Leipzig - Der gebürtige Leipziger und Wahl-Hamburger Alexander Teske (53) rechnet in einem Buch mit der Tagesschau ab, nachdem er selbst sechs Jahre dort gearbeitet hat.
Erst ein markanter Gongschlag, dann die sonoren Worte aus dem Off: "Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau ..." So beginnt bei durchschnittlich 9,5 Millionen Menschen in unserem Land der allabendliche Blick in die nahe und weitere Welt. Besonders die 20-Uhr-Ausgabe der Nachrichten-Sendung ist seit 1952 im Westen das Flaggschiff in puncto TV-Information. Eine Institution, die auch von ihrer scheinbaren Seriosität lebt.
Da passt es den Machern kaum in den Kram, dass vor wenigen Wochen ein Buch erschien, das jede Menge Kritik an ebendieser Tagesschau übt: "Inside TAGESSCHAU: Zwischen Nachrichten und Meinungsmache". Geschrieben vom gebürtigen Leipziger Alexander Teske, der selber sechs Jahre für die Tagesschau in der Planung gearbeitet hat - und übrigens als junger Reporter nach der Wende auch mal für die Morgenpost.
Die Kritik, die Teske in seinem Buch übt, soll wohlgemerkt keine am Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk allgemein sein - den möchte Teske gerne erhalten und wenn möglich stärken. Eher möchte er die Macher von Deutschlands bekanntester Nachrichten-Sendung zum Nachdenken und zu internen Verbesserungen anregen. Als eine Abrechnung sieht er sein Buch jedenfalls nicht.
Die Kritikpunkte
1. Einseitige Berichterstattung!
"Würde eine geheime Wahl bei ARD-aktuell und den Zulieferer-Redakteuren stattfinden, wären SPD und Grüne deutlich überrepräsentiert", ist sich Alexander Teske sicher. Das führe dazu, dass z. B. über Vergehen von Grünen-Politikern (Stichwort Plagiatsaffäre von Annalena Baerbock) nur klein und verhalten berichtet werde.
Einseitigkeit sieht Teske aber auch bei der Themen- (viel Bundespolitik, Fußball, Gerichtsurteile) und Länderauswahl (vor allem USA, Westeuropa, Israel - "andere Regionen der Welt kommen so gut wie nie vor"). Auch eine vorurteilsfreie Berichterstattung über Ostdeutschland hat Teske in seinen sechs Jahren bei der Tagesschau oft vermisst.
2. Führungsstruktur!
Die "heimlichen" Entscheider bei der Tagesschau, die letztlich bestimmen, was in welcher Länge in die Sendung kommt, sind nach Teskes Erfahrung die "Chefs vom Dienst" (CvDs). "Ein kleiner Kreis von zehn Redakteuren", die meist nach langjähriger Mitarbeit auf unterer Ebene ernannt würden, der breiten Öffentlichkeit aber kaum oder gar nicht bekannt seien. Fast alle seien Norddeutsche im fortgeschrittenen Alter. "Frisches Blut" von außen? Eher nicht!
3. Alter Trott!
Auch das Prinzip "Das haben wir schon immer so gemacht" führt nach Teskes Insider-Ansicht dazu, dass Innovationen oder etwa eine Öffnung für neue Themen es bei der Tagesschau schwer haben.
4. Starke Sender setzen sich eher durch!
Die Beiträge der Tagesschau kommen von den einzelnen ARD-Sendeanstalten. Die eher größeren, wie Bayerischer Rundfunk (BR) oder Westdeutscher Rundfunk (WDR), seien sich dabei ihrer Stärke sehr bewusst und schafften es immer wieder, ihre Regionen und Themen in der Tagesschau zu platzieren. Beispiel: Obwohl die CSU eine Partei ist, die in 15 von 16 Bundesländern gar nicht auf dem Stimmzettel steht, sei die Berichterstattung über den bayerischen Arm der Union traditionell sehr ausführlich.
5. Elitäre Belegschaft!
Laut "Inside Tagesschau" kommt kaum einer der Redakteure aus einfachen Verhältnissen.
6. Schlechtes Betriebsklima!
Kommt vor, auch anderswo, verbessert aber sicher nicht die Arbeitsleistung der einzelnen Mitarbeiter. Letztlich aber auch eine subjektive Empfindung.
7. Vereinzelt zu große Nähe zu Politikern!
Immer wieder habe es Fälle gegeben, wo Journalisten die kritische Distanz zu Politikern und Parteien gefehlt habe. Manche wechselten dann nach ihrem Ausscheiden bei der ARD überraschend schnell in eine Ministeriums-Pressestelle. Hat ein Geschmäckle - finden auch viele der Ex-Kollegen.
3 Fragen an den Autor
TAG24: Herr Teske, warum dieses Buch über die Tagesschau nach sechs Jahren Arbeit dort - ein kleiner Racheakt?
Alexander Teske: Aus Gesprächen mit Freunden weiß ich, dass es viel Unverständnis gibt, was die Arbeit der Medien allgemein und die der Tagesschau im Besonderen angeht. Ursprünglich hatte ich eine Art Erklärbuch geplant. Erst beim Schreiben wurde es dann immer kritischer. Trotzdem wird wohl niemand, der das Buch ganz gelesen hat, es als Abrechnung verstehen. Es gibt durchaus Passagen, in denen ich die Tagesschau verteidige. Aber natürlich hat auch eine Entfremdung stattgefunden - in anderen Redaktionen habe ich mich wohler gefühlt.
Ist "Inside Tagesschau" eine Steilvorlage für all jene, die den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk am liebsten abschaffen würden?
Ich sage bei jeder Gelegenheit, dass ich ein Anhänger des ÖRR bin. Ich sehe ihn als eine unverzichtbare Säule der Demokratie. Aber er muss sich reformieren, auch die Tagesschau muss das tun. Eine Diskussion darüber ist wie eine Selbstreinigung. Zu der braucht es auch Druck von außen.
Wie sollen sich die Menschen denn Ihrer Meinung nach künftig über das Weltgeschehen informieren?
Sicher aus unterschiedlichen Quellen und nicht nur dort, wo man seine eigene Meinung bestätigt findet. Es würde mich freuen, wenn die Tagesschau sich ändert und vielleicht eine Art "letztes Lagerfeuer" für TV-Zuschauer bleibt. Dass alle zufrieden sind, wird man natürlich nie erreichen.
Das Buch
"Inside TAGESSCHAU: Zwischen Nachrichten und Meinungsmache" ist im Verlag Langen-Müller erschienen und 240 Seiten stark. Das Buch kostet 22 Euro. Das ungekürzte Hörbuch lässt sich bei verschiedenen Online-Buchhändlern für 15,99 Euro downloaden.