Dreiste Doktorspiele vor Gericht: Pflegehelfer behandelte als "Facharzt" 222 Patienten
Leipzig - Ein Berliner Pflegehelfer hat in Leipzig über Monate Arzt gespielt. In seiner Privatpraxis und via Internet behandelte der Hochstapler und Betrüger Hunderte Patienten. Dabei konnte er noch nicht einmal Blut ziehen. Seit Mittwoch befasst sich das Landgericht mit den dreisten Doktorspielen.
Mit Handschellen wird Sascha R. (36) in den Gerichtssaal geführt. In der JVA Tegel sitzt der notorische Betrüger noch bis Januar eine Strafhaft aus einer vorangegangenen Verurteilung ab. Der hagere Mann in Jeans und blauem Troyer blickt emotionslos zu Boden, er weiß offenbar, was ihn hier erwartet.
Vor vier Jahren noch trug er einen weißen Kittel und mimte als "Dr. med. Sascha R." den honorigen Mediziner.
Als "Facharzt für Allgemein- und Notfallmedizin" hatte sich der Pflegehelfer in der Ladenzone eines Mehrfamilienhauses im Leipziger Südwesten eingemietet.
Mit komplett ergaunerter Ausstattung. Vom EKG-Gerät über das Mobiliar bis hin zum Rezeptvordruck - laut Anklage war alles online bestellt und nichts davon bezahlt.
Pseudo-Arzt scheiterte bei der Blutabnahme
Von Oktober 2020 bis zum Auffliegen des Riesenschwindels im Februar 2021 soll "Dr. R." in seiner Privatpraxis, bei Hausbesuchen und als Telemediziner insgesamt 222 Patienten behandelt und privat abgerechnet haben.
Fast zwei Stunden brauchten zwei Staatsanwältinnen, um all die Fälle bei der Anklageverlesung zu beschreiben.
Angestachelt durch den Corona-Hype zu dieser Zeit führte der Arztdarsteller bei erkälteten Patienten unzählige Antigen-Tests durch, attestierte Arbeitsunfähigkeit und verteilte Rezepte.
Egal ob Kopfschmerz, Magenkrampf oder Durchfall - Ursachenforschung betrieb der Betrüger mangels Sachkenntnis nie, sondern setzte ausschließlich auf Symptombekämpfung mit Paracetamol, Iberogast, Loperamid & Co.
Als ein Patient nach einem kleinen Blutbild verlangte, scheiterte der Hochstapler vollends. Laut Anklage gelang es ihm trotz mehrerer Versuche nicht, mit der Kanüle eine Vene zu treffen. Ohne Blut verließ er schließlich den verdutzten Mann.
Sein Therapievorschlag für einen anderen Patienten, der über niedrigen Blutdruck klagte, lautete: "viel trinken".
Angeklagter kündigt umfassendes Geständnis an
Dass die Hochstapelei kreuzgefährlich war, zeigt der Fall einer Patientin, der R. ein Penicillin-haltiges Antibiotikum verordnete, obwohl die Frau ihn zuvor auf ihre Penicillin-Allergie aufmerksam gemacht hatte. Glücklicherweise verweigerte die Dame die Einnahme der Pillen.
Völlig bizarr: In die Doktorspiele waren laut Anklage auch Teile seines Familien- und Freundeskreises involviert. So soll Sascha R. bei manchen Hausbesuchen seinen Vater als "Assistenzarzt" und eine Freundin als "Anlernschwester" mitgenommen haben. Gegen beide wurde in getrennten Verfahren ermittelt.
Insgesamt 251 Tathandlungen von Betrug über Körperverletzung, Urkundenfälschung bis hin zum Missbrauch von Titeln hat die Staatsanwaltschaft angeklagt. Allein der Betrugsschaden soll bei 77.000 Euro liegen.
Am kommenden Verhandlungstag (19. November) will der bislang schweigsame Berliner sich zu den Vorwürfen einlassen. Sein Anwalt kündigte bereits gestern ein umfassendes Geständnis an.
Titelfoto: Alexander Bischoff