Blutrache! Mordkomplott gegen Hells Angels aufgeflogen
Leipzig - Es geht um Blutrache! Die Polizei hat ein Mordkomplott gegen den Hauptangeklagten beim Leipziger Hells-Angels-Prozess aufgedeckt. Stefan S. (33) soll demnach im Gerichtssaal erschossen werden. Die offenbar für den Killerjob vorgesehene Waffe wurde bei einer Razzia auf der Eisenbahnstraße sichergestellt.
Ein Patzer der Staatsanwaltschaft legte jetzt die streng geheimen Ermittlungen des Landeskriminalamtes (LKA) offen. Weil der Sitzungsvertreter der Anklagebehörde im Rocker-Prozess in einem Beweisantrag leichtfertig Auszüge aus einem abgehörten Telefonat des noch laufenden Verfahrens öffentlich machte, flogen die Geheimermittlungen auf.
Ein realer Thriller: Noch vor Beginn des Leipziger Rockerprozesses 2017 schlug eine "Vertrauensperson" des LKA Alarm. Der V-Mann hatte den Beamten mitgeteilt, dass die im osttürkischen Solhan ansässige Familie des von den Hells Angels erschossenen Kurden Veysel A. (27) Blutrache nehmen wolle. Ein Angehöriger sei dafür extra als Asylbewerber nach Deutschland eingereist. Er solle den mutmaßlichen Todesschützen Stefan S. im Gericht erschießen, warnte der V-Mann.
Das LKA warf die große Ermittlungs-Maschinerie an. Wie die Staatsanwaltschaft jetzt offenlegen musste, wurden die Telefone des in Deutschland lebenden Teils der kurdischen Familie abgehört. Zudem gelang es den Ermittlern, das Auto von Clan-Chef R. (44), der auf dem Leipziger Eisenbahnstraßen-Kiez Immobilien besitzt, zudem eine Baufirma und Lokale betreibt, zu verwanzen.
Als mutmaßlicher Vollstrecker der geplanten Blutrache wurde so der 26-jährige Ö. identifiziert, der inzwischen als Asylbewerber in Berlin lebt.
Im Gericht wurden umgehend die schärfsten Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Dutzende Polizisten sichern seither jeden Verhandlungstag ab.
Auf den Fahrten zwischen Knast und Gericht werden die angeklagten Hells Angels von einer schwerbewaffneten Polizeieskorte begleitet. Wie ein Ermittler TAG24 bestätigte, wurde sogar erwogen, Angeklagte und Verteidiger mit kugelsicheren Westen auszustatten.
Trotz der offenbar unüberwindbaren Sicherheitsvorkehrungen sollen die Kurden ihren Blutrache-Plan bis heute verfolgen, wie die Ermittler aus dem Inhalt zahlreicher überwachter Gespräche schließen.
"Wir werden unseren Bruder rächen, auch wenn wir im Sarg zurückkommen", ist eine der Aussagen, die vom LKA abgefangen wurden.
Im Mai vergangenen Jahres war die Gefährdungslage offenbar so groß, dass die Polizei eine getarnte Razzia auf der Eisenbahnstraße durchführte. Während es offiziell um Drogen und illegales Glücksspiel ging, suchten Spezialermittler gezielt nach einer für das Attentat bereitliegenden Waffe. In einem Haus, in dem auch eine Firma das Clans ansässig ist, wurde tatsächlich eine scharfe Schusswaffe sichergestellt.
Die Staatsanwaltschaft bestätigte TAG24 auf Anfrage, dass aktuell gegen mehrere türkische Staatsbürger wegen des Verdachts der gemeinschaftlichen Verabredung zum Mord ermittelt wird. Die Ermittlungen sollen sich gegen Clan-Chef R. und die Brüder Ö., F. (22) und E. (27) richten.
Ob Verdächtige in Haft sind und in welchem Stadium sich die Ermittlungen befanden, bevor sie aufflogen - dazu wollte die Behörde auf Tag24-Nachfrage keine Angaben machen.
Rocker-Prozess nach 80 Verhandlungstagen unterbrochen
Der Prozess um die tödliche Schießerei zwischen Rockern der Hells Angels und der United Tribuns auf der Eisenbahnstraße erlebte am Montag seinen 80. Verhandlungstag. Vier Höllenengel sind angeklagt, den Tribuns-Anwärter Veysel A. (27) am 25. Juni 2016 gemeinschaftlich getötet zu haben. Todesschütze war laut Anklage Stefan S. (33), der mit einer Pistole auf den Kurden feuerte, während die anderen Beschuldigten auf den Sterbenden eingetreten haben sollen.
Für die nächsten drei Wochen ist der Prozess erneut unterbrochen, da sich Gericht, Verteidiger und Nebenkläger erst in die neuen Akten zum aufgeflogenen Blutrache-Komplott einlesen müssen.
Bislang wurden im Leipziger Prozess mehr als 100 Zeugen gehört. Ein Ende der Beweisaufnahme ist dennoch nicht in Sicht. Die Verfahrensbeteiligten gehen davon aus, dass noch mindestens bis Jahresende verhandelt wird.
Titelfoto: DPA