Spektakuläre Flucht mithilfe der Mafia: Eisenbahnstraßen-Schütze in Italien unter Terrorverdacht
Leipzig - Bei der SEK-Panne im Juli 2020 in Delitzsch ist der sächsischen Polizei mit Aymen Abidi (25) offenbar ein Terrorverdächtiger entwischt. Ermittlungen italienischer Behörden brachten nun ans Licht, dass der nach einer Schießerei auf der Leipziger Eisenbahnstraße wegen versuchten Mordes gesuchte Tunesier Verbindung zu terroristischen Kreisen haben soll und zwischenzeitlich mithilfe der Mafia nach Afrika flüchten konnte.
Es war eine der peinlichsten Pannen der sächsischen Polizei: Als das SEK am Morgen des 9. Juli einen Delitzscher Plattenbau stürmte, um Abidi festzunehmen, kletterte der Tunesier einfach über den Balkon aus dem vierten Stock. Barfuß und in kurzen Hosen gelang ihm die Flucht, weil die Polizei vergessen hatte, die Rückseite des Hauses zu sichern.
Ermittlungen der Anti-Mafia-Behörde im sizilianischen Palermo legen jetzt offen, was hernach passierte. Anlass ist die Verhaftung des mutmaßlichen Mafioso Nouri E. (50), der Abidi in Sizilien versteckt und dann zur Flucht nach Tunesien verholfen haben soll, durch Beamte der Finanzpolizei von Agrigento.
Demnach flüchtete der Tunesier, der am 9. April auf der Eisenbahnstraße einem Serben (47) in den Hals schoss (TAG24 berichtete), von Delitzsch aus nach Italien und versteckte sich zunächst in der Toskana. Am 23. Juli spürten italienische Polizisten Abidi in Florenz auf und nahmen ihn fest.
Nach einer gerichtlichen Anhörung am 17. September gelang dem Gefangenen auf dem Parkplatz die Flucht. Angeblich saßen seine Handschellen zu locker...
Abidi soll Verbindungen zu "terroristischen Kreisen" haben
Spätestens da vermuteten Ermittler, dass Abidi ein Helfer-Netzwerk haben muss. Den italienischen Ermittlungen zufolge führte die Spur des Flüchtigen weiter nach Sizilien.
Dort soll sich der jetzt verhaftete Nouri E. um Abidi gekümmert und in einem Haus in der Nähe der Küstenstadt Trapani versteckt haben. Der Tunesier E. lebt schon seit Langem auf Sizilien und soll hier einem Mafia-Zweig angehören, der die illegale Einschleusung von Migranten aus Nordafrika übers Mittelmeer organisiert.
Bemerkenswert: Während deutsche Behörden offiziell nur wegen versuchten Mordes gegen Abidi ermitteln, steht er in Italien auch unter Terrorverdacht. Abgehörte Gespräche in einem "verwanzten" Auto sollen den Anti-Mafia-Behörden zufolge belegen, dass der Tunesier "Verbindungen zu terroristischen Kreisen" habe.
So soll Fluchthelfer Nouri E. geäußert haben, dass dies für ihn der Grund und auch "eine Ehre" gewesen sei, Abidi zu helfen.
Den Ermittlungen zufolge wurde Abidi am 28. Oktober von dem Mafioso an die Küste gebracht, wo er in einem Schuppen wartete, bis er am 31. Oktober in ein motorisiertes Schlauchboot steigen konnte, mit dem er nachts übers Mittelmeer nach Tunesien gebracht wurde. Retour sollen mit dem Schlauchboot Flüchtlinge nach Italien eingeschleust worden sein. Das Boot wurde jedoch von einer Marine-Einheit der Guardia di Finanza aufgebracht.
Von Aymen Abidi fehlt seither jede Spur. Zu möglichen Ermittlungen wegen Terrorismusverdachts wollte die zuständige Bundesanwaltschaft auf TAG24-Anfrage am Dienstag keine Auskünfte erteilen. Die sächsische Polizei und die Leipziger Staatsanwaltschaft gaben vor, nichts von einem Terrorismusverdacht gegen Abidi zu wissen.
Titelfoto: Montage Polizei Sachsen; Guardia di Finanza