Amokfahrt von Trier: Darum kommt der Täter jetzt erneut vor Gericht
Trier - Die tödliche Amokfahrt in Trier ist mehr als drei Jahre her. Jetzt wird der Prozess gegen den Täter teilweise neu aufgerollt. Um was geht es dabei?
Es ist ein Prozess, der Wunden wieder aufreißen wird. Mehr als drei Jahre nach seiner Todesfahrt mit einem Geländewagen durch die Trierer Fußgängerzone kommt der Amokfahrer ab nächstem Dienstag (27. Februar) erneut vor Gericht.
Der Prozess gegen den heute 54-Jährigen muss zum Teil vor dem Landgericht Trier neu verhandelt werden, weil der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil vom August 2022 überwiegend aufgehoben hatte.
15 Nebenkläger sind im Prozess dabei: Sie vertreten Angehörige von Opfern oder Geschädigte selbst. Bei der Tat am 1. Dezember 2020 starben fünf Menschen, darunter ein neun Wochen altes Baby und eine junge Studentin.
Zudem gab es Dutzende Verletzte und Traumatisierte. Und: Die Tat hinterließ eine ganze Stadt unter Schock. Im Oktober 2021 war zudem ein Mann gestorben, der bei der Tat schwer verletzt worden war.
Vorneweg: Von der Neuauflage des Prozesses nicht betroffenen sind laut BGH "die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen".
Sprich: Dass der Angeklagte der Täter war. Unbestritten ist also, dass der Mann mit seinem Auto in hohem Tempo durch die belebte Einkaufsstraße in Trier gerast war und gezielt Passanten angefahren hatte.
Diese Fehler hat das Trierer Gericht gemacht
"Rechtsfehler" hat das Trierer Gericht aber laut Karlsruher Richter bei der Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten gemacht.
Das Landgericht habe seine Annahme, der Mann habe im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit gehandelt, nicht schlüssig und umfassend auf die Tat bezogen begründet.
Der Täter war wegen mehrfachen Mordes und mehrfachen versuchten Mordes vor dem Landgericht Trier zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Das Gericht stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest und ordnete die Unterbringung des Mannes in einem geschlossenen psychiatrischen Krankenhaus an.
Eine generelle Diagnose, dass der Mann an einer paranoiden Schizophrenie leidet, mache ihn nicht grundsätzlich und für alle Zeit schuldunfähig oder vermindert schuldfähig, sagte der Trierer Strafrechtsprofessor Mohamad El-Ghazi.
Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit sei der Zeitpunkt der Tat entscheidend. "Das hat das Landgericht in seinem Urteil aus den Augen verloren. Das ist ein peinlicher Fehler", sagte der Experte für Revisionsrecht.
Zudem habe das Gericht es versäumt, die Auswirkungen des Alkoholkonsums des Angeklagten in Kombination mit seiner Krankheit auf die Schuldfähigkeit zu prüfen.
Man könne davon ausgehen, dass der Amokfahrer zum Tatzeitpunkt 1,72 Promille Alkohol im Blut hatte. Und schließlich sei dem Gericht vom BGH aufgetragen worden, bei den einzelnen Taten den Tötungsvorsatz beim Angeklagten "gründlicher" aufzuarbeiten, sagte El-Ghazi.
Schuldfähig oder nicht? Das wären die Folgen
Nach Einschätzung des Strafrechtlers ist die Frage der Schuldfähigkeit "jetzt grundsätzlich offen". Das Gericht könnte am Ende der Neuauflage des Prozesses erneut zu dem Ergebnis kommen, dass der Angeklagte vermindert schuldfähig sei.
Dann bliebe es bei dem "aus Angeklagtensicht härtesten Urteil, das man sich vorstellen kann".
Bei Schuldunfähigkeit müsste der Angeklagte freigesprochen werden, weil man ihn dann für die Straftaten nicht zur Verantwortung ziehen könnte, sagte El-Ghazi.
Mit Blick auf dessen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit würde er dann in ein geschlossenes psychiatrisches Krankenhaus kommen und dort "lange, lange Zeit in staatlicher Verwahrung" bleiben.
Wenn das Gericht den Mann schuldfähig befinde, bekomme er eine lebenslange Haftstrafe, bei der er bei zusätzlicher besonderer Schwere der Schuld auch nach Verbüßung von 15 Jahren nicht mit einer Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe rechnen könne.
60 Zeugen geladen, wird sich der Angeklagte auch äußern?
Bei dem neu aufgelegten Amokprozess sind laut Gericht rund 60 Zeugen geladen. Es handele sich dabei um Menschen, die vor oder nach der Tat mit dem Angeklagten zu tun hatten.
Als Beispiele nannte die Gerichtssprecherin Bekannte des Mannes am Kiosk in Trier-Zewen vor der Tat und die Polizisten bei der Festnahme nach der Tat. Insgesamt sind zehn Verhandlungstermine bis zum 2. Mai vorgesehen.
Für den ersten Prozesstag ist laut Gericht die Anklageverlesung, die Verlesung des Urteils der ersten Strafkammer, soweit es in Rechtskraft erwachsen ist, sowie die Verlesung des Beschlusses des BGH geplant.
Anschließend werde sich der Angeklagte zur Sache äußern dürfen. "Ob dies geschehen wird, wird sich zeigen", hieß es vom Gericht. Bisher hatte er geschwiegen. Zeugen seien zum Auftakt nicht geladen.
El-Ghazi ging davon aus, dass der Prozess länger als bis Anfang Mai dauern werde.
"Das Gericht will jetzt erst recht nichts mehr falsch machen. Der Druck ist sehr groß", sagte er. "Wir können zufrieden sein, wenn wir im Spätsommer eine Entscheidung haben."
Titelfoto: Harald Tittel/dpa