Auerbachs Keller in Leipzig: Mephistos Küche köchelt nur noch auf Sparflamme
Leipzig - Mit der Tragödie des Dr. Faust machte ihn Goethe weltberühmt: Auerbachs Keller zu Leipzig. Bis zu 3000 Gäste zählt das 495 Jahre alte Traditionslokal in Spitzenzeiten täglich. Doch die sind längst vorbei. Mephistos Küche köchelt nur noch auf Sparflamme. Und Kellerwirt René Stoffregen (48) wähnt sich selbst in einer Tragödie.
Vier Ochsenbäckchen, 12-mal Wildschwein und 23 Rouladen waren es am vergangenen Mittwoch, die in der Mädlerpassage binnen neun Stunden Abnehmer fanden. Anders als bei der Vollbremsung im Frühjahr hat Deutschlands berühmtestes Kellerlokal jetzt einen "To Go"-Service.
"Beim ersten Lockdown hätte ich nicht mal die Energiekosten der Küche reinholen können, weil die Stadt tot war, jetzt haben ja wenigstens noch die Läden auf und es sind ein paar Leute in der Stadt", erklärt Stoffregen.
Die letzten drei Monate des Jahres sind traditionell seine umsatzstärksten. "Im Dezember kratzen wir schon mal an der Million." Kurz vor dem jetzigen "Lockdown light" hatte er deshalb noch mal kräftig eingekauft. "Die Kühlhäuser sind proppenvoll, denn ich habe ehrlich nicht damit gerechnet, dass wir wieder schließen müssen", sagt Stoffregen.
Zumal das Robert-Koch-Institut ja gerade erst erklärt habe, dass die Gastronomie kein Treiber der Pandemie sei, sich die Leute eher im privaten Umfeld anstecken würden. "Nun ist die Gastronomie zu - und die Leute sollen im privaten Umfeld bleiben."
Angestellte in Kurzarbeit
Verderbliche Lebensmittel für 10.000 Euro musste der Kellerwirt schon wegschmeißen oder verschenken. Vieles hat er seinen Mitarbeitern mit nach Hause gegeben. Von den 90 Angestellten sind die meisten in Kurzarbeit. Nur ein Koch, eine Bürokraft und drei Servicedamen halten den "To Go"-Betrieb am Laufen.
Einige haben auch schon gekündigt. Das ist Stoffregens größte Sorge: "Wenn die Mitarbeiter der Gastronomie monatelang von 60 oder 67 Prozent Kurzarbeitergeld leben müssen und kein Trinkgeld bekommen, dann wandern die Fachkräfte in andere Branchen ab."
Wie einer der treuesten Kellerkellner, der nach 23 Jahren jetzt das Traditionslokal verließ und als Wachmann zu DHL wechselte.
Der Albtraum des Kellerwirtes ist eine Art Faust - der Tragödie letzter Teil: "Wenn ich eines Tages wieder öffnen darf, aber kein Personal mehr finde, dann war es das."
Deshalb appelliert Stoffregen an "Mephisto" Politik: "Es wäre sinnvoller, statt den Unternehmen anteilig Überbrückungsgelder zu gewähren, den Mitarbeitern 100 Prozent Kurzarbeitergeld zu zahlen, damit sie unserer Branche erhalten bleiben."
Keine Touristen, Messen und Kongresse
Apropos Überbrückungsgeld: Da die 75 Prozent Umsatzkompensation nur Betrieben mit bis zu 50 Mitarbeitern gezahlt werden, geht Auerbachs Keller leer aus. "Für uns Größere sollen EU-Richtlinien gelten - die aber keiner kennt", so Stoffregen.
Aktuell überlegt der Wirt, ob er die neu bestellte Weihnachtsdeko für 150 Tische wieder abbestellen soll. Oder ob die Gastronomie im Dezember doch noch mal eine Chance bekommt.
Und selbst dann würde es in Goethes Schankhaus weit ruhiger zugehen als in anderen Jahren. "Wir haben doch keine Touristen mehr in der Stadt, keine Messen, keine Kongresse und kaum Weihnachtsfeiern", sagt Stoffregen.
Dass der Lockdown heuer noch komplett kippt und die alten Zeiten wiederkommen, dürfte in etwa so wahrscheinlich sein, wie dass im Fasskeller aus dem Holztische wieder Wein fließt. "Nun sag mir eins, man soll kein Wunder glauben", ließ Goethe seinerzeit einen der Trunkenbolde nach dem Fassritt von Mephisto und Faust sagen.
Einen Mini-Lichtblick gibt es dennoch am Gewölbehimmel: Dienstag und Mittwoch reicht Auerbachs Keller Martinsgänse außer Haus. Dafür gibt es immerhin schon über 80 Vorbestellungen.
Titelfoto: Ralf Seegers