Nach Justizskandal: Leipziger Mordkomplott landet erneut vor Gericht
Leipzig - Krimi, Action, Gerichtsdrama, Justizskandal - die Endlosgeschichte um echte und getürkte Morde rund um einen Leipziger Gastro-Großhandel erfüllt nahezu jedes Klischee der Sonntagabendunterhaltung. Am heutigen Mittwoch startete vor dem Landgericht der nächste Akt eines Aufklärungsversuchs um den mutmaßlich im September 2014 gewaltsam zu Tode gekommenen Geschäftsmann Mehmet I. (42).
Was bisher geschah.
Die Ouvertüre: Für 40.000 Euro sollte der syrische Auftragskiller Yusif N. (41) 2014 den Leipziger Gastro-Großhändler Hüseyin D. (54) erschießen. Auftraggeber war dessen einstiger Geschäftspartner Sabri S. (50).
Doch der Killer, der bereits 12.000 Euro Anzahlung erhalten hatte, verbündete sich mit dem Opfer. Mit Ketchup und Fruchtsaft inszenierten beide das "Beweisfoto" für den Auftragsmord, das D. als erschossene Leiche zeigte.
Weil er dennoch Angst um sein Leben hatte, schaltete der Großhändler die Polizei ein. Auftraggeber S. wurde dafür 2017 rechtskräftig zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.
1. Akt: Aus dem Lager des Verurteilten wurde nun der Großhändler D. eines echten Mordes bezichtigt.
Tatsächlich gruben Polizisten Anfang November 2017 auf einem Gelände neben dem Großhandel des Türken die Leiche von dessen Landsmann Mehmet I. (42) aus. Sie war mit Klebeband gefesselt.
Von der "Ketchup-Leiche" zum Mord-Verdächtigen
2. Akt: Im Mai 2018 begann gegen Hüseyin D. am Landgericht Leipzig der erste Prozess wegen Mordes. Mitangeklagt waren der Bosnier Hasan M. (49) und der Türke Ismail Ö. (25), der aber nicht zum Prozess erschien.
Laut Anklage sollten beide auf Anweisung des Großhändlers das Opfer am 22. September 2014 gefesselt und erwürgt haben. Demnach ging es um Schulden und der aus Ermittlersicht wie ein Mafiapate agierende D. soll das Ganze mit Pistole nebst Schalldämpfer beaufsichtigt haben.
Die Anklage bezog sich fast vollständig auf Aussagen des Mittäters Hasan M., der seither im Zeugenschutzprogramm des Landeskriminalamtes lebt.
3. Akt: Mit kurzzeitigem Abbruch und Wiederanlauf verhandelte das Leipziger Landgericht bis August 2020.
Dann der Skandal: Nach 75 Verhandlungstagen platzte der Prozess kurz vor dem Finale - weil der Vorsitzende Richter in den Ruhestand gehen musste. Seinen Antrag, den Dienst zu verlängern, um das Verfahren noch zu Ende bringen zu können, lehnte der Justizapparat aus dienstrechtlichen Gründen ab.
Zweieinhalb Jahre Beweiserhebung und über eine Million Euro Steuergeld für Verfahren und Zeugenschutz verpufften im Nichts. Nach fast drei Jahren U-Haft kamen beide Angeklagte auf freien Fuß.
Leipziger Schwurgericht will sich für die Prozess-Neuauflage viel Zeit nehmen
4. Akt: Zweieinhalb weitere Jahre brauchte die Justiz, um sich neu zu formieren und einen neuen Prozess zu beginnen. Immerhin: Sowohl der von sechs LKA-Personenschützern abgeschirmte Kronzeuge M. als auch die von Freunden begleitete "Ketchup-Leiche" Hüseyin D. erschienen vor Gericht.
Dort wurde die alte Mord-Anklage neu verlesen. Die Verteidiger des Kronzeugen kündigten hernach an, dass M. Angaben machen wolle - aber erst, nachdem sich das Gericht ein Polizei-Video von dessen Vernehmung von 2017 angeschaut habe.
Die Anwältinnen des mutmaßlichen Mord-Paten schossen sofort scharf und stellten den Kronzeugen per Verteidigererklärung als unglaubwürdig dar, weil der sein Aussageverhalten in den letzten fünf Jahren mehrfach geändert hätte.
Tatsächlich hatte auch das Oberlandesgericht in Dresden in einem zwischenzeitlich gescheiterten Wiederaufnahmeverfahren zur "Ketchup"-Ouvertüre in Hasan M. einen unglaubwürdigen Zeugen gesehen.
Das Leipziger Schwurgericht will sich für die Prozess-Neuauflage viel Zeit nehmen und hat Termine bis Ende Dezember reserviert. Auch erklärte der neue Vorsitzende Richter Bernd Gicklhorn rein vorsorglich, dass er erst in zehn Jahren pensioniert werde.
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