Abgezweigte Munition: KSK-Soldaten geben im Leipziger Prozess Einblicke in ihre geheime Welt
Leipzig - "Er hat Unmögliches möglich gemacht." So stand es in der letzten Beurteilung von Kommandosoldat Philipp S. (46), der aktuell vor dem Landgericht Leipzig steht, weil er auf seinem Grundstück Munition und Sprengstoff hortete. Geschrieben hat das sein einstiger Kompaniechef. Er und andere Ex-Kameraden des Angeklagten gaben am Freitag vor Gericht Einblicke in die streng geheime Welt des Kommandos Spezialkräfte (KSK).
Philipp S. sei seine "rechte Hand" bei der Ausbildung gewesen, erzählte Oberstleutnant Wi. (45), letzter Kommandeur der inzwischen aufgelösten 2. KSK-Kompanie. Der Sachse habe sämtliche Übungen geplant, dafür auch den Bedarf von Munition und Sprengstoff berechnet.
Der "hochprofessionelle Kommandofeldwebel" habe nur noch "marginaler Kontrolle" bedurft, schrieb Wi. in die Beurteilung. Was wohl begünstigte, dass der Angeklagte unbemerkt Tausende Schuss Munition und zwei Kilo Sprengstoff abzweigen konnte.
Der Mann, der einst große Stücke auf seine "rechte Hand" hielt, ist heute von S. "zutiefst enttäuscht". "Ich hätte das im Leben nicht erwartet", erklärte der einstige Kompaniechef.
Und wie war nun der Umgang mit Sprengstoff und Munition beim KSK? Je nach Übungsvorhaben hätten die PLEX-Teams, wie die Ausbildungsplaner beim KSK genannt werden, die entsprechende Menge Sprengstoff bestellt, erklärte Hauptmann S. (44).
Der Ausbildungsleiter übernehme dann den Sprengstoff, der Munitionsausgeber verteile ihn auf die Soldaten. Was am Ende übrig bleibt, müsse wieder abgegeben oder kleinere Mengen "versprengt" werden, so S.
Pro Übung habe jeder Kommandosoldat zunächst 20 Gramm PETN am Mann, berichtete Stabsfeldwebel R. (45) aus der Praxis. Um eine Haustür aufzusprengen, brauche man allerdings 200 Gramm, für Wanddurchbrüche mehrere Kilo.
Bei manchen Übungen könnten schon mal 50 Kilo weggesprengt werden, so R. Würde da jemand ein halbes Kilo abzweigen, fiele das kaum auf.
Exzessiver Umgang mit Munition beim KSK
Auch der Umgang mit Munition ist beim KSK wesentlich exzessiver als in anderen Bundeswehr-Einheiten. Zwar gibt es auch hier Schießkladden, in denen die ausgereichte und später zurückgegebene Munition eingetragen wird.
Doch bei Gefechtsschießen, die sich teilweise über mehrere Tage hinzögen, könne keiner die verschossene Munition zählen, erklärte Bewirtschaftungs-Offizier We. (44). Seinen Schilderungen zufolge nimmt sich jeder KSK-Soldat im Prinzip so viel Munition, wie er glaubt, für die Übung zu brauchen. Vertrauen soll hier Kontrolle ersetzen.
Was offenbar nicht nur im Fall von Philipp S. nicht funktionierte. Bei einer "Amnestie-Aktion" im vergangenen Jahr, wo KSK-Soldaten "Fundmunition" straffrei zurückgeben konnten, kamen laut Oberstleutnant We. 46.400 Schuss Munition zusammen.
Ein Großteil davon hätte das KSK gar nicht vermisst. "Die Munition war teilweise so alt, dass sie gar nicht mehr nachvollziehbar war...", erklärte We. vor Gericht.
Fast unisono äußerten die KSK-Männer im Leipziger Prozess, dass es ständig Munitions-Engpässe gegeben habe, vor allem an spezieller Übungsmunition. Dass die Soldaten deshalb in ihren Kompaniekellern Patronen horteten, wollte allerdings keiner der Zeugen bestätigen.
Dass aber 90 Prozent der in der Amnestie zurückgegebenen "Fundmunition" eben gerade diese begehrte Manövermunition war, könnte ein Indiz dafür sein.
In seinem Geständnis hatte der Angeklagte zu Prozessbeginn jedenfalls den permanenten Mangel als Grund für seine geheimen Munitionsdepots angegeben.
Soldaten zweifeln Sinn ihrer Einsätze an
Was am gestrigen Freitag ebenso zur Sprache kam: In der Elitetruppe herrscht reichlich Frust. Zum einen, weil die Kommandosoldaten bei ihren Einsätzen die rückhaltlose Unterstützung der Politik vermissen. Zum anderen zweifeln offenbar viele an der Sinnhaftigkeit ihrer Einsätze.
"Wir wollten endlich mal eine Geiselsituation haben", entfuhr es einem Leutnant (39). Schließlich sei das der Kernauftrag, der einst zur Gründung der KSK führte. In Afghanistan würden die Kommandosoldaten stattdessen die örtlichen Sicherheitskräfte bei der Jagd nach Taliban unterstützen.
Und dass dies eine äußerst heikle Mission ist, zeigte 2013 der tragische Tod des 32-jährigen Hauptfeldwebels Daniel Wirth aus Obergurig in Ostsachsen.
Auch er gehörte der 2. KSK-Kompanie an. Sein 15 Mann starker Trupp wurde damals per Funkalarm zu einem Dorf in der Provinz Baghlan beordert, wo afghanische Sicherheitskräfte Taliban jagten.
Während sich die afghanischen Polizisten nach Eintreffen der Deutschen Zeitzeugenberichten zufolge "verdrückt" hätten, geriet der KSK-Trupp in einen Hinterhalt. Wirth wurde aus nächster Nähe erschossen.
Bis heute ist ungeklärt, ob der Hilferuf der Afghanen eine Falle von Kollaborateuren war. Die Bundeswehr hält Details zum Einsatz noch immer geheim.
'Nicht witzig' - Hitler-Parodie vor Afrika-Einsatz
Nach dem Todesfall 2013 habe die 2. Kompanie, die KSK-intern wegen ihrer stark sportlichen Ausrichtung als "Müller-Milch-Kompanie" verspottet wurde, die Übungen umgestellt, berichtete Leutnant L. "Wir haben noch mehr und noch härter trainiert."
Bleibt die Frage nach der rechten Gesinnung, die dem Angeklagten im Prozess aufgrund der bei der Hausdurchsuchung gefundenen Zeitungen und Ansichtskarten vorgeworfen wird. Sämtliche KSK-Zeugen gaben bei ihrer Vernehmung an, sich mit Philipp S. nie über politische Dinge unterhalten zu haben.
Hinweise, dass "Horst", so der Spitzname des Angeklagten beim KSK, einen Hang zur NS-Ideologie haben könnte, hatte keiner der vom Gericht Befragten wahrgenommen.
Lediglich Kompaniechef Wi. erinnerte sich an eine merkwürdige Episode. In einer Einweisung vor einem Namibia-Einsatz der 2ten habe Philipp S. Adolf Hitler parodiert. "Ich habe das damals als Scherz interpretiert und ihm gesagt, dass ich das nicht mehr witzig finde."
Titelfoto: Franziska Kraufmann/dpa