Zweiter Tag im Prozess gegen Halle-Attentäter: Balliet will "seine Leute" schützen

Magdeburg/Halle - Der rechtsextreme Terroranschlag auf die Synagoge in Halle erschütterte vor neun Monaten Menschen überall auf der Welt. Entsprechend groß ist das Interesse am Prozess, der am Dienstag begann und am Mittwoch fortgesetzt wird.

Der angeklagte Stephan Balliet sitzt zu Beginn des zweiten Prozesstages im Landgericht.
Der angeklagte Stephan Balliet sitzt zu Beginn des zweiten Prozesstages im Landgericht.  © Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/POOL/dpa

Gut neun Monate nach dem rechtsextremen Terroranschlag von Halle mit zwei Toten und mehreren Verletzten (TAG24 berichtete) beginnt in Magdeburg der Prozess gegen den Angeklagten.

Das Gerichtsverfahren gilt als eines der größten und bedeutendsten in der Geschichte Sachsen-Anhalts: 13 Straftaten werden dem Angeklagten angelastet, darunter Mord und versuchter Mord. 43 Nebenkläger ließ das Gericht vor Prozessbeginn zu und benannte insgesamt 147 Zeugen. Die Anklage der Bundesanwaltschaft umfasst insgesamt 121 Seiten.

"Die Schwere des Tatvorwurfs und die politische Bedeutung der angeklagten Taten verleihen dem Verfahren ein besonderes Gewicht", sagte der Sprecher des Oberlandesgerichts (OLG) Naumburg, Henning Haberland.

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Deshalb finde das Verfahren auch nicht in den Räumen des OLG Naumburg statt, sondern im größten Verhandlungssaal Sachsen-Anhalts in Magdeburg. Dem Angeklagten werde ein Angriff auf grundlegende Werte unserer Gesellschaft vorgeworfen. "Insbesondere aber soll er unermessliches persönliches Leid angerichtet haben", sagte Haberland. "Der Rechtsstaat wird darauf mit einem fairen Verfahren reagieren."

Angeklagt ist Stephan Balliet aus Sachsen-Anhalt. Er hat die Vorwürfe laut dem Gericht im Wesentlichen eingeräumt. Im Falle einer Verurteilung erwarten den heute 28-Jährigen eine lebenslange Haftstrafe, auch eine anschließende Sicherheitsverwahrung ist möglich. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, "aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus einen Mordanschlag auf Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens" geplant zu haben, so die Bundesanwälte.

UPDATE, 22. Juli, 17.30 Uhr: Angeklagter muss sich Nebenkläger-Fragen stellen

Der Angeklagte hat sich erstmals den Fragen der Nebenkläger stellen müssen. Auf viele kritische Fragen, etwa zu seinen Aktivitäten im Internet oder seiner Meinung zum Nationalsozialismus, wollte er jedoch nicht antworten.

So wolle er beispielsweise "seine Leute" schützen, sagte er mit Blick auf Kontakte im Internet und Betreiber von Internetseiten. Aus einigen Antworten ging aber hervor, dass er unter anderem 0,1 Bitcoin überwiesen bekommen habe - und zwar nachdem er angekündigt habe, improvisierte Waffen zu bauen, weil er Muslime nicht möge.

Die Anwälte der Nebenklage wollten unter anderem wissen, welche Jobs er nicht bekommen habe, weil diese an Ausländer gegangen seien. Die Antwort fiel nicht konkret aus. Zuvor hatte er die These vertreten, dass Ausländer Deutschen Arbeitsplätze wegnehmen könnten.

Ein anderer Anwalt kritisierte das Verhalten des Angeklagten. Er müsse sich nicht wie ein "neunmal kluger 17-Jähriger präsentieren". Zuvor hatte der Rechtsterrorist ausweichend auf Fragen dieses Anwalts geantwortet.

UPDATE, 22. Juli, 12.15 Uhr: Angeklagter voll schuldfähig

Im Prozess um den rechtsextremen Attentäter von Halle hält ein Gutachter den Angeklagten nach Darstellung seiner Verteidigung für voll schuldfähig. "Das ist jedenfalls die vorläufige Auffassung des Sachverständigen", sagte Verteidiger Hans-Dieter Weber am Mittwoch in Magdeburg. Unklar blieb am zweiten Prozesstag zunächst, auf welches Gutachten genau er sich dabei bezog.

Der Verteidiger von Stephan Balliet sehe seine Hauptaufgabe darin, für den Ablauf eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu sorgen, da die Tat im Wesentlichen auf einem Video festgehalten sei. Zu den Aussagen seines Mandanten sagte er, es sei die freie Entscheidung des Angeklagten, was er mache. "Es ist nicht meine Aufgabe, ihn in irgendeiner Form zu maßregeln."

In dem "ein oder anderen Punkt" sei er mit Blick auf die Vorwürfe anderer Auffassung als die Staatsanwaltschaft. Genauer wurde er nicht. Natürlich habe sich sein Mandant beraten lassen. "Das heißt jetzt nicht, dass er unseren Ratschlägen unbedingt folgt."

UPDATE, 22. Juli, 11.15 Uhr: Tatvideo im Halle-Prozess gezeigt

Während der Sichtung des Tatvideos am zweiten Prozesstag zum Halle-Anschlag haben mehrere Nebenkläger den Gerichtssaal verlassen. Einige weitere schauten am Mittwoch weg, als das gut halbstündige Video gezeigt wurde. Manche bedeckten ihre Augen und hielten die Hände ihrer Anwälte oder Begleiter. Mehrere Seelsorger kümmerten sich um die Verletzten und Hinterbliebenen des Anschlags.

Stephan Balliet folgte dem Video konzentriert, anfangs mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Die Anwälte der Nebenklage machten einen psychologischen Gutachter im Saal darauf aufmerksam. Im Anschluss an die Sichtung unterbrach Richterin Ursula Mertens die Sitzung für 45 Minuten.

Der angeklagte Stephan Balliet (M). Als das Tatvideo gezeigt wurde, soll er zu Beginn breit gegrinst haben.
Der angeklagte Stephan Balliet (M). Als das Tatvideo gezeigt wurde, soll er zu Beginn breit gegrinst haben.  © Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/POOL/dpa

UPDATE, 22. Juli, 9.15 Uhr: Prozess zum Halle-Anschlag: Gericht hat bei Einlass nachgebessert

An Tag zwei des Prozesses um den rechtsterroristischen Anschlag von Halle hat das Gericht seine Einlasskontrollen deutlich beschleunigt. Anders als am Vortag bildeten sich am Mittwochmorgen keine langen Schlangen mehr vor dem Gerichtsgebäude. Am Dienstag hatte sich der Prozessbeginn um zwei Stunden verzögert, weil für die Sicherheitsmaßnahmen mehr Zeit als veranschlagt nötig war. Vor dem Gebäude warteten Menschen in langen Schlangen. Geändert wurde auch die Sitzordnung im Saal: Die Medienvertreter haben nun einen besseren Blick auf den Angeklagten. Zudem ist WLAN verfügbar.

Der Angeklagte wurde am Mittwochmorgen erneut per Hubschrauber vom Gefängnis nach Magdeburg gebracht. Der Attentäter hatte im Herbst 2019 schwer bewaffnet versucht, die Synagoge in Halle zu stürmen.

Der Prozess des Naumburger Oberlandesgerichts wird wegen des großen öffentlichen Interesses und aus Sicherheitsgründen im größten Verhandlungssaal Sachsen-Anhalts in Magdeburg verhandelt.

Der angeklagte Stephan Balliet steigt im Hof des Landgerichts unter Bewachung von Justizpersonal aus dem Fahrzeug aus.
Der angeklagte Stephan Balliet steigt im Hof des Landgerichts unter Bewachung von Justizpersonal aus dem Fahrzeug aus.  © Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa

UPDATE, 15.40 Uhr: Angeklagter bedauert tödliche Schüsse auf 40-Jährige

Der Angeklagte hat bedauert, die 40-jährige Passantin erschossen zu haben.

"Es tut mir sehr leid, dass ich sie erschossen hab", sagte der 28-Jährige. Zum ersten Mal während seiner Aussage versagte ihm dabei leicht die Stimme. Er habe die Frau erschossen, als er die Tür zur Synagoge nicht aufbekommen habe. Er bezeichnete die Schüsse als "Kurzschlussreaktion". Die 40-Jährige habe ihn von der Seite angesprochen.

Über die Synagoge selbst habe er wenig gewusst: Weder, wie sie aufgebaut sei, noch ob sie besonders gut besucht sei.

UPDATE, 13.38 Uhr: Halle-Attentäter hielt Opfer für minderwertig

Der Attentäter von Halle hielt die vor der Synagoge getötete 40-Jährige laut Anklage aufgrund ihres Erscheinungsbildes für minderwertig. Das ging am Dienstag aus der Verlesung des Anklagesatzes beim Prozessauftakt in Magdeburg hervor.

Weil er die 40-Jährige als minderwertig empfunden habe, habe er ihr das Recht auf Leben abgesprochen. Sein zweites Opfer, einen 20-Jährigen, habe er irrtümlich für einen Muslim gehalten.

UPDATE, 13.22 Uhr: Taten laut Angeklagten ohne Bezug zur Familie

Der Angeklagte im Prozess um den antisemitischen Terroranschlag von Halle hat vor Gericht nur unwillig über seinen Werdegang und seine Familie berichtet. "Die Tat hat keinen Bezug zu meiner Familie", sagte der 28-Jährige am Dienstag kurz nach Beginn des Prozesses. "Man fragt sich natürlich, wie man solche Taten verhindern kann, ich habe da natürlich kein Interesse dran." Auf Nachfragen der Vorsitzenden Richterin sagte der Mann, seine Eltern hätten sich getrennt, als er 14 oder 15 Jahre alt gewesen sei. Das Verhältnis zu beiden Eltern und Schwestern sei gut.

Seine Lieblingsfach in der Schule sei Biologie gewesen, Englisch seine Schwäche, sagte Stephan Balliet. Gute Freunde habe er nicht gehabt, er sei auch in keinem Verein gewesen. Er habe vor allem Interesse am Internet gehabt, weil man sich dort frei unterhalten könne. Nach dem Abitur habe er einen verkürzten Wehrdienst absolviert, sei sechs Monate Panzergrenadier in Niedersachsen gewesen. Er habe den Wehrdienst anstrengend und doof gefunden, es sei "keine richtige Armee" gewesen.

Zum Studium sei er nach Magdeburg gegangen. Er habe es wegen einer Krankheit abgebrochen, habe danach keine Pläne mehr für die Zukunft gehabt und in den Tag hineingelebt. "Nach 2015 hab ich entschieden nichts mehr für diese Gesellschaft zu tun", sagte der 28-Jährige.

Der Angeklagte antwortete knapp auf die Fragen. Da er sich auch rassistisch äußerte, rügte ihn die Vorsitzende Richterin bei der Wortwahl und drohte ihm mit dem Ausschluss vom Verfahren.

Der Angeklagte im Prozess: "Die Tat hat keinen Bezug zu meiner Familie."
Der Angeklagte im Prozess: "Die Tat hat keinen Bezug zu meiner Familie."  © Christian Grube

UPDATE, 12.02 Uhr: Angeklagter im Gerichtssaal

Mit Hand- und Fußfesseln ist der 28 Jahre alte Angeklagte im Prozess um den rechtsterroristischen Anschlag von Halle in den Verhandlungssaal geführt worden. Er wurde von maskierten Spezialkräften der Justiz begleitet.

Stephan Balliet, dem zwei Morde und mehrere Mordversuche unter anderem an 52 Gläubigen in einer Synagoge in Halle vorgeworfen werden, erschien in Jeans, schwarzer Jacke und Turnschuhen. Er trug einen Mundschutz. Die Haare waren kurz geschoren.

Der Angeklagte blickte sich ernst im Saal um und schaute ruhig in die Kameras. Kurz nach Beginn der Verhandlung kündigte er an: "Ich würde eine Aussage machen".

Mit knapp zweistündiger Verspätung kann der Prozess nun beginnen.
Mit knapp zweistündiger Verspätung kann der Prozess nun beginnen.  © Montage: imago images/Christian Grube/Amac Garbe

UPDATE, 11 Uhr: Prozessauftakt verzögert sich weiter

Noch immer konnte der für 10 Uhr geplante Prozessauftakt nicht starten. Wie TAG24 aus dem Gerichtssaal erfuhr, soll allerdings in circa 20 Minuten die Szenerie beginnen. Grund für die Verzögerung: Noch immer würden vor dem Gebäude zahlreiche Pressevertreter stehen, die vor dem Einlass natürlich einzeln kontrolliert werden müssen.

Die beteiligten Anwälte seien zudem mit den Räumlichkeiten des Prozesses nicht zufrieden. Aufgrund der Tragweite des Falls wäre eine Messehalle oder ähnliches wohl besser gewesen.

Zudem fänden neben dem Verfahren des Naumburger Oberlandesgerichts im Gebäude des Landgerichts Magdeburg am selben Tag auch dessen eigene Verhandlungen statt. "Deshalb gibt es räumliche Beschränkungen." Das führt zu den Verzögerungen und Warteschlangen. "Die Vorsitzende hat mir zugesichert, dass die Sitzung nicht beginnt, bevor nicht alle Plätze im Sitzungssaal eingenommen worden sind", betonte Gerichtssprecher Ehm.

"Ich bin sicher, dass die Verantwortlichen am heutigen Tage eine Auswertung der heutigen Situation vornehmen werden. Ich hoffe sehr, dass ein Weg gefunden wird, dass sich Ähnliches nicht wiederholt", sagte der Gerichtssprecher weiter.

Staatsanwalt Stefan Schmidt und Bundesanwalt Kai Lohse warten auf den Prozessbeginn.
Staatsanwalt Stefan Schmidt und Bundesanwalt Kai Lohse warten auf den Prozessbeginn.  © Christian Grube
Der Politiker Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) steht als Prozess-Beobachter im Landgericht und wartet auf den Prozessbeginn.
Der Politiker Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) steht als Prozess-Beobachter im Landgericht und wartet auf den Prozessbeginn.  © Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/POOL/dpa

UPDATE, 10.19 Uhr: Prozess-Beginn gegen Halle-Attentäter verzögert sich

Der Beginn des Prozesses zum rechtsextremen Anschlag von Halle hat sich am Dienstagvormittag verzögert. Wenige Minuten vor dem geplanten Start um 10.00 Uhr standen noch viele Besucherinnen und Besucher sowie Medienvertreter vor dem Gebäude.

Umfangreiche Einlasskontrollen sollen für Sicherheit im Landgericht Magdeburg sorgen.

Prozessbeobachter und Journalisten stehen vor dem Landgericht Magdeburg. Hier beginnt der Prozess gegen den Attentäter von Halle.
Prozessbeobachter und Journalisten stehen vor dem Landgericht Magdeburg. Hier beginnt der Prozess gegen den Attentäter von Halle.  © Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa
Die Anklagebank: Hier soll der Beschuldigte circa 10 Uhr Platz nehmen.
Die Anklagebank: Hier soll der Beschuldigte circa 10 Uhr Platz nehmen.  © Christian Grube
Vor dem Gerichtsgebäude gab es am Morgen bereits Protestaktionen.
Vor dem Gerichtsgebäude gab es am Morgen bereits Protestaktionen.  © Christian Grube
Eine Kolonne mit Fahrzeugen von Polizei und Justiz fährt mit Blaulicht und Sirene zum Landgericht Magdeburg.
Eine Kolonne mit Fahrzeugen von Polizei und Justiz fährt mit Blaulicht und Sirene zum Landgericht Magdeburg.  © Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa

TAG24 hält Euch beim Prozessauftakt auf dem Laufenden.

Titelfoto: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/POOL/dpa

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