Ofarim-Prozess: Hotelmanager fühlte sich von pöbelndem Musiker bedroht

Leipzig - Antisemitische Diskriminierung, glatte Lügengeschichte oder alles nur ein Missverständnis? Zum Prozessauftakt gegen den jüdischen Musiker Gil Ofarim (41) wegen Verleumdung und Beleidigung eines Leipziger Hotel-Mitarbeiters haben Staatsanwaltschaft und Verteidigung am Dienstag ihre Sichtweisen erstmals öffentlich dargelegt. Der Künstler selbst äußerte sich bislang nicht.

Kurz vor Prozessbeginn bespricht Sänger Gil Ofarim (41) mit Rechtsanwalt Dr. Alexander Stevens (42) die Verteidigungsstrategie.
Kurz vor Prozessbeginn bespricht Sänger Gil Ofarim (41) mit Rechtsanwalt Dr. Alexander Stevens (42) die Verteidigungsstrategie.  © Ralf Seegers

Flankiert von zwei seiner drei Anwälte lief Ofarim am Morgen zum Gerichtsgebäude. Einer der Juristen trug ein Basecap mit der bunten Aufschrift "CIRCUS". Offenbar eine Anspielung auf den Medienzirkus, der sich vor und im Gericht abspielte.

Die ersten Reporter hatten sich bereits kurz nach 5 Uhr morgens vor dem Gerichtsgebäude angestellt, um einen der raren Zuschauerplätze zu ergattern.

Aus Sicherheitsgründen war der Zuschauerraum verkleinert worden, um mehr Abstand zur Anklagebank herzustellen. An zwei Eingangsschleusen wurden Ausweis- und Taschenkontrollen durchgeführt. Überall im Haus waren Sicherheitskräfte postiert.

Diagnose nach Google-Recherche: Leipziger Hochstapler-Arzt wollte Papa stolz machen
Gerichtsprozesse Leipzig Diagnose nach Google-Recherche: Leipziger Hochstapler-Arzt wollte Papa stolz machen

In seiner linken Hand hielt Ofarim einen Funksender – offenbar die direkte Verbindung zu Personenschützern, die sich im Hintergrund hielten.

Gegen 9 Uhr betrat der Sänger den Gerichtssaal – sein erster öffentlicher Auftritt seit Monaten. Wie in seinem justiziablen Instagram-Video, das er am 4. Oktober 2021 vorm Leipziger Westin Hotel aufnahm, trug Ofarim eine amerikanische Highway-Patrol-Lederjacke.

Über dem grauen T-Shirt blitzte seine Kette mit Davidstern. Ob sie auch damals im Hotel zu sehen war, ist eine der Hauptfragen im Prozess.

Anklage: Ofarim drohte dem Hotel-Personal

Gil Ofarim im Blitzlichtgewitter – nicht als Künstler, sondern als Angeklagter vor Gericht.
Gil Ofarim im Blitzlichtgewitter – nicht als Künstler, sondern als Angeklagter vor Gericht.  © Ralf Seegers

Das minutenlange Blitzlichtgewitter ertrug der Sohn des israelischen Musikers Abi Ofarim (1937–2018) mit Fassung. Als Künstler dürfte er noch nie zuvor derart im Rampenlicht gestanden haben wie jetzt als Angeklagter vor Gericht.

Ein kurzes Hallo – dann setzte sich Ofarim zu seinem Anwalt Dr. Alexander Stevens (42) in die letzte Reihe der Anklagebank.

Nach der medialen Ouvertüre ergriff die mit zwei Sitzungsvertretern im Saal anwesende Staatsanwaltschaft das Wort. In seiner Anklage warf Staatsanwalt Andreas Ricken Ofarim falsche Verdächtigung, Verleumdung sowie falsche Versicherung an Eides statt in Tateinheit mit Betrug vor.

Klage gescheitert: BND darf Details zur Spionagesoftware "Pegasus" geheimhalten
Gerichtsprozesse Leipzig Klage gescheitert: BND darf Details zur Spionagesoftware "Pegasus" geheimhalten

Demnach hatte der Musiker in seinem viral gegangenen Video geschildert, dass ein Mitarbeiter des Westin ihn aufgefordert hätte, seine Kette mit Davidstern abzunehmen, damit er einchecken könne. Zuvor habe sich Ofarim am Empfangstresen über die Bevorzugung von Stammgästen beschwert, die hinter ihm in der Warteschlange standen.

Laut Anklage soll Ofarim sehr aufgebracht gewesen sein und dem Hotel-Personal gedroht haben, dass er auf Instagram und Facebook öffentlich machen könne, was das Westin für ein "Scheißladen" sei. Anschließend habe der Angeklagte das Hotel verlassen und vor dem Eingang sein Instagram-Video gedreht.

Verteidigung bringt 'Missverständnis' ins Spiel

Vertreten im Prozess die Anklage: Daniela Francke und Andreas Ricken von der Staatsanwaltschaft Leipzig.
Vertreten im Prozess die Anklage: Daniela Francke und Andreas Ricken von der Staatsanwaltschaft Leipzig.  © Ralf Seegers

Die Geschichte mit dem Davidstern sieht die Anklage als Hirngespinst des Musikers. "Das entspricht nicht der Wahrheit", sagte Staatsanwalt Ricken zu Ofarims Video-Schilderungen.

Der Angeklagte habe den Hotel-Mitarbeiter zu Unrecht als Antisemiten dargestellt. Der Davidstern sei beim Einchecken des Musikers gar nicht zu erkennen gewesen.

Hotelmanager Markus W. (35), der nach Ofarims Instagram-Video wochenlangen Anfeindungen ausgesetzt war, ist Nebenkläger im Prozess.

Das Blitzlichtgewitter zum Auftakt ersparte sich der Leipziger jedoch. Er wird erst später als Zeuge im Gericht erscheinen. Seine Interessen nimmt Rechtsanwalt Daniel Baumgärtner als Nebenklage-Vertreter wahr.

Nach der Anklageverlesung gab Ofarims Verteidigung ihren Prozesseinstand – mit einer anwaltlichen Erklärung für den Angeklagten, der sich vorerst nicht selbst äußern wollte. Es handele sich hier um einen klassischen Fall von Aussage gegen Aussage, sagte Rechtsanwalt Stevens.

Möglich sei, dass es sich bei dem Fall um ein Missverständnis oder schlechten Humor handele – oder eben doch um eine "antisemitische Anspielung", spekulierte der Jurist.

'Es geht nicht um den Stern...'

Sie sollen die Wahrheit herausfinden: die Richter und Schöffinnen der 6. Strafkammer unter Vorsitz von Dr. Andreas Stadler (Mitte).
Sie sollen die Wahrheit herausfinden: die Richter und Schöffinnen der 6. Strafkammer unter Vorsitz von Dr. Andreas Stadler (Mitte).  © Ralf Seegers

Im Vorgriff auf die im Prozess erwartete Analyse der Bilder aus Überwachungskameras, in denen laut Anklage die Davidstern-Kette nicht zu sehen sei, legte Stevens die Verteidigungsstrategie offen. "Es geht nicht um den Stern, sondern um die Diskriminierungserfahrung", erklärte Ofarims Verteidiger.

Mobbing und Diskriminierung seien für Opfer oft schwer nachzuweisen. Für die Gesellschaft sei es deshalb wichtig, dass das Gericht die Wahrheit ermittle. Sei während des Vorfalls ein diskriminierendes Wort gefallen, so sei sein Mandant freizusprechen, betonte Stevens.

Die öffentliche Darstellung des Hotels, das den Vorfall intern untersucht hatte und seinem Mitarbeiter dabei kein Fehlverhalten nachweisen konnte, wies Ofarims Verteidigung zurück.

Es sei "völlig unplausibel", dass sich der Vorfall so abgespielt hätte, wie es der Hotelmitarbeiter geschildert habe, erklärte Stevens.

Die 6. Strafkammer des Landgerichts unter Vorsitz von Dr. Andreas Stadler will in dem Verfahren insgesamt 30 Zeugen hören. Geplant sind dafür vorerst zehn Verhandlungstage bis zum 7. Dezember.

Deshalb bekam Gil Ofarim Hausverbot

Gil Ofarim in seinem Instagram-Video vor dem Leipziger Hotel Westin – sein darin geäußerter Antisemitismus-Vorwurf löste im Oktober 2021 eine Welle der Empörung aus. Ob er zutreffend oder erfunden war, muss nun das Gericht klären.
Gil Ofarim in seinem Instagram-Video vor dem Leipziger Hotel Westin – sein darin geäußerter Antisemitismus-Vorwurf löste im Oktober 2021 eine Welle der Empörung aus. Ob er zutreffend oder erfunden war, muss nun das Gericht klären.  © Instagram/gilofarim

Am Nachmittag erschien dann Nebenkläger Markus W. vor Gericht. Im Zeugenstand berichtete er über den turbulenten Abend im Herbst 2021. Aufgrund von IT-Problemen bei der Codierung von Zimmerkarten sei es beim Einchecken der Gäste zu Wartezeiten gekommen, berichtete der Hotelmanager. Nachdem er zwei bereits eingecheckten Stammgästen die Karten übergeben habe, sei er von Ofarim angesprochen worden.

Dieser habe "wild gestikuliert", sich über die angebliche Bevorzugung anderer Gäste beschwert und das Hotel dabei als "Scheißladen" bezeichnet. Anschließend habe er gedroht, einen entsprechenden Post viral gehen zu lassen, damit die Welt erfahre, was das für ein "Scheiß Hotel" sei, erinnerte sich Markus W. an die Begegnung.

Er habe sich von Ofarim bedroht gefühlt, erklärte der Hotelmanager. Das sei der Punkt gewesen, an dem er den Hotelfrieden gefährdet sah, vom Hausrecht Gebrauch gemacht habe und den Sänger nicht einchecken ließ. Kurz darauf habe er es noch einmal mit Deeskalation versucht, berichtete W. Doch sein Angebot an Ofarim, sich zu entschuldigen und danach einzuchecken, habe dieser abgelehnt und sei gegangen.

Vom Antisemitismus-Vorwurf erfuhr Markus W. erst am nächsten Tag, als ihm eine Kollegin Ofarims Instagram-Video zeigte. "Ich war entsetzt, was da behauptet wurde", sagte er vor Gericht. Aufgrund der heftigen Reaktionen bis hin zur Morddrohung habe er daheim sein Klingelschild abgeschraubt und sei dann zehn Tage abgetaucht.

Der Prozess wird am Mittwoch mit der weiteren Vernehmung des Zeugen fortgesetzt.

Original-Meldung vom 7. November, 13.03 Uhr. Text aktualisiert um 17.27 Uhr.

Titelfoto: Bildmontage: Ralf Seegers, Instagram/gilofarim

Mehr zum Thema Gerichtsprozesse Leipzig: