Leipzig - Versucht Sachsens Polizei, in Strafverfahren Rechtsanwälte einzuschüchtern? Zwei Fälle am Landgericht Leipzig werfen Fragen auf. Hier wollten hochrangige Polizeiführer als Prozessbeobachter das Verhalten eines Strafverteidigers dokumentieren. Sachsens Rechtsanwaltskammer (RAK) fürchtet eine Beeinträchtigung der Berufsausübung der Rechtsbeistände.
Curt-Matthias Engel (57) ist einer der bekanntesten Strafverteidiger in Sachsen. Ob Kinderzimmerdealer "Shiny Flakes", "Hells Angels"-Rocker oder Mafia-Bosse - gerade in kniffligen Verfahren mit hoher Straferwartung setzen viele Beschuldigte auf die Expertise des Leipzigers.
Selbst seine einst härteste Gegnerin im Gerichtssaal, Sachsens langjährige Anti-Mafia-Staatsanwältin Elke Müssig (59), nahm sich Engel als Verteidiger, als sie bei ihren Kollegen in Ungnade gefallen und wegen Strafvereitelung im Amt angeklagt worden war.
Engel schätzt die Konfrontationsverteidigung. Seine meist unnachgiebige Befragung von Polizeibeamten im Zeugenstand hat schon so manche prozessentscheidende Ermittlungspanne zutage gefördert. In Polizeikreisen ist er deshalb gefürchtet und nur bei den Beamten beliebt, die selbst Probleme mit ihrem Dienstherren haben.
Ob all das ein Auslöser für zwei hochumstrittene Polizeimaßnahmen in den vergangenen Wochen am Landgericht Leipzig war, kann nur spekuliert werden. In zwei Verfahren - es ging um Mord und Totschlag jeweils als Versuch - kündigten zwei Polizeiführer im Range von Kriminaldirektoren den Strafkammern schriftlich ihre "Prozessbeobachtung" an. Als Zweck wurde die polizeiliche Dokumentation des Verhaltens des Verteidigers angeführt.
Curt-Matthias Engel: "So etwas habe ich noch nicht erlebt"
"Seit 27 Jahren bin ich als Strafverteidiger tätig, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt", sagt Engel im Gespräch mit TAG24. Er sehe das als Einschüchterungsversuch und Angriff auf seine Berufsausübungsfreiheit.
Sachsens Rechtsanwaltskammer sieht das ähnlich. Die Beobachtung von Prozessen durch Polizeibeamte sei in der Strafprozessordnung nicht vorgesehen, erklärt RAK-Geschäftsführerin Anja Schüpferling auf Anfrage.
Und ergänzt: "Eine Legitimation der Polizei oder einzelner Beamter zum Zwecke einer Dokumentation des Agierens von Strafverteidigern ist weder erforderlich noch vom Gesetz gedeckt und birgt die Gefahr, zur Beeinträchtigung der Verteidigung zu führen."
Sachsens Innenministerium war das Agieren der beiden Kriminaldirektoren nach eigenem Bekunden bis zur Anfrage von TAG24 nicht bekannt. Die Frage, ob eine solche "Prozessbeobachtung" übliche Praxis der Polizei im Freistaat sei, verneinte das Ministerium.
Polizei und Innenministerium können Vorwürfe inhaltlich nicht belegen
Die Polizeidirektion Leipzig begründete das Agieren ihrer Führungskräfte auf Anfrage mit "Fürsorgegründen". Gesorgt wird sich demnach um Ermittlungsbeamte, die in beiden Verfahren als Zeugen vernommen wurden bzw. werden sollen.
In den jeweiligen Schreiben der Kriminaldirektoren an die Strafkammern ist von "unzutreffenden Unterstellungen und Drohungen" des Verteidigers die Rede, mithin von strafbewehrtem Verhalten. Rechtsanwalt Engel wies das gegenüber TAG24 zurück.
Polizei und Innenministerium sahen sich auf Anfrage nicht in der Lage, die Vorwürfe inhaltlich zu belegen. Auf wiederholtes Nachfragen im Zuge der Recherche hieß es von der Polizei Leipzig plötzlich: "Ein strafbares Handeln wird und wurde zu keinem Zeitpunkt unterstellt."
Also doch ein Einschüchterungsversuch? Mit dieser Frage wird sich demnächst die Staatsanwaltschaft beschäftigen müssen. Denn Engel will Strafanzeige erstatten.
Eine der betroffenen Strafkammern hat einen der Polizei-Spitzel übrigens kurzerhand zum Zeugen erklärt und des Saales verwiesen.