rest von Leipzig. Aber macht das Grünau gleich zum Armen-Viertel der Messestadt?
"Die ganzen Klischees, es würden nur arme Leute hier wohnen, die sind nicht richtig", erfährt der Reporter bei einem Kneipenbesuch. "Es wohnen wirklich gute Leute hier, arbeitswillige, fleißige und nette."
Bar-Betreiber Norbert ergänzt kurz darauf, es werde mittlerweile viel modernisiert. "Dementsprechend steigen die Mieten und einige können sich die Wohnung dann nicht mehr leisten. Selbst eine kleine Einraumwohnung kostet ja mittlerweile so viele wie eine unsanierte Zwei- oder Dreiraumwohnung."
37.000 Wohnungen in zwölf Jahren
Grünau wandelt sich und bietet Potenzial - das meint Prof. Dr. Sigrun Kabisch, die das Viertel seit mehr als 40 Jahren erforscht. Sie beschreibt es heute als extrem heterogen. Deswegen brauche es beides, sowohl Modernisierungen als auch - und vor allem - günstige Wohnungen. Der Raum, den die Innenstadt von Leipzig heute noch bietet, habe mittlerweile Luxus-Charakter.
Für Luxus stand Grünau jedoch noch nie. 1976 wurden die ersten Plattenbauten hochgezogen. In zwölf Jahren entstanden acht Wohnkomplexe mit mehr als 37.000 Wohnungen. Die Idee dahinter - wie überall in der DDR - war durch und durch sozialistisch: Uni-Professor und Fließbandarbeiter sollten nebeneinander wohnen, die sozialen Klassen damit abgeschafft werden.
Nach dem Mauerfall wurde die Platte unbeliebt, Grünau verlor die Hälfte seiner Einwohner. Zurück blieben Einkommensschwache, Alte und viel Leerstand.
In dieser Zeit bildeten sich die Klischees von Überalterung, Armut, Drogen und Nazis.
Ein Viertel im Wandel
Einer, der diese Klischees erlebte, ist Silvio. Zwischen 2010 und 2014 geriet er in den Drogensumpf, kam mit den Schattenseiten des Viertels in Kontakt.
Heute ist Silvio clean, hat eine Familie. Über Grünau sagt er witzelnd, dass es ein Loch sei. Nach einiger Zeit in einem anderen Stadtteil zog er mit Frau und Kind wieder in seine Heimat, auch wegen der günstigen Mieten.
Grünau hat den Ruf, kriminell zu sein. Ein Blick in die Statistik zeigt ein differenziertes Bild. 2004 wurden 93 Straftaten pro Jahr und 1000 Einwohner registriert. Zwischenzeitlich stieg die Kriminalität an, sank 2020 aber sogar tiefer auf 88 Fälle pro Jahr und 1000 Einwohner. Im Vergleich dazu: In ganz Leipzig waren es durchschnittlich 116 Fälle im Jahr 2020. In Grünau gibt es also weniger Kriminalfälle pro Einwohner als im Rest der Stadt.
Mit dem anhaltenden Zuzug nach Leipzig ziehen heute auch wieder mehr Menschen nach Grünau. Das Bild vom Plattenbauviertel wandle sich erneut. "Wichtig ist es, dabei genau hinzusehen und nicht irgendwelchen Klischees zu folgen", sagt Professorin Sigrun Kabisch.
Den kompletten Beitrag mit dem Titel "Platte - zwischen Armut und Aufbruch" gibt es als Stream in der MDR-Mediathek.
Titelfoto: MDR/Höhn