Transfrau ins Gesicht geschlagen: Angeklagter zu Anti-Gewalt-Kurs verurteilt

Hamburg - Im Prozess gegen einen 22-Jährigen, der am 17. Juli 2021 Transfrau Samia Stöcker (35) auf Höhe der "Kentucky Fried Chicken"-Filiale auf der Hamburger Reeperbahn ins Gesicht geschlagen hat, ist am Mittwoch das Urteil gefallen. Der Angeklagte wurde wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe verurteilt. Er muss einen Anti-Gewalt-Kurs absolvieren.

Der 22 Jahre alte Angeklagte kommt vor Beginn des Prozesstags zum Sitzungssaal im Strafjustizgebäude.
Der 22 Jahre alte Angeklagte kommt vor Beginn des Prozesstags zum Sitzungssaal im Strafjustizgebäude.  © Marcus Brandt/dpa

Zu Beginn des Prozesses nahm der Verteidiger Stellung zu einem von der Nebenklägerin Samia Stöcker gestellten Adhäsionsverfahren. Dieses sei im Hinblick darauf, dass sein Mandat aus Notwehr gehandelt habe, "unzulässig und unbegründet". Die Nebenklage hatte aufgrund von aktuellen und möglichen zukünftigen immateriellen und materiellen Schäden der Geschädigten Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro gefordert.

Durch den Schlag war Frau Stöcker gestürzt und hatte unter anderem eine Schädelfraktur erlitten. Noch heute leidet die Transfrau er­wie­se­ner­ma­ßen unter Konzentrations- und Aufmerksamkeitsdefiziten. Derzeit befindet sie sich in neuropsychologischer Behandlung. "50 Prozent meiner Kopfleistung funktionieren nicht mehr", sagte Stöcker beim Prozessauftakt.

Die Überzeugung des Verteidigers, sein Mandat habe aus Notwehr gehandelt, teilten weder das Gericht noch die Staatsanwaltschaft.

Anwälte wollen über Missstände im Justizvollzug berichten
Justiz Anwälte wollen über Missstände im Justizvollzug berichten

Allgemein widersprachen sich Verteidigung und Staatsanwaltschaft in ihren Schlussplädoyers deutlich in der Beweislage.

Die Verteidigung forderte einen Freispruch

Opfer und Nebenklägerin Samia Stöcker (35) will weiter für die Rechte von Transsexuellen kämpfen. Sie hätte sich gewünscht, dass der Täter eine Freiheitsstrafe bekommt, um in Ruhe über seine Taten nachzudenken, sagte sie nach dem Urteilsspruch am Mittwoch.
Opfer und Nebenklägerin Samia Stöcker (35) will weiter für die Rechte von Transsexuellen kämpfen. Sie hätte sich gewünscht, dass der Täter eine Freiheitsstrafe bekommt, um in Ruhe über seine Taten nachzudenken, sagte sie nach dem Urteilsspruch am Mittwoch.  © Marcus Brandt/dpa

Die Verteidigung hatte einen Freispruch des Angeklagten beantragt. Der 22-Jährige habe aus Notwehr gehandelt. Das beweise ganz klar das Überwachungsvideo von "Kentucky Fried Chicken" auf der Reeperbahn.

Dem Schlag des Angeklagten sei eine Auseinandersetzung von Frau Stöcker mit einem Zeugen vorausgegangen. Dieser habe sich am Ende mit dem Rücken zu einer Glaswand und eingesperrt zwischen zwei Sitzbänken in einer ausweglosen Lage befunden.

Nachdem Frau Stöcker mehrfach mit der Faust und erhobenen Finger vor dessen Gesicht "herumgefuchtelt" habe, wollte der Angeklagte laut Verteidigung seinem Bekannten zur Hilfe eilen und habe die Nebenklägerin "leicht" geschubst. Diese habe daraufhin zum Schlag ausgeholt - ein "klarer rechtswidriger Angriff" -, den der Angeklagte abgewehrt habe und dann zurückgewichen sei. Als Frau Stöcker angeblich nicht von ihm abgelassen hat, habe er einen "leichten Schlag in Kopfrichtung" ausgeführt.

Schwere Vorwürfe gegen Geburtsärztin: Weitere Frauen melden sich bei Ermittlern
Justiz Schwere Vorwürfe gegen Geburtsärztin: Weitere Frauen melden sich bei Ermittlern

Dass Frau Stöcker daraufhin gefallen ist, sei ihrer Alkoholisierung und ihren hohen Schuhen zur Last zu legen. Die körperlichen und auch psychischen erheblichen Folgen, die mit Frau Stöckers Sturz einhergehen, bezeichnete die Verteidigung als "extrem unglückliche Umstände".

Allerdings sei nichts davon von seinem Mandanten gewollt gewesen. Zudem sah die Verteidigung keinerlei Hinweis auf ein "transfeindliches Motiv".

Die Staatsanwaltschaft bezeichnete den Schlag des Angeklagten als "wuchtig"

Der 22 Jahre alte Angeklagte sitzt zu Beginn des Prozesstages im Sitzungssaal im Strafjustizgebäude. Er wurde zu einem Anti-Gewalttraining verurteilt.
Der 22 Jahre alte Angeklagte sitzt zu Beginn des Prozesstages im Sitzungssaal im Strafjustizgebäude. Er wurde zu einem Anti-Gewalttraining verurteilt.  © Marcus Brandt/dpa Pool/dpa

Der Staatsanwalt sah das ein bisschen anders. Er betrachtete Äußerungen wie "Scheiß Transe, verpiss dich!" aus der Gruppe, die der Angehörige zugehörig war, als eine "Missachtung der Transsexualität" und ordnete auch den Schlag des Angeklagten nicht als "leicht", sondern als "wuchtig" ein. Zudem sehe er in dem Überwachungsvideo keinerlei Grundlage für eine Notwehr. Beiden Jungen wäre es möglich gewesen, auszuweichen und auch für den Angeklagten hätte es andere "mildere" Möglichkeiten gegeben, einen vermeintlichen Angriff zu vermeiden.

Der Staatsanwalt nahm die Empfehlungen der anwesenden Jugendhilfe an und forderte die Belegung eines "Anti-Gewalt-Kurses" und zehn Arbeitseinheiten als Strafmaß.

Die Nebenklage schloss sich der Staatsanwaltschaft an und betonte noch einmal, dass der Angeklagte Box-Erfahrungen hat und genau wisse, "was er mit so einem Schlag" auslöst.

Das Gericht schloss sich größtenteils den Ausführungen der Staatsanwaltschaft an und verurteilte den Angeklagten zu einem Anti-Gewalttraining. Zudem muss der Angeklagte ein Schmerzensgeld in Höhe von 4500 Euro an Frau Stöcker zahlen. Die vollen 10.000 Euro wurden unter anderem aufgrund von Frau Stöckers "provozierendem" Verhalten am Tatabend heruntergestuft.

Die Richterin appellierte noch einmal ausdrücklich an den Angeklagten, diese Jugendstrafe als Chance zu sehen, sein "Gewaltproblem" in den Griff zu bekommen. Sollte er wieder straffällig werden, müsse er höchstwahrscheinlich mit einer Freiheitsstrafe rechnen.

Die Verteidigung kündigte bereits an, in Berufung zu gehen.

Titelfoto: Marcus Brandt/dpa

Mehr zum Thema Justiz: