Schwerer Missbrauch im Kinderheim: Erzieher gesteht 116 Straftaten
Lüneburg - Mit erschütternden Aussagen von Kindern hat der Prozess wegen schweren sexuellen Missbrauchs gegen einen Erzieher eines Kinderdorfs begonnen.
In eingespielten Videosequenzen und auch vorgelesenen Protokollen erzählten die Jungen im Kindesalter am Freitag vor der großen Jugendkammer des Landgerichts Lüneburg detailliert von den Übergriffen.
Immer wieder habe sich der Pädagoge, der als Hausvater eines Kinderdorfs im Landkreis Lüneburg auch Vertrauensperson war, seinen Schützlingen genähert, gemeinsam mit ihnen im Bett geschlafen und sexuelle Handlungen eingefordert.
Der angeklagte Erzieher legte zu Beginn des Prozesses ein umfassendes Geständnis ab. Während der Einlassung des 63-jährigen gebürtigen Rostockers schloss das Gericht die Öffentlichkeit aus. Das hatte der Strafverteidiger beantragt.
Das Gericht wog die Interessen des Angeklagten zu den Aussagen bezüglich seiner sexuellen Orientierung und der Entwicklung seiner Sexualität während seiner Ehe genau ab.
"Das ist wichtig, denn es könnte einen Revisionsgrund darstellen", sagte eine Gerichtssprecherin.
"Die Kinder haben weit weniger gesagt als der Angeklagte!"
Eine geständige Einlassung wird in der Regel strafmindernd berücksichtigt und kann dazu führen, dass die Zeugen nicht vor Gericht erscheinen müssen.
Angeklagt sind 116 Straftaten an sechs Jungen im Alter von 7 bis 13 Jahren aus dem Zeitraum 1999 bis 2021. Die Staatsanwältin warf dem Mann vor, das Näheverhältnis ausgenutzt zu haben.
Der Pädagoge hatte sich am Ende selbst angezeigt. "Die Kinder haben weit weniger gesagt als der Angeklagte", erklärte die Vorsitzende Richterin Lidia Mumm zu den umfassenden Erklärungen des Mannes. "Er möchte die Verantwortung für die Taten übernehmen", sagte sein Pflichtverteidiger.
2001 war er bereits angezeigt worden. Dieses Verfahren soll im Oktober 2002 von der Staatsanwaltschaft Lüneburg eingestellt worden sein. Im März 2003 wurde die Beschwerde des Anzeigeerstatters gegen die Einstellung von der Generalstaatsanwaltschaft in Celle zurückgewiesen.
2022 hatte sich dann wieder ein mutmaßlich betroffener Junge einem Mitarbeiter anvertraut. Der Erzieher war dann zunächst vom Dienst entbunden worden. Als sich der Verdacht erhärtete, sei ihm schriftlich gekündigt worden. Es wurde auch ein Haus- und Geländeverbot erteilt. Einer der betroffenen Jungen ist inzwischen gestorben.
Nach Bekanntwerden des Missbrauchs hatte das niedersächsische Sozialministerium einen Bericht der Heimaufsicht angefordert. Es solle eine intensive Auswertung vorgenommen werden. Die Vorgänge machten fassungslos, hieß es aus dem Ministerium.
Die Landesregierung habe unter anderem einen interministeriellen Arbeitskreis einberufen, um Gewalt gegen und Missbrauch von Kindern auf allen Ebenen wirksam einzudämmen.
Titelfoto: Philipp Schulze/dpa