Kriminalrätin klärt auf: Ab wann und wie lange wird nach Vermissten gesucht?

Leipzig/Schönebeck - Jeden Tag verschwinden in Deutschland bis zu 300 Menschen aus ihrem gewohnten Lebensumfeld. "Kripo live" griff das Thema anhand zweier aufsehenerregender Vermisstenfälle der jüngsten Vergangenheit auf und hakte bei der Polizei über Ermittlungs-Maßnahmen und Prognosen nach.

Kriminalrätin Ilona Wessner aus Sachsen-Anhalt erklärte bei "Kripo live" die üblichen Ermittlungsansätze der Polizei in Vermisstenfällen.
Kriminalrätin Ilona Wessner aus Sachsen-Anhalt erklärte bei "Kripo live" die üblichen Ermittlungsansätze der Polizei in Vermisstenfällen.  © Screenshot/MDR-Mediathek

Kriminalrätin Ilona Wessner stand für den Beitrag Rede und Antwort. Die zentralen Fragen der Episode: "Wann gilt eine Person als vermisst?" und "Ab wann und wie lange wird nach ihr gesucht?"

Ein Fall aus dem Jahr 2015, der bis heute sowohl die Bevölkerung als auch die Ermittler beschäftigt, ist das Verschwinden der damals fünfjährigen Inga aus Stendal. Auf einem Familienausflug war sie zum Holzsammeln in den Wald gelaufen und nicht mehr zurückgekehrt. Trotz der mehr als 2000 eingegangenen Spuren und Hinweise tappt die Polizei im Dunkeln.

Die Ermittler suchen noch immer nach Antworten, sozusagen nach der Nadel im Heuhaufen. "Solche Fälle werden nicht zur Seite gelegt", stellte Ilona Wessner mit Nachdruck klar. Insgesamt 30 Jahre lang suche man nach vermissten Personen. "Gerade auch bei Kindern: Man bleibt da immer dran und hofft auf jeden neuen Hinweis."

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Von den 200 bis 300 Menschen, die in Deutschland täglich verschwinden, kehre die Hälfte in der Regel innerhalb einer Woche zurück. Nur 3 Prozent bleiben über mehrere Monate - oder für immer - vermisst.

Besonders bei Kindern verlieren die Ermittler bei der Suche keine Zeit: Erfahrungswerte zeigen, dass dem Verschwinden meist ein Unfall, eine Entführung oder ein Verbrechen zugrunde liegt. "Weil man bei Kindern nie davon ausgeht, dass sie sich von selbst entfernt haben aus eigenem Willen", erklärte Ilona Wessner. Bei Erwachsenen sieht die Sachlage da anders aus.

Die kleine Inga G. verschwand im Jahr 2015 spurlos von einem Familienausflug. Die Polizei hat die Suche nicht aufgegeben.
Die kleine Inga G. verschwand im Jahr 2015 spurlos von einem Familienausflug. Die Polizei hat die Suche nicht aufgegeben.  © Polizeiinspektion Stendal/dpa

Wann besteht der Verdacht auf Gefahr für Leib und Leben?

Yolanda K. wurde im September 2019 von ihren Mitbewohnern als vermisst gemeldet. Die Studentin wollte an dem Tag zu IKEA fahren. Ob sie dort je ankam, ist ungeklärt.
Yolanda K. wurde im September 2019 von ihren Mitbewohnern als vermisst gemeldet. Die Studentin wollte an dem Tag zu IKEA fahren. Ob sie dort je ankam, ist ungeklärt.  © Polizei Leipzig

"Grundsätzlich kann jeder Mensch ab 18 Jahren entscheiden, wo er seinen Lebensmittelpunkt haben möchte", so Ilona Wessner. Trotzdem gäbe es verschiedene Anhaltspunkte, die eine Suche nach der vermissten Personen beschleunigen können.

Dabei spielen die Aussagen der Angehörigen und Freunde eine wichtige Rolle: Benötigt der oder die Verschwundene Medikamente? Steht die Vermutung auf Suizid im Raum? Gilt die Person normalerweise als zuverlässig und pünktlich?

Ilona Wessner fasste zusammen: "Dann ist das für uns auch ein Indiz dafür, dass es tatsächlich dort eventuell Gefahr für Leib und Leben geben könnte."

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So auch im Fall der bei ihrem Verschwinden 23 Jahre alten Yolanda aus Leipzig, die seit dem 25. September 2019 als vermisst gilt. Sie war eigentlich als verlässlich bekannt, verpasste jedoch ein Treffen mit einer Freundin.

Und der wichtigste Punkt: Sie leidet unter spontanen Ohnmachtsanfällen, weshalb die Polizei unverzüglich die Suche nach der Studentin aufnahm. Die war bisher jedoch - wie im Fall Inga - erfolglos.

Für die Familien und Freunde der Verschwundenen ist die jahrelange Ungewissheit eine Qual - weshalb sich viele nach längerer Überlegung dazu entscheiden, den oder die Vermisste als tot erklären zu lassen. Ilonas Wessners Erfahrung nach fällt den meisten Angehörigen dieser Schritt verständlicherweise sehr schwer. "Aber es ist auch für manche tatsächlich ein Abschluss", so die Kriminalrätin.

Titelfoto: Montage Polizei Leipzig; Polizeiinspektion Stendal/dpa

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