"Fahrradgate"-Angeklagte braucht neuen Verteidiger: Platzt jetzt der Prozess?
Leipzig - Der "Fahrradgate"-Prozess um Korruption bei der Polizei droht zu platzen. Völlig überraschend legte der Verteidiger der wegen Bestechlichkeit, Diebstahls, Urkundenfälschung und Verwahrungsbruchs angeklagten Hauptverdächtigen Anke S. (47) jetzt wegen eines "Interessenkonfliktes" sein Mandat nieder. Offenbar nicht ganz freiwillig.
Fast fünf Jahre lang war in dem Skandal um den illegalen Verkauf sichergestellter Fahrräder ermittelt worden, seit dem 19. März lief am Landgericht der Prozess gegen Anke S.
Am letzten Verhandlungstag Ende März hatte die ehemalige Asservatenverantwortliche der Leipziger Polizei über eine Verteidiger-Erklärung fast alle Rad-Verkäufe eingeräumt, dabei auch Vorgesetzte belastet.
Am Dienstag sollten nun die ersten Zeugen gehört werden. Doch das Gericht sagte den Verhandlungstag ab.
Grund: Am Montagnachmittag habe der Verteidiger der Kammer kurzfristig mitgeteilt, dass er das Mandat niederlegen werde, erklärte Gerichts-Sprecher Hans Jagenlauf TAG24.
Bizarr ist die Begründung: Anwalt Thomas Morguet habe mitgeteilt, dass er in der Fahrrad-Sache bereits eine andere Person vertreten habe und es daher einen Interessenkonflikt gebe.
Warum steigt Anwalt der Hauptverdächtigen plötzlich aus?
Ein Rechtsanwalt, der nach Jahren bemerkt, dass er in ein und derselben Sache verbotenerweise zwei Mandanten vertritt - wie glaubwürdig ist das? Bekam der Jurist nach der Vorgesetzten-Bemerkung in der Verteidiger-Erklärung etwa Druck?
Gern hätte TAG24 von Morguet Antworten auf diese Fragen erhalten. Doch dessen Kanzlei lehnte auf Anfrage jede Stellungnahme ab.
Morguet ist seit Jahren "Haus- und Hofanwalt" der Gewerkschaft der Polizei, wickelt dort Rechtsschutzsachen ab. Dass einem so erfahrenen Anwalt ein derartiger Anfängerfehler unterläuft, ist eher unwahrscheinlich. Zumal es nun auch teuer für ihn werden kann.
Platzt der Prozess durch Verschulden eines Verteidigers, hat dieser die bisherigen Verfahrenskosten zu tragen. Nach Angaben des Landgerichts liegen die aktuell im vierstelligen Bereich.
Niemandem fiel Interessenkonflikt auf
Merkwürdig: Auch der Generalstaatsanwaltschaft, die sämtliche Verfahren rund um das "Fahrradgate" bearbeitete, war bislang kein Interessenkonflikt aufgefallen, wie Behördensprecher Dr. Patrick Pintaske TAG24 am Dienstag bestätigte.
Wie geht es nun weiter?
Findet Anke S. binnen drei Wochen keinen neuen Verteidiger, platzt der Prozess. Findet sie einen Anwalt, wird der vermutlich zur Einarbeitung in den komplexen Sachverhalt die Aussetzung des Prozesses beantragen.
Titelfoto: Ralf Seegers