"Sport Inside" deckt schockierende Details in Missbrauchs-Skandal auf

Frankfurt am Main - Eine neue Dokumentation von "Sport Inside" im WDR zeichnet ein erschütterndes Bild über den womöglich jahrelangen, systematischen Missbrauch von männlichen Nachwuchshoffnungen im eigentlich "Weißen Sport".

Maximilian Abel (41) galt Anfang der 2000er als eines der hoffnungsvollsten Talente im deutschen Tennis.
Maximilian Abel (41) galt Anfang der 2000er als eines der hoffnungsvollsten Talente im deutschen Tennis.  © IMAGO / ExSpo

In "Machtmissbrauch - Das offene Geheimnis im Tennis" kommen neue Details im Skandal um den ehemaligen Trainer, Manager und Vizepräsidenten des Deutschen Tennis-Bundes (DTB) Dirk Hordorff (66) ans Licht.

"Eine Person, die jahrelang, systematisch junge Tennisspieler von sich abhängig machte, missbrauchte, erniedrigte, demütigte, muss aus dem Verkehr gezogen werden", schreibt Maximilian Abel (41) am 28. Februar 2022 dem Präsidenten des DTB, Dietloff von Arnim (63), aus dem Gefängnis heraus.

Dort verbüßt er aktuell noch eine lange Haftstrafe aufgrund von Kreditkartenbetrug. Viel Zeit, um über sich und seine Vergangenheit, nachzudenken. Für Abel ist klar, dass er verhindern möchte, dass den "Stars von morgen" das Gleiche passiert wie ihm.

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Anfang der 2000er Jahre gilt er als einer der aufgehenden Sterne am deutschen Tennis-Himmel.

Doch der Traum zerplatzt, weil er die Erwartungen nicht erfüllen, mit dem Druck nicht umgehen kann und weil er Dinge erlebt, die ihn nachhaltig psychisch belasten.

Maximilian Abel: "Dann hat er seinen Gürtel ausgepackt und 20 Mal durchgezogen. Volles Brett."

Dirk Hordorff (66, 2.v.r.) im September 2022 beim Davis Cup in Hamburg. Damals waren Dietloff von Arnim (63, M.) die Vorwürfe Abels bereits einige Monate bekannt.
Dirk Hordorff (66, 2.v.r.) im September 2022 beim Davis Cup in Hamburg. Damals waren Dietloff von Arnim (63, M.) die Vorwürfe Abels bereits einige Monate bekannt.  © IMAGO / tennisphoto.de

Anfang März 2023 - also erst mehr als ein Jahr nach dem Schreiben von Abel an von Arnim kommt das Thema in die Öffentlichkeit.

Durch Recherchen von Sportschau, NRD und Süddeutscher Zeitung wird er Fall publik. Trotz laufenden Verfahrens schweigt der DTB bis dahin, Hordorff übt sein Amt als Vizepräsident weiter aus, zudem gilt er als der mächtigste Mann im deutschen Tennis, zieht auf allen Ebenen die Strippen, vor allem auch im Nachwuchs.

Abel berichtet davon, wie Hordorff sukzessive sein Vertrauen erlangte und missbrauchte. Wie es begann mit körperlichem "Abtasten", mit Sportübungen, die er nackt vor ihm auf dessen Teppich in seinem Wohnzimmer ausüben, sich später auf eine Massage-Liege nebenan legen musste.

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Es gipfelte in einem Vorfall in Hamburg. Als "Bestrafung", weil Abel neue Tennis-Saiten nicht abgeholt haben soll, muss sich der damals 20-Jährige ausziehen, nackt in Hündchen-Stellung aufs Bett des Hotels "Atlantic" hocken.

"Dann hat er seinen Gürtel ausgepackt und 20 Mal durchgezogen. Volles Brett", sagt Abel in der WDR-Dokumentation und erhebt dabei neue Vorwürfe.

Maximilian Abel erhebt auch schwere Anschuldigungen gegen Rainer Schüttler

Rainer Schüttler (47, li.) und Lars Burgsmüller (47) vertraute sich Abel nach eigener Aussage an. Burgsmüller bestätigt das, Schüttler sagt, Abel lügt.
Rainer Schüttler (47, li.) und Lars Burgsmüller (47) vertraute sich Abel nach eigener Aussage an. Burgsmüller bestätigt das, Schüttler sagt, Abel lügt.  © IMAGO / Hasenkopf

So sei er damals nicht allein mit Hordorff nach Hamburg gereist, sondern habe Rainer Schüttler (47), damaliger Schützling des Trainers und jetziger Chef des deutschen Damen-Teams im "Billie Jean King Cup", das Auto gefahren.

Er sei unter im Wagen geblieben, als Hordorff Abel unter dem Vorwand, er müsse sein Gepäck von oben holen, ins Zimmer gelockt haben soll.

Später habe sich Abel Schüttler und seinem weiteren Trainingspartner Lars Burgsmüller (47) anvertraut. Während Letzterer die Tatsache mit einer eidesstattlichen Versicherung bestätigt, sich aber nicht weiter dazu äußern möchte, lässt Schüttler auf Anfrage des WDR mitteilen, Abel würde lügen, wie es in der Dokumentation heißt.

Abel wirft ihm vor, er habe ihm keine Hilfe angeboten, nachdem er ihm die Ereignisse geschildert hatte.

Mit 50 Menschen aus dem Umfeld von Abel haben die Journalisten gesprochen, sind dabei zu ihrem Schluss gekommen, dass die Aussagen des Ex-Profis stimmig seien.

Einer, der ebenfalls betroffen war, ist der ehemalige Profi Sriram Balaji (33), der im Zuge der Ermittlungen des DTB einer von acht Zeugen ist, deren Aussagen eine Anwaltskanzlei prüft.

In der Tennis-Szene waren die "Taten" Hordorffs ein offenes Geheimnis, es wurden Witze darüber gemacht

Maximilian Abel (41, r.) soll jahrelang von Dirk Hordorff (66, l.) sexuell missbraucht worden sein.
Maximilian Abel (41, r.) soll jahrelang von Dirk Hordorff (66, l.) sexuell missbraucht worden sein.  © Bildmontage: IMAGO/Weckelmann, Hasenkopf

Er berichtet dem WDR, wie Hordorff seine Angst, dass er wieder zurück nach Indien geschickt würde, wenn er nicht "gehorche" und seinen Sponsor verliere, voll ausnutze.

"Er kam mehrmals die Woche in mein Zimmer. Er sagte, er wolle meine Muskeln überprüfen. Ich sollte mich dafür ausziehen, auch die Unterhose. In Indien macht man sowas nicht, aber ich dachte, 'ok, vielleicht ist das hier so'", erinnert er sich. Zudem sollte er nackt auf dem Sofa schlafen.

Ein weiterer Profi, der anonym bleiben möchte, berichtet von Übergriffen in den Räumlichkeiten des Hessischen Tennisverbandes. Auch er sollte sich nackt ausziehen. Zudem sagt er, dass die Vorfälle rund um Hordorff jahrzehntelang ein offenes Geheimnis in der Szene waren, sogar darüber Witze gerissen wurden. "Du hast einen Termin bei Dir Hordorff, dann musst Du Dich bestimmt ausziehen", soll es gewitzelt worden sein.

Im März trat der ehemalige Funktionär von all seinen Ämtern zurück, offiziell aber nicht aufgrund der Ermittlungen, sondern aus gesundheitlichen Gründen.

Er wittert eine Verschwörung gegen ihn, die Ermittlungen sind unterdessen eingestellt, weil die Taten "entweder nicht strafrechtlich relevant" oder verjährt waren, wie es in der Doku heißt.

Die Betroffenen hoffen dennoch, dass ihre Geschichten zu seinem Umdenken im DTB führen und Jugendliche und junge Erwachsene besser geschützt werden. Der Verband hat zumindest eine Aufarbeitungskomission errichtet.

Titelfoto: Bildmontage: IMAGO/Weckelmann, Hasenkopf

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