Mordfall Jesse: Für elf Kilo "Gras" ein Leben ausgelöscht – Pianist schweigt vor Gericht
Leipzig - Sein Leben war nur etwas über elf Kilo "Gras" wert: Am 11. Januar wurde nördlich von Leipzig der 19-jährige Jesse L. erschossen. Seit Freitag steht sein Bekannter Max D. (20) vor Gericht. Weil er pleite war und seinem Bekannten vier Taschen mit Marihuana und Cannabis abnehmen wollte, soll er zum eiskalten Mörder geworden sein.
Von dem einst feinfühligen Jungen, der am Piano Konzerte gab, war nicht mehr viel zu sehen. Mit kaltem Blick und nahezu regungslos hörte sich Max D. die vom Staatsanwalt verlesenen Vorwürfe an.
Am 11. Januar soll der Sohn eines Zahnarztes und einer Pädagogin seinen Bekannten unter einem Vorwand auf einen Feldweg zwischen Leipzig und Schkeuditz gelockt haben. Laut Anklage stülpte er dort Jesse L. eine Plastiktüte über den Kopf und schoss ihm mit einer Pistole Sig Sauer (Baujahr 1938) ins Gesicht.
Das Projektil drang unterhalb des rechten Auges in die Wange ein und zerfetzte die Halsschlagader. Jesse war vermutlich sofort tot. Die Leiche soll Max D. danach in einen Straßengraben gezerrt und leicht mit Erde bedeckt haben.
Der Anklage zufolge schnappte er sich anschließend die vier Sporttaschen, die Jesse dabei hatte. Darin lagerten acht Kilo Cannabis und mehr als drei Kilo Marihuana-Blüten. "Er wollte die Betäubungsmittel für sich behalten", erklärte Staatsanwalt Torsten Naumann. Und sprach von"Gewinnstreben um jeden Preis".
Der Preis war das Leben von Jesse L., der die Drogen vermutlich zwei Stunden zuvor aus dem Hinterzimmer eines Spätverkaufs in Leipzig-Mölkau übergeben bekam. Sowohl Opfer als auch Täter waren laut polizeilicher Erkenntnis im Drogenhandel aktiv. Allerdings ergab die Auswertung von D.s Kontodaten, dass er vor der Tat komplett pleite war.
Den Prozessauftakt verfolgte Max D. stumm. Sein Anwalt kündigte jedoch eine Einlassung für den 3. August an.
Kalte Blicke und Schweigen am ersten Prozesstag
Der einst begnadete Hobby-Pianist hatte die Ermittler selbst auf seine Spur gebracht. Nachdem Jesses Eltern ihren Sohn am 12. Januar als vermisst gemeldet hatten, beteiligte sich Max D. an der Suche und stellte sich der Polizei als Zeuge zur Verfügung.
"Doch seine Angaben waren widersprüchlich", erklärte Ermittlungsführer Tino F. (48) im Zeugenstand. So führte der vermeintliche Zeuge die Kripo-Beamten am 17. Januar selbst zu dem Feld und erzählte eine schier unglaubliche Geschichte mit mehreren Beteiligten, Drogen und einer Waffe.
Aber erst bei einer zweiten Begehung am Tag darauf fanden die Ermittler Jesses Leiche im Graben. "Das war um 18.36 Uhr", erinnerte sich Ermittler F. genau. Seit diesem Zeitpunkt sei Max D. nicht mehr Zeuge sondern Mordverdächtiger gewesen.
Was den Kriminalisten auffiel: Trotz seines jungen Alters schien Max D. dieser harte Vorwurf nicht sonderlich zu treffen. "Er machte einen selbstsicheren Eindruck und wirkte geradezu entspannt", erinnerte sich Mordermittler Tino R. (32) an die erste Begegnung mit dem Verdächtigen im Polizeigewahrsam. Auch seiner Mutter habe er am Telefon gesagt, dass sich bald alles klären werde.
Da Max D. zur Tatzeit noch nicht volljährig war, wird der Fall vor dem Jugendschwurgericht verhandelt. Im Falle einer Verurteilung nach Jugendstrafrecht droht dem Angeklagten eine Maximalstrafe von zehn Jahren Gefängnis. Wird hingegen nach Erwachsenenstrafrecht geurteilt, was bei über 18-Jährigen prinzipiell möglich ist, würde Mord mit lebenslanger Haft geahndet.
Das Gericht hat bis November insgesamt 14 Verhandlungstage terminiert.
Titelfoto: Ralf Seegers