Mordprozess im Rocker-Milieu: Staatsanwaltschaft fordert lebenslänglich für "Clubrache"
Leipzig - Im Mordprozess gegen vier Mitglieder der Rockergruppe "Hells Angels" wurden am Dienstag die ersten Plädoyers gesprochen. Es war von einer "Clubrache" und "absolutem Vernichtungswillen" die Rede.
Um 9.15 Uhr begann Oberstaatsanwalt Guido Lunkeit nach 86 vorangegangen Verhandlungstagen mit der Ausführung seines ausführlichen Plädoyers. Er hob zunächst die Wichtigkeit des zufällig aufgenommenen Tatvideos hervor. Ebenso wie die Überwachung von Telefonaten und versendeten Nachrichten der Angeklagten sei dies "von ganz besonderer Bedeutung" für die Erhärtung des Tatverdachts gewesen, so Lunkheit.
Der Oberstaatsanwalt kam zu der Erkenntnis, dass die Videoaufzeichnung trotz eventueller Kollision mit dem Datenschutz durchaus verwertbar sei.
Dass es sich bei der Aufnahme um einen Fake handeln könnte, schloss er - ebenso wie der zuvor beauftragte Videoanalytiker Ulrich Diezel - aus. Lunkeit: "Es gibt nicht die geringsten Anhaltspunkte einer Manipulation."
Guido Lunkeit rekonstruierte den Tattag wie folgt: Der mutmaßliche Todesschütze Stefan S. sei am 25. Juni 2016 auf dem Weg in seine Wohnung in der Eisenbahnstraße gewesen. Er sei dort von einem Mitglied der verfeindeten "United Tribunes" (UT) körperlich angegriffen worden. Es ging wohl um untereinander aufgeteilte Hoheitsgebiete.
Nach dieser Attacke habe der heute 33-Jährige nach Ansicht der Staatsanwaltschaft mit den drei weiteren Angeklagten Marcus M. (36), Ferenc B. (42) und Frank M. (47) eine Rachehandlung geplant. Am Tattag habe das Quartett bewusst die eigenen Handys zu Hause gelassen, um nach einer Funkzellenauswertung räumlich nicht mit dem späteren Mord in Verbindung gebracht zu werden. Als man an einem kleinen Imbiss auf die UT-Mitglieder traf, "hat jeder billigend in Kauf genommen, dass eine gewalttätige Auseinandersetzung geschehen könnte", so Oberstaatsanwalt Guido Lunkeit. Auch wenn der erste Angriff von den Tribunes ausging.
Oberstaatsanwalt schließt Notwehr aus
Die Auswertung des Videomaterials zeige zudem deutlich, dass nach Abgabe der insgesamt sieben Schüsse aus einer halbautomatischen Pistole einige Hells Angels an Ort und Stelle stehen geblieben sind. Marcus M., Ferenc B. und Frank M. hingegen sollen auf den bereits am Boden liegenden Veysel A. zugegangen sein und auf dessen Kopf eingetreten haben.
Auch deshalb könne laut Lunkeit Notwehr klar ausgeschlossen werden. Nicht nur, dass nicht lediglich ein Schuss (in die Luft) abgefeuert wurde. Auch, dass nach Auswertung der Rechtsmedizin der tödliche Schuss in die Lendengegend von hinten geschah, als sich der 27-Jährige bereits in der Rückwärtsbewegung befand, könne Notwehr ausschließen. Zudem hätten die UT-Anhänger keine gefährlichen Gegenstände oder gar Waffen getragen.
Dass Stefan S. der Schütze gewesen war, belegen laut des Oberstaatsanwalts "biologische Spuren an der Tatwaffe, insbesondere am Abzug". Den am Tatort vorläufig festgenommenen Mitangeklagten Ferenc B. und Frank M. könne eine Beteiligung anhand von eindeutigen Blutspuren an den Schuhen nachgewiesen werden, die nicht von einem bloßen Tritt in die Blutlache rühren können.
Keine Sicherungsverwahrung?
Marcus M. hingegen, damaliger Präsident der Leipziger Höllenengel, konnte nicht am Tatort festgestellt werden. Ein Dönerladenbesitzer, der M. zu seinen Stammkunden zählte, bestätigte allerdings, dass der heute 36-Jährige an dem Angriff beteiligt war.
Dass der Boss nichts von den Racheplänen wusste, hält Lunkeit für ausgeschlossen.
"Eine solche Aktion wird niemals ohne Wissen des Präsidenten durchgeführt", ist sich der Staatsanwalt - auch nach Zeugenaussagen - sicher.
Zwei Stunden nach Eröffnung seiner ausführlichen Rede beendete Lunkeit sein Plädoyer. "Nicht so überraschend" falle es nahezu identisch wie die Anklageschrift aus.
"Die Staatsanwaltschaft ist der Auffassung, dass sich die Tat exakt so zugetragen hat", so der Oberstaatsanwalt.
Er forderte eine lebenslange Haftstrafe wegen gemeinschaftlichen Mordes für die vier Angeklagten, hielt eine verminderte Schuldfähigkeit für nicht zutreffend sowie eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Suchtanstalt für nicht notwendig. Das Mordmerkmal greife wegen niederer Beweggründe. Für den mutmaßlichen Schützen komme zudem der Tatverdacht des versuchten Mordes in zwei Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung hinzu. Denn durch die Schüsse wurden auch Sairen O. (34) und Umut A. (37) verletzt.
Eine anschließende Sicherungsverwahrung, die auch eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung nach frühestens 15 Jahren ausschließt, hält Guido Lunkeit - zumindest für die drei Mittäter - aufgrund ihrer wenigen Körperverletzungsdelikte in der Vergangenheit für nicht notwendig.
Die vier Nebenkläger schlossen sich der Ausführung und den Anträgen der Staatsanwaltschaft im Wesentlichen an. Die Plädoyers der Verteidiger werden für kommenden Montag erwartet.